Comunità di S.Egidio


10/05/2002
Deutschland
"Die Tr�nen von Erfurt d�rfen nicht umsonst geweint werden"

Am 26. April betrat in Erfurt, einer Stadt im Osten Deutschlands, ein bewaffneter Jugendlicher eine Schule und t�tete viele Lehrer, eine Sekret�rin und zwei Sch�ler, bevor er sich selbst das Leben nahm. Anl�sslich dieses tragischen Ereignisses laden die Gemeinschaften von Sant'Egidio in Deutschland zu einer Reflektion ein: "Die Tr�nen von Erfurt d�rfen nicht umsonst geweint werden". 

 

Gemeinschaft Sant�Egidio


F�r eine Kultur der Achtung vor dem Leben
Die Tr�nen von Erfurt d�rfen nicht umsonst geweint werden


Die schrecklichen Bilder von Erfurt, das gro�e Leid der Familien, der Lehrer und Sch�ler, der Eltern und Angeh�rigen ruft dazu auf, Stellung zu beziehen und hindert uns daran, zur Tagesordnung �berzugehen. Es gibt mehr Fragen als Antworten, mehr Ratlosigkeit als Klarheit, mehr Unverst�ndnis als Gr�nde. Denn f�r eine solche Tat gibt es keine Gr�nde, es gibt nur das Entsetzen, das alle erfasst.

Diese Tat ersch�ttert alle, denn sie stellt Fragen an uns alle, an unsere Gesellschaft, an die Politik, an das menschliche Zusammenleben. Sie stellt Fragen an die F�higkeit oder Unf�higkeit einer Gesellschaft, zu erziehen. Erziehung ist nie eine Frage von einzelnen, ist nie eine Frage von Eltern, Lehrern, Schule oder einzelnen Personen allein. Erziehung ist ein Thema f�r alle. Vielleicht m�ssen wir uns diese Frage gefallen lassen, ob unsere individualisierte Gesellschaft am Ende zu einer gro�en Einsamkeit erzieht, in der jeder f�r sich selbst verantwortlich, die Verantwortung f�r den anderen nicht mehr wahrnimmt. Vielleicht m�ssen wir uns die Frage gefallen lassen, welche Werte wir vermitteln und welche R�ume der Geborgenheit, der Solidarit�t, der gegenseitigen Hilfe, wir schaffen. Vielleicht m�ssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, wie wir mit Schuld umgehen, mit Schw�che, mit Versagen, mit Aggression oder Vereinzelung.

Gewalt ist nie eine L�sung
Gewalt geh�rt zu unserem Alltagsleben. Denn nie gab es ein Jahrhundert, in dem sich jeder die weltweite Gewalt in einem Moment am Bildschirm, durch Internet und andere Kommunikationsformen ins Wohnzimmer holen konnte. Wir f�hlen uns hilflos und es macht Angst, diesen Kreislauf der Gewalt zu sehen und zu denken, was kann man denn schon tun? Und w�hrend wir uns die vielen Fragen stellen, merken wir, dass es wohl keine einfache und schnelle Antwort geben wird. Wir sp�ren, dass wir uns nicht mehr in schnelle L�sungen fl�chten k�nnen, um alles zu vergessen. Denn die Zeit dr�ngt. Wir d�rfen nicht warten, bis noch mehr Gewalt passiert.

Die Angst darf uns nicht l�hmen
Eine Tat, wie sie in Erfurt passierte, macht Angst. Denn unsere Sicherheit ist nicht mehr gew�hrleistet. Ein gro�es Gef�hl von Unsicherheit macht sich breit. Das gro�e Bed�rfnis nach Sicherheit dr�ngt uns dazu, in Strukturen, in Sicherheitsorganisationen Schutz zu suchen. Doch wir ahnen, dass kein Sicherheitssystem � und sei es noch so gut - uns sch�tzen kann. Deshalb d�rfen wir die Antworten nicht nur den anderen �berlassen, denen, die zust�ndig sind. Wir alle sind gefragt. Vielleicht geht es darum, die Gesellschaft von innen her neu aufzubauen. Was uns helfen kann, ist der Aufbau einer neuen Menschlichkeit, einer neuen Kultur des Miteinanders, einer neuen Kultur des Dialogs. 

