Comunità di S.Egidio


 

24/12/2001


Und irgendwann waren wir in Deutschland

 

W�rzburg "Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach �gypten! Bleib dort, bis ich dir sage, dass du zur�ckkommen kannst. Herodes wird n�mlich alles daran setzen, das Kind zu t�ten." In einem Traum wird Josef zur Flucht aus der Heimat mit Maria und Jesus aufgefordert. �ber das Leben in der Fremde erz�hlt Matth�us nichts. Rund 40 Millionen Menschen sind zurzeit nach Sch�tzungen der UN auf der Flucht; rund 80 000 werden in diesem Jahr in Deutschland Asyl beantragen - etwa 12 000 von ihnen sind unter 16 Jahren alt. Das VOLKSBLATT sprach mit f�nf Jungen und M�dchen, die in W�rzburg wohnen, �ber ihre Flucht.

Krieg und Gewalt treiben Menschen in die Flucht - Kinder in W�rzburg schildern ihre Erlebnisse

Farzad (16) ist 1996 mit seiner Familie aus Afghanistan geflohen:
"Als die Taliban kamen, hat sich f�r uns vieles ver�ndert: Nach zwei bis drei Monaten durften die M�dchen nicht mehr in die Schule gehen. St�ndig ist Unterricht ausgefallen, weil die Lehrerinnen, die wir fr�her gehabt hatten, nun nicht mehr arbeiten durften. Englisch wurde verboten, statt dessen mussten wir den Koran lernen.
Auch au�erhalb der Schule gab es neue Regeln: M�nner mussten alle einen Vollbart tragen. Wir durften nicht mehr fernsehen, keine Musik h�ren, alles musste still sein - sogar Hochzeitsfeiern. Dabei hatten wir vor den Taliban ganz normal gelebt, wie andere Menschen in anderen L�ndern auch: Hatten Fernseher, Radio, Video. Wer jetzt damit erwischt wurde, bekam Schl�ge, und die Ger�te wurden beschlagnahmt.
Das Schlimmste aber war die Gewalt der Taliban: Eine Gruppe hatte einen Freund von mir entf�hrt, weil sie von seinem Vater L�segeld erpressen wollten. Ein paar Freunde von mir und ich fanden beim Fu�ball spielen seine Leiche in einer Plastikt�te - sie hatten ihn gek�pft. Danach bin ich nie mehr zum Fu�ball spielen gegangen. Ich hatte nur noch Angst.
Mit der Hilfe von Schleppern sind wir nach Deutschland gekommen. 12 000 Dollar hat mein Vater daf�r bezahlt. Irgendwann standen wir allein in Deutschland und hatten keine Ahnung, wo wir waren."

Halil (14) kam vor zwei Jahren aus Kurdistan hierher.
"Als �zalan verhaftet wurde, sind wir �ber den Libanon geflohen. Wir sind mit einem kleinen Bus, dessen Fenster verdunkelt waren, ans Meer gefahren und mussten dort in ein kleines Boot umsteigen. Das hat uns zu einem Frachter gebracht. Es war sehr kalt und ich hatte beim Umsteigen ziemlich Angst.
Auf dem Schiff waren etwa 20 Fl�chtlinge untergebracht. Wir mussten unter Deck in eine kleine Kammer. Die T�r war immer zu, die Fenster waren schwarz und es gab nur eine kleine Lampe, so dass wir nie wussten, ob es gerade Tag ist oder Nacht. In der Kabine war es furchtbar: Es gab keine M�glichkeit, sich zu waschen oder die Z�hne zu putzen, das Klo war ein M�lleimer, den man ausleeren lassen musste. Zum Essen gab es jeden Tag ein St�ck Brot und ein St�ck K�se und pro Familie ein bis zwei Flaschen Wasser. Meine Mutter war krank, vielen Leuten ging es schlecht, manche mussten sich �bergeben, es hat furchtbar gestunken. Am meisten Angst hatte ich auf der Fahrt vor dem Meer und den Wellen und einem Schiffsuntergang. Ich kann doch nicht schwimmen. Ich hasse das Meer, und ein Schiff werde ich mit Sicherheit nie mehr betreten."

