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September 2000 |
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EINE
KATHOLISCHE LAIENORGANISATION SCHLICHTET IN KRISEN UND KONFLIKTEN |
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RUND 400 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben sich weltweit auf Konfliktvermeidung und -l�sung spezialisiert. Die in den armen Stadtrandvierteln Roms entstandene Gemeinde Sant` Egidio ist jedoch eine der wenigen, die religi�ses, karitatives und internationales Engagement miteinander verbinden, und sie hat mittlerweile mit ihrer "Paralleldiplomatie" schon auf allen Kontinenten zur L�sung ethnischer und religi�ser Konflikte beigetragen. Vom 24. bis 26. September organisiert Sant` Egidio ein internationales Friedensgebet, an dem mehrere hundert Menschen aus allen Religionen teilnehmen werden. Rom, die Hauptstadt des Katholizismus, befindet sich nach wie vor im Taumel der Jahr-2000-Feierlichkeiten und scheint dar�ber vergessen zu wollen, dass sich gleichzeitig die Amtszeit des Papstes dem Ende zuneigt(1). Seit Jahresbeginn ziehen Scharen von Gl�ubigen durch die zum Jubil�um aufgem�belte Ewige Stadt, um - je nach Berufsgruppe, sozialer Schicht und Herkunftsland - ihren Glauben in zahlreichen Versammlungen, Prozessionen, Homilien, Segnungen und Offenbarungen(2) kundzutun. Die �bliche sommerliche Touristeninvasion, aber auch die Aufsehen erregende Gay Pride, die Anfang Juli gegen den Willen des Vatikans in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung durchgef�hrt wurde, haben dazu beigetragen, der Altstadt einen globalen Anstrich zu verleihen. Auf diesem provinziellen Boden, aber getragen von universellem Geist, entstand auf Initiative Andrea Riccardis die Gemeinde Sant` Egidio. Der junge Mann aus b�rgerlichem Hause - sein Vater war Direktor einer Bank - interessierte sich trotz seines toleranten, den Christdemokraten fern stehenden famili�ren Hintergrunds mehr f�r das Evangelium und die Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils(3) als f�r das Kapital. Die Hochges�nge der gl�henden Achtundsechziger fand er "zu abstrakt" oder "�berholt", aber mit einer Kirche, die er als "distanziert" empfand, wollte er sich auch nicht abfinden. Anstatt dem Rat der Maoisten zu folgen und in die Fabrik zu gehen, machte sich Riccardi mit seiner Vespa auf und besuchte die armen Vororte und Barackensiedlungen. "Die Erfahrung war traumatisierend", meint er im R�ckblick. "Als ich diese Vororte und das harte Leben dort n�her kennen lernte, begriff ich, dass die Dritte Welt in Rom liegt. Es ist Betrug, wenn die Stadt ihre Armen nicht zeigt. In unseren Augen waren die Stadtrandviertel eine gro�e W�ste, in der das Volk Gottes dazu bestimmt war, Seinen Ruf zu erh�ren und in das Gelobte Land zu ziehen. Zusammen mit den Frauen, die noch st�rker von der Ausgrenzung betroffen sind, mit Arbeitern und arbeitslosen Jugendlichen begannen wir, freie, autonome christliche Gemeinden in den Vororten aufzubauen." Drei�ig Jahre sp�ter z�hlt die Gemeinde rund 30 000 Mitglieder. Sie verteilt sich auf 25 St�tzpunkte in Rom und ist au�erdem in rund drei�ig L�ndern der Welt pr�sent, wo sich insgesamt 300 Basisgruppen zum Geist von Sant`Egidio bekennen. Durch die "Freundschaft mit den Armen" - nach wie vor eine der Grundlagen dieser