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26/10/2001 |
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WEGE AUS DEM KRIEG |
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Am Ende ging es - wie immer in Rom, der Hauptstadt der Seelenfischer - um Fisch. Matteo Zuppi, der l�chelnde Priester, st�berte auf allen M�rkten, bis er zwei haargenau gleich gro�e Fische fand - das Vers�hnungsdinner konnte angerichtet werden: Nach B�rgerkrieg und 1 Million Toten schnitten am selben Abend der Pr�sident und sein Feind, der Guerilla-F�hrer, ihren Seeteufeln die K�pfe ab. Simultan, in einem ausgekl�gelten Ritual. Der Friedensvertrag f�r Mosambik war besiegelt. Da h�rte die Welt zum ersten Mal von Sant'Egidio. Eilends entsandten Regierungen Diplomaten nach Rom, um das Geheimnis zu ergr�nden. Die Sache schien unm�glich, die Feinde galten als unvers�hnlich. Im fr�heren Kloster Sant'Egidio fanden die Sp�her eine verschworene Bande von Frauen und M�nnern - Gewerkschafter, Lehrer, Professoren, Priester, Journalisten -, die jeden Abend um sechs gemeinsam beteten und sangen. Seither hat sich die Laiengemeinschaft Sant'Egidio im Libanon, in Algerien, in Burundi und Ruanda, im Kosovo und anderswo den Ruf erworben, f�r den Frieden mehr auszurichten als die internationalen Organisationen. "Krieg ist immer ein Irrtum, und der Dialog ist immer m�glich", sagt Andrea Riccardi (50), grau melierter Bart, elegante Brille. "Uns gelingt viel zu wenig", l�chelt er, "aber wo etwas inBewegung kommt, wirkt allein das Wunder des Wortes." Wir flanieren durch Trastevere, das alte Quartier der Handwerker, Marktschreier und Briganten. Riccardi hat Sant'Egidio gegr�ndet, er ist ihr "padre padrone". Das Magazin "Time" h�lt den Geschichtsprofessor, Abteilung Christentum, f�r einen der zehn einflussreichsten M�nner Italiens. Er lenkt unsere Schritte zur Basilika Santa Maria, wo die Gemeinschaft betet, seit die kleine Klosterkirche zu eng geworden ist. Lustvoll parliert er �ber die Renovierung, schwelgt vor einem Fresko der Maria dormente. Riccardi kultiviert diese r�mische Kunst der Passegiata: an ruhigen Orten vermeintlich unverbindlich zu plaudern, immer um den Eindruck des M��iggangs bem�ht und dabei stets Greifbares schaffend. Jeden Moment k�nnte hier ein Staatschef auftauchen, einGuerilla-F�hrer oder ein Kriegsverbrecher-General, in derHoffnung, sich den Einfluss der "UN von Trastevere" dienstbar zu machen oder auch nur die Methoden der "ragazzi" auszusp�hen. Riccardi hat sie alle �bers Kopfsteinpflaster gef�hrt, auf dem Weg der verlorenen Schritte, und er hat ihnen, en passant, hier eine Konzession abgerungen, da die Freilassung von Geiseln oder die Bereitschaft zu Verhandlungen. Madeleine Albright, die eiserne Au�enministerin Bill Clintons, sagte nach einer kurzen Audienz beim Papst und einem langen Gespr�ch mit Riccardi: "Die Menschen von Sant'Egidio sind wunderbar." W�re sie noch im Amt, w�rde sie sich die Schmeichelei wohl verkneifen. 2000 startete Sant'Egidio eine Kampagne gegen die Todesstrafe. 