|
21/12/2000 |
|
|
|
Noch nicht im Weissen Haus angelangt, hat sich Amerikas bestellter Pr�sident schon eine m�chtige Gegnerin zugezogen. Sie sitzt in einem kleinen Kloster im R�mer Trastevere-Quartier. Sie agiert im Halbschatten, pflegt die Paralleldiplomatie, die diskret vorbereitete, effiziente Aktion. Sie k�nnte George W. Bush leicht das Amt verderben: Die katholische Laiengemeinschaft Sant�Egidio schickt sich an, die Welt�ffentlichkeit zu mobilisieren � f�r ein Moratorium aller Exekutionen, also der Todesstrafe. Am vergangenen Montag �bergaben die R�mer Menschenrechtler, unterst�tzt von Amnesty International und der Gruppe Moratorium 2000, Kofi Annan mehr als 3,2 Millionen Unterschriften aus 145 L�ndern zur �chtung der staatlichen T�tung. Der Uno-Generalsekret�r lobte und dankte w�rmer als �blich: �Ich bin tief bewegt. Ich bete f�r Ihren Erfolg.� Auf der Petition fand er Vaclav Havel, den deutschen Aussenminister Joschka Fischer, Indonesiens Pr�sident Abdurrahman Wahid, Nobelpreistr�ger Elie Wiesel, den Dalai Lama, Umberto Eco, G�nter Grass, den Erzbischof von Canterbury, Danielle Mitterrand und mit ihnen ein so erlesenes wie umfassendes Who�s who aus Weltreligionen, Politik, Wissenschaft, Kultur und Sport. F�r sie alle ist die Todesstrafe �grausam, unmenschlich, erniedrigend�. Sie trifft oft Unschuldige, ist aber ohne Wirkung auf Gewaltverbrecher. Kurzum: der Triumph von Blutrecht und Rache �ber die Zivilisation. �Drei Millionen sind erst ein Anfang�, frohlockte Schwester Helen Prejean, Gr�nderin von Moratorium 2000, �in ein paar Monaten kommen wir mit zehn Millionen Unterschriften wieder.� Zwar zielt Sant�Egidio mit ihrer ersten globalen Offensive auf alle 86 Staaten, die Verurteilte heute noch h�ngen, erschiessen, k�pfen, vergasen, verbrennen, zu Tode spritzen. Zuvorderst auf China, das in diesem Jahr vermutlich an die tausend Straft�ter exekutiert hat. Mario Marazziti, ein hochrangiger Fernsehjournalist, der bei Sant�Egidio die Kampagne leitet, m�chte die Vereinigten Staaten denn auch nicht hervorheben. Aber er r�umt ein, dass sich die Frage in und an Amerika entscheiden wird: �Solange die f�hrende Demokratie systematisch das fundamentale Menschenrecht auf Leben verletzt, ist ein Durchbruch in Diktaturen oder L�ndern mit religi�sem Recht kaum vorstellbar.� George W. Bush hat sich mit einiger Energie in die vorderste Linie man�vriert. Nirgendwo in der demokratischen Welt wurden in den letzten Jahren so viele Menschen exekutiert wie in Texas, wo Bush als Gouverneur waltet, und in Florida, wo Bushs Bruder regiert. Im texanischen Huntsville, der �Welthauptstadt des Todes� (Margrit Sprecher in ihrem Buch �Leben und Sterben im Todestrakt�. Haffmans, 1999), werden sogar Geistesgest�rte und Minderj�hrige dem Henker zugef�hrt. Das triste Privileg, Kindert�ter umzubringen, teilt Amerika mit dem Iran, mit Somalia und China. Mehr als 3600 Verurteilte warten in Amerikas Todeszellen auf ihre Hinrichtung. �Dieses Land muss sich jetzt entscheiden, ob es zu den Schurken oder zu den guten Jungs geh�ren will�, sagt die Nonne Helen Prejean: �Wir laden Amerika ein, der Weltgemeinschaft jener L�nder beizutreten, die f�r die Menschenrechte einstehen.� Doch der neue Pr�sident sah sich bisher lieber in der Rolle des R�chers als des Gerechten: �Bei uns gilt: B�ses Benehmen hat b�se Folgen.� Das bringt Stimmen. W�rde sich nicht Sant�Egidio mit ihm anlegen, k�nnte George W. Bush mit der Drei-Millionen-Petition verfahren, wie mit allen Bittschriften, Gnadengesuchen, Aufrufen, die vornehmlich europ�ische Menschenrechtler und Humanisten immer wieder an den Gouverneur richteten: Ignorieren, ab in den Schredder. Aber wo die R�mer Laiengemeinschaft hinlangt, kommt in der Regel Bewegung in verkeilte Fronten. Seit 1968 speist sie in Armenk�chen Zehntausende. Der B�rgerkrieg von Mo�ambique wurde in ihrem Kloster beendet. Sant�Egido-Vermittler griffen im Libanon, im Kosovo, in Algerien und vielen anderen Konflikten ein. Zielstrebig bauen sie an einer Welt-�kumene aller Religionen (Buddhisten, Hindus, Shintoisten inklusive). Kritiker verd�chtigen Sant�Egidio, der verl�ngerte Arm italienischer oder vatikanischer Aussenpolitik zu sein. Sogar das Ohr des reaktion�ren Papstes haben die Links-Katholiken gewonnen. Wie effizient sie sind, zeigt die Liste der Organisationen, die das Moratorium unterst�tzen. Mario Marazziti: �Zum ersten Mal entsteht hier eine globale, moralische und interreligi�se Front f�r das Leben von Christen, Muslimen, Juden, Buddhisten und anderen Gemeinschaften; und sie ist zugleich ein B�ndnis zwischen Religi�sen und Laienorganisationen wie Amnesty.� Was Marazziti nur in Ans�tzen formuliert: Es ist der erste Versuch, weltweit eine Zivilgesellschaft um ein Anliegen zu sammeln � und die f�hrende Grossmacht zu einer anderen Politik zu zwingen. Ein Test f�r die Hoffnung, der wirtschaftlichen Globalisierung eine neue Form der Politik von unten beizugeben. �Der gemeinsame Kampf gegen die Todesstrafe ist ein Schl�ssel�, sagt Marazziti, �denn wir sagen damit, dass Menschenrechte, Folter, Gewalt keine interne Angelegenheit eines Staates sind. Dies ohne neokolonialistische Anwandlungen, die westlichen Staaten unterstellt werden k�nnten.� Die Forderung nach dem Moratorium hat die Gunst der Stunde. Immer mehr Staaten r�cken von der Todesstrafe ab oder vollziehen sie nicht. In Amerika ersch�ttert eine Reihe von Enth�llungen selbst die Henkersfreunde: Dutzende von zum Tode Verurteilten wurden nach DNA-Tests f�r unschuldig befunden � zum Teil nach mehr als f�nfzehn Jahren im Todestrakt. Der Gouverneur von Illinois, ein Parteifreund Bushs, setzte alle Hinrichtungen aus, weil er der Justiz nicht mehr traut. Sie richtet rassistisch und sozial diskriminierend. Viele Prozesse werden summarisch abgewickelt. Schlecht bezahlte Pflichtverteidiger lassen die Angeklagten im Stich. Die �Chicago Tribune� untersuchte 300 Todesurteile in Illinois und fand, dass in 33 F�llen die Anw�lte gar nicht mehr zugelassen waren. Staatsanw�lte unterschlugen Entlastungsbeweise. F�r manche Unschuldige kommt der Nachweis zu sp�t � sie wurden schon hingerichtet.
Von Oliver Fahrni
|