Gemeinde, die nach einem ehemaligen Kloster in Rom benannt ist, das ihr als Hauptsitz dient - lernte sie "besser zu begreifen, dass der Krieg die Mutter aller Armut ist". Um zu verhindern, dass ihre humanit�ren Hilfsprojekte durch K�mpfe zerst�rt w�rden, �bernahm Sant` Egidio in Mosambik, Guatemala, Algerien und im Balkan die Rolle eines "F�rderers" oder "Vermittlers" in Bruderkriegen. Die "aufgekl�rten Diplomaten" von Sant` Egidio, diese "Kreuzritter des Jahres 2000", f�r die "alle Konflikte nach Rom f�hren", diese "Diplomaten ohne Grenzen", "Friedenserfinder" oder "Botschafter ohne Rang" haben zahlreiche Medien in ihren Bann gezogen(4) und sich bei vielen Staatschefs, Kriegsherren und Politikern weltweit den Ruf von Zauberk�nstlern erworben. "Es gibt auf dieser Welt Menschen, die beten, andere, die wohlt�tig sind, und wieder andere, die sich auf diplomatischer Ebene engagieren. Die gelungene Verbindung aus diesen drei T�tigkeiten ist einzigartig. Das hilft den Leuten, auf dem Boden der Realit�t zu bleiben, wenn sie sich internationaler Fragen annehmen", urteilt Jean-Dominique Durand, Kulturberater der franz�sischen Botschaft beim Heiligen Stuhl.(5) Ein ehemaliges Karmeliterkloster auf dem Platz Sant` Egidio im einst einfachen Stadtteil Trastevere, der heute zum eher schicken Viertel aufgestiegen ist, dient ihnen als Hauptquartier. Sie genie�en es, Besucher durch die R�ume des Klosters, den Kapitelsaal, die Refektorien und Keller zu f�hren und zeigen auch die Karmeliterkirche gern, in der zu Weihnachten allj�hrlich ein Armenbankett veranstaltet wird. Der hart erk�mpfte Frieden f�r Mosambik AM liebsten aber weisen sie auf den sympathischen kleinen, von Bananenstauden �berschatteten Hof hin, in dem zahlreiche Vers�hnungsgespr�che stattfanden und wo sich in den letzten Jahren Laurent Kabila aus dem Kongo, Peter Kagame aus Ruanda, Yoweri Kaguta Museveni aus Uganda und Denis Sassou-Nguesso aus der Republik Kongo ebenso aufgehalten haben wie die amerikanische Au�enministerin Madeleine Albright und ihr franz�sischer Amtskollege Hubert V�drine, aber auch der gem��igte Kosovo-Albaner Ibrahim Rugova, der ehemalige Pr�sident der Sowjetunion Michail Gorbatschow und noch viele mehr. Ein anderer Ort, der ihren Stolz und, wie sie betonen, nach wie vor ihre Daseinsberechtigung ausmacht, ist die so genannte Mensa in der Via Dandolo, eine "Armenk�che", die tagt�glich 1 800 Gratisessen ausgibt. Hier k�nnen die Ausgegrenzten der italienischen Hauptstadt, die Obdachlosen und die nicht selten illegalen Einwanderer auch Kurse besuchen und B�cher ausleihen, sie erhalten Hilfe bei Beh�rdeng�ngen oder k�nnen ein Postfach einrichten. Nicht weit entfernt von Sant` Egidio finden sich die Mitglieder der Gemeinde Abend f�r Abend in der Basilika Santa Maria in Trastevere zum gemeinsamen �ffentlichen Gebet ein, das nach dem Vorbild der Christen im Orient h�ufig gesungen wird und an dem regelm��ig viele Gl�ubige teilnehmen. "Wir waren die Extremisten der Kirche - die ,au�erkirchlichen' Kr�fte, so �hnlich wie es au�erparlamentarische Kr�fte gibt", erz�hlt Andrea Riccardi �ber die Anf�nge der Gemeinde. "Wir glaubten, sobald wir echte Christen w�ren, w�rde die Welt ver�ndert und die Kirche reformiert sein." Dabei ist es bis heute geblieben. Ihre Aura verdanken die ehrenamtlichen Mitglieder von Sant` Egidio - alle �ben neben ihrer religi�sen T�tigkeit einen Beruf aus - vor allem ihrem diplomatischen Geschick. Zu ihrer Grundausstattung geh�ren ein Adressb�chlein und das im Lauf von fast drei�ig Jahren sozialem Engagement angereicherte Know-how, aber auch eine ausgereifte Dialog- und Vermittlungstechnik, die es ihnen erm�glicht hat, in Mosambik ein "Wunder" zu bewirken und an anderen Orten der Welt so manchen Teilerfolg zu verbuchen. Die unterdessen hofierten Experten in Sachen Diplomatie verwehren sich dagegen, fix und fertige Rezepte vorzulegen. Was sie anbieten, ist vielmehr ein Know-how und eine Art von "Grammatik" des Vorgehens.(6) Zu allererst gilt es, die Schw�chen der Gemeinde in eine St�rke umzum�nzen: "Sant` Egidio kann weder eine Armee mobilisieren noch dicke Schecks unterzeichnen", erkl�rt Mario Giro, ein Funktion�r des Internationalen Bundes freier Gewerkschaften (IBFG), eine der St�tzen des Teams in der Arbeit vor Ort. "Ihr einziges Interesse ist der Frieden, ihre einzigen Waffen sind die Ernsthaftigkeit, die Kultur der Freundschaft und das Vertrauen, das sie den Krieg f�hrenden Parteien Dank ihrer im Lauf der Jahre erworbenen Sachkenntnis einfl��en." Weiter geht es darum, die beteiligten Kr�fte in einem ersten Schritt zumindest so weit zu bringen, dass sie zugeben, demselben Land anzugeh�ren. Diese gegenseitige Anerkennung ist unerl�sslich. Denn um ein Gespr�ch zu beginnen, muss es immer mindestens zwei Parteien geben. Im �brigen kann die Isolation einzelne Gruppen, Parteien oder Personen in den Wahnsinn treiben und zu Kriegen f�hren oder diese verl�ngern, wie in Mosambik, wo sich der Nationale Widerstand Mosambiks (Renamo) von Alfonso Dhlakama in seinen ethnischen Stammrevieren verschanzte, immer h�ufiger Ausfl�chte suchte und die Grenzen der Gr�ueltaten immer weiter hinausschob - �hnlich den Aufst�ndischen von Liberia und Sierra Leone in j�ngster Zeit.(7) Um Menschen in die Beilegung eines politischen Konflikts einzubeziehen, die in den Augen der internationalen Gemeinschaft als Auss�tzige gelten, musste eine geh�rige Portion Mut aufgebracht werden. Schwierig gestaltete sich auch die gegenseitige Anerkennung im Fall Algeriens, die schlie�lich in die "Plattform von Rom" m�ndete. Denn zwischen den "Ausmerzern", denen vorgeworfen wurde, "auf Seiten Frankreichs zu stehen", und den als "S�hnen Irans und Afghanistans" bezeichneten Islamisten, zwischen Traditionalisten und Modernen, zwischen Franz�sisch und Arabisch sprechenden Menschen bestanden tief greifende Unterschiede in ihren Identit�tsbez�gen. Ebenso heikel war das Vorgehen im Fall von Burundi und Ruanda, wo die Hutu nicht mehr als vollwertige B�rger betrachtet werden, und auf dem Balkan, der die Last einer langen Geschichte tr�gt: Die Schlacht auf dem Amselfeld, mit der die Serben ihr Festhalten an der "unantastbaren" Provinz Kosovo rechtfertigen, fand immerhin im Jahr 1386 statt. Eine andere goldene Regel hei�t Geduld aufbringen und Dauerhaftigkeit: "Eine Nichtregierungsorganisation hat doch Zeit", erkl�rt Mario Giro. "Sie wei�, dass sie einen �ber Jahrzehnte entstandenen Konflikt nicht innerhalb weniger Tage l�sen kann. Die offiziellen Diplomaten dagegen m�ssen unter dem Druck von Medien, Wahlen und �ffentlicher Meinung Ergebnisse vorweisen - und engagieren sich folglich nur, wenn sie mit solchen rechnen k�nnen." Um