3,2 Millionen Menschen, darunter das politische Gotha der halben Welt, unterschrieben. Nun, nach dem Angriff auf Amerika, organisierte Sant'Egidio in nur zehn Tagen ein "muslimisch-christliches Gipfeltreffen". Regierungschef Silvio Berlusconi hatte gerade zum Kampf gegen die "unterlegene islamische Kultur" gerufen.Die R�mer Friedensstreiter aber luden "keine Alibi-Muslime des Dialogs" ein, so Chefunterh�ndler Mario Giro, "wir wollten die Auseinandersetzung". Yusuf Qaradawi kam, Prediger wider den "amerikanischen Imperialismus" auf arabischen TV-Kan�len und theologischer Direktor des Sunna-Forschungszentrums von Katar. Nasser Farid Wasel, der Gro�mufti von Kairo, Abdullah Omar Nasseef, Pr�sident des Muslimischen Weltkongresses, und der Iraner Mohammed Said Noami (Weltliga f�r Islamische Kultur) reisten an, um sich mit den Kardin�len Carlo Maria Martini und Roger Etchegaray (Pr�sident des Pontifikalrates f�r Gerechtigkeit und Frieden) zu messen, oder mit Ishmael Noko von der Lutheranischen Weltf�deration, und Anastas (orthodoxer Primat Albaniens) oder dem Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen, Mar Gregorius Iohanna Ibrahim. Unter Religionsf�hrern eine erlesene Schar. Sant'Egidio verf�gt �ber ein dickes Adressbuch, seit es 1986 das Weltgebet der Religionen auszurichten begann, die wichtigste Begegnung aller Kirchen und Konfessionen, bis zum Taoismus. L�ngst halten zahlreiche Politiker und Intellektuelle die erste Woche im September f�r den globalen Dialog - zuletzt inBarcelona - frei. Auch inRom lenkte Sant'Egidio die Hand der Religi�sen. Nach zwei Tagen Wispern imKonvent traten sie, erstaunlich, mit einem gemeinsamen Text ans Publikum. Er verurteilt den Terrorismus und alle Fundamentalismen, in kaum verh�llten Worten auch jenen laizistischen Fundamentalismus, der aus dem Attentat einen Krieg der Kulturen machen m�chte. Spannungen m�ssten abgebaut werden, unter anderem durch eine ausgewogene L�sung des Pal�stina-Konflikts. "Keine Kultur, keine Zivilisation �berlebt in einem Konflikt der Kulturen und Religionen", schrieb Riccardi vor zwei Jahren. Das ist f�r Giro der Kern seiner k�nftigen Arbeit: "Den Krieg der Kulturen verhindern - und ihn da, wo er in Ans�tzen begonnen hat, schlichten." Durchgesetzt hatte Sant'Egidio den Text der Klerikalen mit einer in langen Jahren verfeinerten Verhandlungsmethode. Giro, ein christlicher Gewerkschafter, Mitte 40, polyglott und immer auf dem Sprung in ein Gebiet, wo gerade Hunger, B�rgerkrieg oder politischer Mord w�ten, spielt das herunter: "Es gibt keine Methode. Jeder Konflikt liegt anders. Nur eine Sache z�hlt:Kreativit�t. Also F�higkeit zum Dialog der Kulturen." Dann grinst er und kaut an seinem Fisch. Immer wieder laden ihn Think Tanks ein, um sein Verhandlungs-Werkzeug vorzuf�hren. Erste Regel: Trennendes, die eigentlichen Konfliktgr�nde, wird vorerst weggeschoben. Zweite Regel: In kleinen Schritten sucht man irgendeinen Punkt gemeinsamen Interesses zu definieren (im Fall der islamischen Klerikalen die Angst, der Terror k�nnte auch sie wegfegen) - dann "werfen wir uns mit letzter Kraft in diese Bresche", erz�hlt Matteo Zuppi, der die Mosambik-Gespr�che leitete. Das verlangt Diskretion und Geduld; schnelle Erfolge, wie bei spektakul�ren UN-Abkommen, stellen sich selten ein - daf�r halten die Ergebnisse vor. Zwei Jahre lange arbeitete Zuppi mit den Kriegsparteien. Sie waren im Kloster untergebracht, aber wollten sich nicht sprechen. Die "ragazzi" schoben Wache, um eine zuf�llige Begegnung zu verhindern. Ein zweiter Eingang wurde eingerichtet, �ber die D�cher. Immer wieder trug Zuppi Noten, Einw�rfe, Briefe hin und her, feilschte, fasste nach. "Wir stie�en uns wie immer an der Pathologie des Erinnerns.Zu viel Massaker, zu viel Leid", erinnert sich Giro. Dritte Regel: Langsame Vertrauensbildung. Regel Nummer vier formuliert Riccardi, w�hrend er die schmale Holzt�r zum Kloster �ffnet: "Wir suchen den politischenMenschen im K�mpfer. Krieg ist die Waffe der Verzweifelten. Erst m�ssen die sozialen Beziehungen neu gekn�pft werden. Frieden setzt die Wiederherstellung des politischen