Kadier (15) hat vor vier Jahren Afghanistan verlassen m�ssen.
"Ich komme aus Herad. Wir hatten dort ein eigenes Haus, ein gro�es Grundst�ck, mehrere Autos, wir hatten Fernseher, Video, eine Stereoanlage - es war sehr sehr sch�n, bis die Taliban kamen. Mein Vater hatte einen Laden, in dem er Seife, Shampoo, Waschmittel und so verkauft hat, er war fast ein reicher Mann. Zum Transport seiner Ware hatte er einen VW-Bus, den haben ihm die Taliban gleich weggenommen.
Von der Flucht wei� ich nicht mehr viel. Ein Freund hat die Familie abgeholt, wir sind dann mit dem Auto die ganze Nacht durchgefahren. Am Morgen sind wir ausgestiegen und haben uns in einem alten Haus versteckt. In der n�chsten Nacht sind wir von einem anderen Mann abgeholt worden und weitergefahren. So ging das f�nf- oder sechsmal. Zwischendurch mussten wir auch viele Kilometer zu Fu� gehen, einmal durch einen Wald, in dem Warnungen vor W�lfen hingen. Da haben wir uns mit St�cken bewaffnet. Trotzdem hatte ich gro�e Angst. Irgendwann standen wir dann alleine da und wussten nicht, wo wir waren. Dann hat uns die Polizei festgenommen. Wir waren in Deutschland."

Mona (14) Jahre ist mit ihrer Mutter aus dem Iran geflohen.
"Wir haben im Iran in einer wirklich luxuri�sen Eigentumswohnung gelebt in einem Haus mit Schwimmbad und Sauna. Meine Mutter war Reiseleiterin, mein Vater Bauingenieur und ich habe die M�dchenschule besucht.
Ich wollte nicht unbedingt weg aus Persien, aber nat�rlich ist es besser mit meiner Mutter zu gehen als dort zu bleiben. Au�erdem habe ich gedacht, das Leben ist in Deutschland besser. F�r Asylbewerber gilt das allerdings nicht. Denn hier in einem Zimmer zu sitzen, nicht arbeiten zu d�rfen und von 80 Mark im Monat leben zu m�ssen, ist nicht besser. Wir sind doch nicht gekommen, um von Sozialhilfe zu leben.
Die erste Nacht in der Aufnahmeeinrichtung habe ich nur geweint. Es war ein Gef�hl wie in einem Gef�ngnis, wie in einem Lager, mit dem Zaun drumherum und dem Wachposten am Tor. Wir hatten einen Raum im Keller ohne Fenster mit nur einem Bett, niemand hat uns erkl�rt, was uns erwartet.
Jetzt sind wir zwar in einem freien Land, aber frei sind wir nicht. Wir d�rfen die Stadt normalerweise nicht verlassen - nur alle drei Monate f�r f�nf Tage, und die Erlaubnis dazu kostet jedes Mal 15 Mark.
F�r das Wohnheim, in dem wir jetzt leben, sch�me ich mich. Es liegt jede Menge Ger�mpel herum, das Haus ist kaputt, f�r zehn Leute gibt es ein Bad. Ich w�rde mich gerne mal mit meinen Freundinnen treffen, aber hierher einladen will ich sie nicht. Und ich gehe auch nicht zu ihnen, weil dann m�sste ich sie ja auch einladen."

Glody (11) kommt aus der Demokratischen Republik Kongo.
Ich bin in Mtadi, einer Hafenstadt am Kongo, geboren. Mein Vater war Schiffsmechaniker und ist 1991 nach Deutschland geflohen. Meine Mutter ist deshalb mit mir und meinen Br�dern nach Kinshasa umgezogen, weil man sich unter f�nf Millionen Einwohnern besser verstecken kann. Au�erdem haben dort Verwandte von uns f�r uns gesorgt.
1996 sind wir auch nach Deutschland gegangen. Wir sind zuerst in Dortmund in einer Aufnahmeeinrichtung untergekommen. Das fand ich komisch, dass man in ein Lager gehen musste. Anfangs wollte ich wieder zur�ck nach Afrika. Die Betten haben gekratzt, ich habe die meisten Leute nicht verstanden, viele haben uns ge�rgert, und erst nach zwei Wochen durften wir das erste Mal meinen Vater in W�rzburg besuchen.
Im Kindergarten habe ich mich anfangs nicht wohl gef�hlt. Ich konnte die deutsche Sprache noch nicht so gut und wurde st�ndig wegen meiner Hautfarbe ge�rgert. Oft haben andere Kinder mir die Schuld f�r Dinge zugeschoben, die ich gar nicht getan hatte, weil sie wussten, dass ich mich mit meinen Sprachkenntnissen nicht wehren konnte.
In W�rzburg haben wir zuerst in der Zellerau gewohnt. Da hat mich ein Nachbar immer beschimpft, wenn ich aus der Schule gekommen bin, deshalb sind wir umgezogen. Jetzt gehe ich in die Josefs-Schule. Anfangs hat es dort auch immer Streit gegeben. Warum? Es ist immer dasselbe: Wegen meiner Hautfarbe.
Zweimal in der Woche gehe ich nachmittags in die "Schule des Friedens" in der Gemeinschaft Sant' Egidio. Wir setzen uns dort f�r Kinder in armen L�ndern ein. Wir haben zum Beispiel einen Spielzeugmarkt veranstaltet, und mit dem Geld, das wir eingenommen haben, unterst�tzen wir ein Aids-Projekt in Afrika.