in Mosambik zu einem Friedensvertrag zu kommen - das "Meisterwerk" von Sant` Egidio -, waren elf Verhandlungsrunden vonn�ten, die sich �ber 27 Monate hinzogen. "Die Zeitungen titelten: ,Mosambik - die Verhandlungen treten auf der Stelle'. Unterdessen spielte sich in den Restaurants von Trastevere einiges ab. Kein Detail, keiner der Beteiligten wurde vernachl�ssigt, und das ist entscheidend, wenn es darum geht, dass vor anstehenden Wahlen wirklich alle ihre Waffen niederlegen. In Angola flammte der Krieg dagegen drei Monate nach dem Abkommen von Bicesse wieder auf." Die Gemeinde ist �berdies darauf bedacht, nicht isoliert zu handeln. Die offizielle Diplomatie soll auf keinen Fall umgangen werden. "Im Gegenteil: Sie muss einbezogen bleiben, damit sie das Interesse an einem gegebenen Fall nicht verliert. Das ist im �brigen die einzige M�glichkeit, um Einfluss nehmen zu k�nnen", kommentiert Mario Giro. Im Fall von Mosambik hatte sich die Gemeinde des moralischen R�ckhalts und der finanziellen wie diplomatischen Unterst�tzung der italienischen Regierung versichert. Was den Kosovo betrifft, wurden vor dem Nato-Krieg, den die Gemeinde ablehnte, intensive Gespr�che mit der Kontaktgruppe und der US-amerikanischen Au�enministerin Madeleine Albright gef�hrt, die im ehemaligen Karmeliterkloster empfangen wurde. Solche Synergieeffekte sind umso wichtiger, als sich die Friedensverhandler nicht damit begn�gen, Dokumente auszuarbeiten und sie, wenn es denn gelingt, bis zur Unterzeichnung zu bringen. Schlie�lich ist der darauf folgende Prozess �u�erst komplex und spricht Fragen der Entwicklung, der Demokratie und der Vers�hnung an, ebenso wie Probleme mit der Deutung der jeweiligen Geschichte. Die Gemeinde von Sant` Egidio st�tzt sich dazu auf ein Ger�st aus Garantien, Krediten und �hnlichen Vorkehrungen, in das nicht nur die "Peacemaker", sondern auch die Staaten und die internationale Gemeinschaft einbezogen sein m�ssen. Don Matteo Zuppi, Pfarrer in Santa Maria del Trastevere und Verantwortlicher f�r afrikanische Fragen, sa� in den vergangenen Monaten der Kommission "Frieden und Sicherheit, Umwandlung der Armee und Einstellung der Feindseligkeiten" in Arusha (Tansania) vor, die den Rahmen f�r die Friedensverhandlungen in Burundi bot, die vom ehemaligen Pr�sidenten des Landes, Julius Nyerere, sowie von Nelson Mandela koordiniert wurden. Er misstraut dem Mythos, "dass eine NGO auf eigene Faust eine gewisse Ordnung herbeif�hren k�nne". Dieses Arbeiten in Netzwerken geh�rt ebenfalls zu den Besonderheiten von Sant` Egidio. Alle Kan�le werden angezapft, alle Hebel in Bewegung gesetzt, alle Ressourcen der Zivilgesellschaft ausgesch�pft, selbst wenn "sich darin dann auch alles M�gliche findet", wie der ebenfalls mit Afrikafragen betraute Mario Giro feststellt. Um in Mosambik den Frieden herbeizuf�hren, hatte die Gemeinde beispielsweise mehrmals Treffen zwischen dem Generalsekret�r der italienischen KP, Enrico Berlinguer, und dem Erzbischof von Beira, Monsignore Jaime Gon�alvez organisiert, an denen Letzterer darlegte, wie in seiner Heimat die F�hrer der Befreiungsfront Mosambiks (Frelimo), die "nat�rlichen" Freunde des KPI-F�hrers, katholische Seminare geschlossen und das L�uten der Kirchenglocken unterbunden haben. Dr�ngt sich einem da nicht unweigerlich das Bild von Don Camillo und Peppone