Menschen voraus." Hier strafft sich der Mann, den seit Drohungen aus Algerien st�ndig eine Eskorte bewacht, hier bekommt sein leichtes Wort einen harten Klang. Sant'Egidio ist nach 1968 entstanden, als die Kinder wohlhabender katholischer Familien in den Vorst�dten auf die Armen und Obdachlosen, die Kranken und Prostituierten stie�en. 100.000 lebten in Elendsvierteln wie Alessandria. Riccardi und seine Mitstreiter richteten Sprachunterricht f�r Ausl�nder und Armenspeisungen ein, Asyle und juristische Zentren. "Keine Wohlt�tigkeit", betont Riccardi, "sondern gelebtes Evangelium. Die Kirche war nicht die Kirche dieser Menschen. Wir haben sie nicht zu Beg�nstigten, sondern zu Freunden gemacht." Viele kommen Samstagabend in die Messe von Santa Maria. Immigranten, Punk-Girls, Obdachlose, Kranke, Alte. KeinZufall, dass Sant'Egidio diesen sozialen Zug mit den Islamisten teilt. Er hat ihnen schon 40.000 Menschen in 60 L�ndern zugetragen. Spektakul�re diplomatische Initiativen verstellen oft den Blick auf das soziale Engagement der Gemeinschaft ohne Mitgliedskarten und Verwaltung. Keiner arbeitet f�r Lohn. Cesare Zucconi, ein Politologe mit hohen Qualifikationen, verbringt jede Woche drei Nachmittage mit Aids-Kranken und Sterbenden in einer Wohngemeinschaft. Im Parterre betreibt Sant'Egidio eine Armenk�che. Zucconi sieht sich nicht als Sozialarbeiter: "Es ist eine Existenzform. Eine Gnade.Ich lebe mit den Vergessenen. Sie machen mich reicher als Christ, wie das t�gliche gemeinsame Gebet." Derlei weckt den Verdacht, in Trastevere seien Ewiggestrige zugange. Tats�chlich sind sie Teil eines modernen Typus von politischen Bewegungen, die am Umbau der Gesellschaft arbeiten, aus der sich Staat, Politiker und Besitzende gerade verabschieden. Sie versuchen das soziale Netz neu zu kn�pfen - und auf diesem Weg die Nationen neu zu ordnen. Ziel: eine Weltzivilgesellschaft. Die Revolte ist ihre Triebkraft - die Mission ihre Tat: politischer Katholizismus, westlicher Vorbote des religi�sen Jahrhunderts. Die Aktivisten treibt dieselbe Furcht vor der Gewalt einer zerfallenden Gesellschaft auch zur Friedensstiftung auf anderenKontinenten. Sie k�nnen sich dabei auf �hnliche Motive in diesen L�ndern st�tzen. Im Fall Algerien - Ende 1994, Anfang 1995 - einigte Linke, Nationalisten und Islamisten der Wunsch, den Gener�len endlich einen politischen Freiraum abzuringen: Ihr "Vertrag von Rom" - n�chtelang feilschten sie in einer ehemaligen Leprastation um jedes Komma - ist der bisher einzige Vorschlag, den B�rgerkrieg zu beenden. Am letzten Tag senkten Islamisten und Nationalisten gemeinsam das Haupt zum Gebet, unter dem Bananenbaum im Klostergarten. Im Fall Kosovo war der Knackpunkt die Universit�t. Giro trotzte Slobodan Milosevic die Unterschrift unter den einzigen Vertrag mit Ibrahim Rugova ab: 14 Fakult�ten wurden an die Albaner zur�ckgegeben. Die EU ignorierte den Fortschritt, die Krise eskalierte. Sant'Egidio musste Rugova schlie�lich aus den F�ngen Milosevics befreien. "Ich bin noch heute davon �berzeugt, dass der Kosovo-Krieg vermeidbar war", sagt Giro. Ignoranz und Machtinteressen des Westens, das dringt durch, blockieren oft hoffnungsvolle L�sungsans�tze. Wohl auch in Afghanistan. Kardinal Martini warnte: "Amerika muss sich bewusst werden, dass wir einen Weltkrieg riskieren." Die Haltung der R�mer zumFeldzug in Afghanistan: Verhandeln statt Krieg. Vor zwei Jahren sagte Riccardi: "Es gibt keinen gerechten Krieg. Krieg ist Armut und Krieg bringt Armut."
Oliver Fahrni
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