Der Mensch sucht nach dem Guten
Die erste Antwort, die viele Menschen in Erfurt suchten, war die Antwort des Gebetes. Die Kirchen waren voller Menschen, die sich versammelten, um gemeinsam das Leid zu tragen, um zusammen zu sein in den Stunden des gro�en Schmerzes, um zu bitten, um zu fragen, um zu beten. Das Gebet ist eine erste Antwort, denn es ist die erste Antwort auf unsere Sprachlosigkeit angesichts dieser schrecklichen Gewalt. Hier m�ssen wir nicht selbst sprechen, nicht wir sind es, die gro�e Worte machen m�ssen. Sondern Gott spricht selbst und seine Worte k�nnen wir zusammenfassen in dem einen Wort: �Ich bin bei euch�, vor allem in den schlimmsten Stunden. Gott verurteilt jede Form von Gewalt, denn er ist ein Gott des Lebens. Vielleicht sind diese gemeinsamen Gebete in den Kirchen Erfurts eine erste Antwort, im Leid solidarisch zu sein und zu sp�ren, die anderen brauchen mein �Mitleiden�. Wir m�ssen gemeinsam gegen die Gewalt den Frieden erbitten. 

Eine Bewegung der Gewaltlosigkeit � Das Land des Regenbogens der Gemeinschaft Sant� Egidio
�Niemand ist zu schwach oder zu klein, um nicht einem noch Schw�cheren helfen zu k�nnen�. Mit diesen Worten antwortete ein Freund der Gemeinschaft Sant� Egidio aus Guinea-Conacry auf die Frage, warum er Stra�enkindern helfe. Dies ist ein Zeugnis f�r uns Europ�er. Nicht der Reichtum, nicht die Struktur, nicht die Institution k�nnen gegen so viel Armut und Gewalt eine Antwort finden, sondern der einzelne Mensch und zwar jeder Mensch in jeder Situation. Dies ist die Erfahrung vieler Kinder und Jugendlicher, die sich weltweit der Bewegung �Land des Regenbogens� der Gemeinschaft Sant� Egidio angeschlossen haben. Sie haben sich dazu entschieden, ihre Zukunft selbst mit in die Hand zu nehmen. Sie sagen: �Wir sind Kinder der ganzen Erde und wir wollen die Welt �ndern. So wie sie jetzt ist, gef�llt sie uns nicht...wir wollen eine gerechtere und menschlichere Welt ohne Trennungen unter den V�lkern... Wir wollen in Frieden leben�. Die Kinder versuchen ihre kleine Welt zu �ndern, in der Nachbarschaft und in der Schule und setzen sich gegen Gewalt ein. Die Kinder beginnen sich f�r die Armen ihrer Stadt und in der Welt zu interessieren und bauen Freundschaften auf, die �ber die Grenzen der Sprache, der Armut und der Kultur hinweg gehen. Ist es eine Utopie? Nein, es ist ein sehr reeller Weg, dem sich jeder anschlie�en kann. �Erst wenn die Herzen der Menschen sich �ndern, wird sich die Welt �ndern�. Diese Erfahrung ist sehr konkret und hat zum Friedensschluss in Mosambik gef�hrt, f�r den sich Andrea Riccardi, der Gr�nder der Gemeinschaft Sant�Egidio und viele Mitglieder der Gemeinschaft jahrelang eingesetzt haben. Andrea Riccardi hat auch die Bewegung f�r Kinder und Jugendliche weltweit ins Leben gerufen, um zu sagen, dass es m�glich ist, eine Zukunft mit mehr Gerechtigkeit und Frieden und weniger Einsamkeit und Gewalt aufzubauen. 

Schluss
Die Tr�nen der vielen Menschen Erfurts d�rfen nicht umsonst geweint werden. Sie m�ssen eine Resonanz finden in jedem von uns. Die Trauer der Menschen Erfurts darf nicht ihnen �berlassen werden. Suchen wir keine schnellen Erkl�rungen, denn die gibt es nicht. Ertragen wir gemeinsam diese Trauer und lassen wir aus ihr Fr�chte entstehen, Fr�chte der Solidarit�t, Fr�chte des Mitleids, Fr�chte der gegenseitigen Hilfe. Lassen wir es uns nicht nehmen, gemeinsam eine neue Zukunft zu bauen, f�r die junge Generation zu arbeiten, uns einzusetzen. Lassen wir uns von niemandem das Recht absprechen, zur Gewaltlosigkeit zu erziehen. Lehren wir und leben wir den Respekt vor dem Leben des anderen, bauen wir eine neue Kultur auf, die Kultur des Dialogs mit jedem Menschen, auch mit dem, der schwierig ist. Bauen wir eine neue Kultur auf, es liegt auch in unseren H�nden.


Ursula Kalb 
W�rzburg, den 27. April 2002


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