auf? "Nach dem Erfolg in Mosambik haben sich viele Guerillas und Oppositionsbewegungen aus afrikanischen L�ndern an uns gewandt", erinnert sich Marco Impagliazatto, zust�ndig f�r die arabischen L�nder bei Sant` Egidio. Aus seiner Sicht f�llt Sant` Egidio ein Vakuum: "Italien spielt heute keine bedeutende au�enpolitische Rolle mehr. Es gab eine Zeit, da war die KPI die bedeutendste kommunistische Partei in Europa, die italienischen Christdemokraten waren weltweit f�hrend, die Regierung blickte auf die ehemaligen Kolonien im Mittelmeerraum und am Horn von Afrika, und der Vatikan lie� sich von einem reiselustigen Papst mitrei�en und machte mit spektakul�ren Initiativen von sich reden." "Wir sind nicht nach Afrika gegangen, sondern Afrika ist zu uns nach Rom gekommen", meint Andrea Riccardi. "W�hrend achtzehn Jahren hat sich Sant` Egidio vor allem auf die Arbeit mit den Armen Roms konzentriert, insbesondere auf die Ausl�nder unter ihnen, die dringend unserer Hilfe bedurften, sich aber auch Sorgen �ber das Schicksal ihrer Eltern und Freunde im Herkunftsland machten. Heute gibt es in vierundzwanzig afrikanischen L�ndern Gemeinden, die unsere Spiritualit�t teilen, in ihrem Handeln aber v�llig frei sind. Von Sant` Egidio spricht man, als handle es sich um einen diplomatischen Apparat. Ich sehe die Gemeinde jedoch eher als eine Realit�t an der Basis, mit ihren vor Ort t�tigen M�nnern und Frauen." Die Verwurzelung auf dem afrikanischen Kontinent erlaubt "eine intime Kenntnis der Krieg f�hrenden Gesellschaften", setzt Mario Giro hinzu. Und Mario Impagliazatto, der auch das Jubil�umsprogramm des �ffentlichen Radio- und Fernsehsenders Rai leitet, erg�nzt noch: "Wenn afrikanische Staatsm�nner nach Rom kommen, stellen wir mittlerweile st�rker als uns selbst die afrikanischen Gemeinden vor Ort in den Vordergrund - etwa jene zweitausend jungen Menschen, die sich zur Gemeinde von Mosambik bekennen, oder andere westafrikanische Gemeinden. Denn sie haben konkrete Ideen und Vorschl�ge f�r ihr Land." In Mosambik beteiligt sich die Gemeinde am Wiederaufbau des Landes und will bis Jahresende ein Krankenhaus f�r Tuberkulose- und Aids-Kranke er�ffnen. Indessen ist Sant` Egidio seit dem teilweisen Scheitern des Vermittlungsversuchs in Algerien mit der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) aneinander geraten. Dem "neuen Afrikanismus", dem "Afrika den Afrikanern" und anderen Slogans der neuen "political correctness" auf dem Kontinent wird mit Misstrauen begegnet: "Einige dieser L�nder des ,neuen Afrika' sind eben noch in Kriege verwickelt, insbesondere im Kongo", beteuert Matteo Zuppi. Wenn die Staatschefs dieser L�nder aus einer linken Tradition kommen, dann haben sie meist jegliche ideologische Verankerung verloren. Sie haben Tabula rasa gemacht, konnten jedoch nichts an die Stelle der alten Ideologien setzen - ganz wie die neuen F�hrungskr�fte in der ehemaligen Sowjetunion, denen man sagte: "Es gibt keinen Gott", die aber auch ihre Sowjetmoral eingeb��t haben. Sie sind in gar keiner Kultur, sei sie besser oder schlechter, gro� geworden und k�nnen diese Leere nur f�llen, indem sie sich in Dogmatismus und blindem Nationalismus �bertreffen, wie es beispielsweise in Exjugoslawien geschehen ist. Die gro�e Kunst der Relativierung EIN Nelson Mandela ist ein Mann mit moralischen Grunds�tzen", meint Mario Giro. "Ganz anders Chissano, Kagame oder Afewerki(8), die bereit sind, im Affekt das Schicksal ihrer V�lker aufs Spiel zu setzen. Der alte Houphou�t(9) hatte bei all seiner Gerissenheit noch gewisse Prinzipien. Seine Generation war gebildeter, und er �bersch�ttete die Religion nicht mit Beleidigungen." Auch Matteo Zuppi beklagt, dass "sie im Grunde lieber Waffen kaufen, mit einem gewissen Zynismus das Elend hinnehmen und sich selbst wie wahnsinnig bereichern." Sant` Egidio bedauert diesen Mangel an politischer Bildung und das Fehlen einer echten afrikanischen F�hrungsschicht. Der franz�sischen Afrikapolitik werden mittlerweile unerwartete Tugenden zugesprochen. Andrea Riccardi sieht sie als "ein gro�es, wenn auch zweifellos fragw�rdiges Abenteuer, dem jedoch ein imperialer Gedanke, ein Plan, eine Erziehung und ein Kulturgemisch zugrunde lag. In Abidjan lebten die Burkiner Seite an Seite mit den Ivorern. Es war menschlicher als der gegenw�rtige Globalisierungstrend, der angesichts der fehlenden politischen Kultur in einen gef�hrlichen Ethnizismus m�ndet." K�nnen die christlichen Kirchen als Hoffnungstr�ger auf dem afrikanischen Kontinent gelten? Obwohl sie so ausgesprochen klerikal und institutionalisiert sind und vor allem dem sozialen Aufstieg dienen? "Wozu sollen die kulturelle Anpassung und die Afrikanisierung der Liturgie denn gut sein, wenn dabei die sozialen Aspekte vernachl�ssigt werden?", fragt Mario Giro. F�r ihn ist diese gro�e Kraft zu wenig gelenkt, ihr fehlen die Visionen. W�hrend der Papst im April und Mai 1994 in Rom erstmals eine Synode abhielt, an der die Afrikaner ohne eine von der r�mischen Kurie vorgegebene Linie �ber ethnische Fragen und Menschenrechte diskutieren konnten, fand in Ruanda ein V�lkermord statt: "Unter Christen. Was f�r ein schreckliches Zeichen!" Viele Mitglieder von Sant` Egidio sind auch misstrauisch gegen�ber gewissen Nichtregierungsorganisationen, die nach den Regeln der Weltbank aufgebaut sind und vor allem internationale Kredite beschaffen sollen. Zudem dienen sie den reichen L�ndern zunehmend als Vorwand, um sich aus ihren Verpflichtungen zu stehlen und stattdessen Feuerwehr�bungen zu betreiben: Man macht viel L�rm, rettet ein paar Leben und zieht wieder ab. Die gro�en Nationen haben sich auf diese "Erfindung" gest�rzt, da sie ihnen ein besseres Image einbringt als die Entwicklungszusammenarbeit alten Stils. "Diese hat gewiss an Ansehen verloren, ist paternalistisch und hat zu gro�er Verschwendung und Korruption gef�hrt. Sie war jedoch auf die Vorstellung einer langfristigen Partnerschaft gest�tzt", best�tigt Mario Giro, f�r den die Erfahrungen in Albanien, im Kosovo, in Afghanistan, im Irak und im Sudan zudem Anlass zu Vorsicht geben: "Es stimmt, die Taliban sind verr�ckt. Doch was haben wir davon, wenn wir sie verteufeln? �berall werden Embargos verh�ngt, Maginot-Linien aufgezogen. Damit werden die Probleme der Menschen nicht gel�st, und man l�uft nur Gefahr, neue Kriege anzubahnen." Wenn Sant` Egidio �ber ein Charisma verf�gt, dann liegt das seiner Ansicht nach in der Kunst der Relativierung. "Heute kann niemand mit Patentl�sungen aufwarten: Die L�sung liegt weder in der alten Realpolitik noch in der automatischen Anwendung des moralischen Gebots der Einmischung, das vielen als Vorwand f�r die Beendigung ihres Engagements dient. Kein Frieden ohne Gerechtigkeit, hei�t ein bekannter Spruch. Es gibt aber auch keine Gerechtigkeit ohne Frieden. Es kommt darauf an, dass dieser Widerspruch, der heute die Regel ist, akzeptiert wird, dass man sich in die Probleme vertieft und sich die Zeit nimmt zu �berzeugen. Anderenfalls droht Samuel Huntingtons ,Clash of civilisations', n�mlich der Kulturkampf mit dem Islam." In Sant` Egidio versagt man sich im �brigen die Rolle des Friedensstifters oder professionellen Paralleldiplomaten und misstraut der Spezialisierung. Vier F�nftel der T�tigkeit in Rom ist den Armen und sozialen Fragen gewidmet: der Volksk�che, dem Altersheim, der Hilfe f�r Aids-Kranke, der Unterst�tzung von k�rperlich und geistig Behinderten. Zwischen drau�en und drinnen gibt es keine Mauer. Die Meinung von Freunden z�hlt in einzelnen Fragen genauso viel wie jene der Mitglieder. Alles beruht auf einem "Versammlungsgeist" und der Bem�hung um Konsens, auf der Harmonie des Leitungsrates, dessen Mitglieder in den Koordinationskreisen bestimmt werden. Die Gemeinde funktioniert "wie ein Netzwerk, nach einer ungeordneten Ordnung", versichert ihr Gr�nder. Sie st�tzt sich auf knapp ein Dutzend feste Angestellte in der Verwaltung und ein begrenztes j�hrliches Budget von rund sieben Millionen Mark, so dass f�r jedes Projekt eine neue Finanzierung aufgetrieben werden muss. Manche Kritiker werfen der Gemeinde vor, sie sei ein "linkes Opus Dei" oder ein "U-Boot des Vatikans". Dabei wurde sie vom Heiligen Stuhl erst 1986, nach achtzehnj�hrigem Bestehen, offiziell anerkannt, und sie ist �u�erst stolz auf ihre Autonomie. Zum Vatikan werden - ganz und gar italienisch - informelle Beziehungen unterhalten, wie Jean-Dominique Durand erkl�rt. Zum Papst, in seiner Funktion als Bischof von Rom, besteht jedoch eine direkte, sehr starke Bindung: Die Gemeinde hat ihn am Anfang seines Pontifikats "die Armen der Hauptstadt entdecken lassen". Johannes Paul II. "hatte immer ein sehr herzliches Verh�ltnis zu uns", erkl�rt Andrea Riccardi, der w�hrend des Armenbanketts am 15. Juni im Vatikan neben dem Papst sa�. Auf dessen Anregung hin hat er zudem soeben ein Buch �ber das "Jahrhundert der M�rtyrer" verfasst - das von Katholiken im Untergrund in der ehemaligen Sowjetunion und in Asien bis zu Opfern der Repression in Lateinamerika oder der italienischen Mafia handelt.(10) Au�erdem hat der Papst die Gemeinde mit der allj�hrlichen Durchf�hrung des "Friedensgebetes" betraut, einem internationalen Treffen der �kumenischen Bewegung und des interreligi�sen Dialogs, das zu einem Markenzeichen von Sant` Egidio geworden ist. Das 14. Treffen von Assisi findet vom 24. bis 26. September in Lissabon statt. Zudem wurde im M�rz dieses Jahres Don Vincenzo Paglia, einer der �ltesten Priester der Gemeinde, zum Bischof ernannt. Er setzte sich f�r die Seligsprechung des salvadorianischen Erzbischofs Monsignore Oscar Romero ein, der 1980 von Milit�rs ermordet wurde. Als erster Vertreter Roms war Don Paglia 1991 nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes nach Albanien gereist, um dort diskret die Wiedereinf�hrung einer katholischen Hierarchie vorzubereiten. Letztes Jahr begab er sich mitten im Kosovokrieg nach Jugoslawien. Wenige Wochen sp�ter kam der bis dahin von den Serben unter Hausarrest gestellte Ibrahim Rugova nach Rom, wo er vom Papst empfangen wurde. "Man kann zwar Tr�umer in ihnen sehen", versichert Kardinal Roger Etchegaray, eine der wichtigsten St�tzen Sant` Egidios bei der Kurie, der vierzehn Jahre lang der bisch�flichen Kommission "Gerechtigkeit und Frieden" vorsa�. "Ihre Hartn�ckigkeit habe ich aber stets bewundert und sie in ihrem Willen unterst�tzt, das Unl�sbare zu l�sen." Einer der Monsignori des Staatssekretariats - des Au�enministeriums der katholischen Kirche, die mit 172 Staaten diplomatische Beziehungen unterh�lt - ist der Ansicht, Sant` Egidio handle meist im Einverst�ndnis mit dem Heiligen Stuhl, ohne von diesem abh�ngig zu sein, konkurriere gelegentlich aber auch mit diesem. Wenig Verst�ndnis brachte man in den R�ngen der Kurie allerdings f�r den Kontakt auf, der mit Hassan al-Turabi, dem vor wenigen Monaten kaltgestellten Chefideologen der islamistischen Regierung im Sudan, gekn�pft wurde. Verschiedentlich wird der "verschlungene politische Werdegang" der Sant` Egidio-Gemeinde kritisiert.(11) Zweifellos ist sie "kein Machtzentrum an sich", r�umt man im Vatikan ein, nicht ohne jedoch sofort auf die engen Beziehungen hinzuweisen, die zu zahlreichen Mitgliedern der italienischen Regierung bestehen. Insbesondere dank des allj�hrlich bei den Assisi-Treffen gefestigten kirchlichen Beziehungsnetzes ist Sant` Egidio jedoch eine wirkungsvolle Pressuregroup im Vatikan, die bei dem Konklave zur Bestimmung des Nachfolgers von Johannes Paul II. durchaus dazu beitragen k�nnte, dass ein von ihr favorisierter Kardinal gek�rt wird. Dar�ber macht sich das Team der "UNO von Travestere"(12) gegenw�rtig kaum Gedanken. Ihr n�chstes Etappenziel ist die Durchsetzung eines weltweiten Moratoriums der Vollstreckung von Todesurteilen noch in diesem Jahr, dem sich gerade der indonesische Pr�sident und damit das Oberhaupt der bedeutendsten islamischen Gemeinde der Welt angeschlossen hat. Von PHILIPPE LEYMARIE Fu�noten: (1) Johannes Paul II. l�sst, �hnlich einem Monarchen von Gottes Gnaden, die den Kardin�len auferlegte Altersgrenze f�r sich selbst nicht gelten. (2) Wie etwa die viel zitierten, �u�erst umstrittenen "Geheimnisse von Fatima". (3) Das zwischen 1962 und 1965 von Papst Johannes XXIII. einberufene Zweite Vatikanische Konzil wurde als Moment der �ffnung der katholischen Kirche wahrgenommen. (4) So die Titel von Zeitungsberichten in Le Monde (2. Juli 2000), Jeune Afrique Economie (13. M�rz 2000), T�l�rama (8. Dezember 1999), Le Nouvel Observateur (31. Oktober 1996) und La Croix (4. Oktober 1996). (5) Jean-Dominique Durand ist Professor an der Universit�t Lyon, Italienspezialist und Herausgeber des Buches "SantEgidio et le Monde", das Gespr�che mit Andrea Riccardi enth�lt. Paris (Beauchesne) 1996. (6) Siehe Mario Giro, "Une grammaire de la r�conciliation", Le Courrier de lUnesco, Januar 2000. (7) "Die UNO und der Wirtschaftskrieg in Sierra Leone", Le Monde diplomatique, Juni 2000. (8) Die Pr�sidenten bzw. Vizepr�sidenten von Mosambik, Ruanda und Eritrea. (9) Ehemaliger Staatspr�sident der Elfenbeink�ste. (10) Zu deren Gedenken wurden am 7. Mai im Kolloseum in Rom Feierlichkeiten abgehalten. (11) Siehe "SantEgidio: les souterrains du Vatican", Golias, Lyon, Nr. 50, September 1996. (12) Die Bezeichnung stammt von der Nachrichtenagentur Ansa.
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