Comunità di S.Egidio


 

07/09/2002

Es gibt keine heiligen Kriege
Kardin�le, Rabbiner, Buddhisten und ein Ayatollah bekunden in Palermo ihre gemeinsame Weltverantwortung

 

Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind? Noch eine Stunde, nachdem Paola von Belgien als Ehrengast die erste Kerze auf der Piazza Politeama entz�ndet hatte, liefen ihr Tr�nen der R�hrung �ber die k�niglichen Wangen. Nach ihr traten in der milden sizilianischen Nacht Repr�sentanten etlicher Religionen in ihren vielf�ltigen Amtstrachten an die Kerzenleuchter. Das bunte Schlussarrangement der spirituellen F�hrer nach zweieinhalb Tagen des Dialogs ging zu Herzen. Aber: Schaffen die pathetischen Gesten wenigstens Widerstandskraft gegen Krieg, Terror und andere Gewalt?

Der Wanderzirkus der Gutwilligen hat in diesem Jahr in Palermo Halt gemacht, am geographischen und historischen Schnittpunkt verschiedener Kulturen, wo die Multikulti-Koexistenz etliche Jahrhunderte eher als anderw�rts ge�bt wurde. Die Comunit� Sant'Egidio, ein inzwischen in zahlreichen L�ndern vertretener katholischer Verband f�r Gebet, Soziales und Vers�hnungsdiplomatie, l�dt seit f�nfzehn Jahren zum Friedens-Kongress ein. W�hrend sich anf�nglich die Vertreter mancher Religionen nicht mal gemeinsam in einen Raum unter einem Dach trauten, sondern wie feindliche M�chte mittels Boten verkehrten, ist mit den Jahren eine br�derliche Atmosph�re entstanden.

Im vergangenen Jahr traf sich die Karawane in Barcelona und ging wieder ein bisschen hoffnungsvoller auseinander. Eine Woche sp�ter aber passierten die Terrorakte von New York, f�r die der Name einer Religion missbraucht wurde. Das Ende jeden Dialogs? Kann man noch reden, wenn schon alles und das Gegenteil von allem gesagt ist und - so Avvenire, die Zeitung der italienischen Bischofskonferenz - in der Luft "mehr der Geruch von Eisen und Feuer als der von Weihrauch" liegt?

"Nicht weniger, sondern mehr Dialog ist n�tig", diese Parole gab Andrea Riccardi aus, der 1968 als Penn�ler die Comunit� Sant'Egidio mitgr�ndete und noch heute, inzwischen Professor f�r Zeitgeschichte, deren Anf�hrer ist. Dialog, so hei�t es in dem Friedensappell, der von Buddhisten, Shintoisten, Orthodoxen, Protestanten, Moslems, Juden und vielen anderen unterschrieben wurde, sei der Weg, um die Welt nicht der Willk�r einer "Globalisierung ohne Antlitz" auszusetzen, die "unvermeidlich grausam" werde. "Der Dialog l�sst nicht unverteidigt, er sch�tzt. Er schw�cht nicht, er st�rkt." Dieser trotzigen Feststellung im Appell folgt eine Erkenntnis, die Glaubensgemeinschaften in der Vergangenheit vergessen haben und in der Gegenwart manchmal verdr�ngen: "Die Religionen rechtfertigen niemals Hass und Gewalt." Das ist Klartext. Um solchen geht es auch beim n�tzlichen Dialog, nicht um das akademische Gespr�ch.

"Gott ist Frieden", sagt der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper, "wer sich auf Gott beruft, um einen Krieg vom Zaun zu brechen, beleidigt Gott und die Menschen." Ihm antwortet Mohamed Amine Smaili, moslemischer Theologe von der marokkanischen Uni Rabat: "Es gibt keine heiligen Kriege." "Nur der Frieden ist heilig", f�gt Ren� Samuel Sirat an, der Chef der europ�ischen Rabbiner-Konferenz aus Paris. Die drei tr�umen von einem Kolleg, wo die Vertreter verschiedener Religionen gemeinsam studieren k�nnen - um in der Zukunft Fehler und Missverst�ndnisse der Vergangenheit zu vermeiden. Eine Einrichtung, die "in zehn oder zwanzig Jahren eine neue religi�se F�hrungsschicht hervorbringt", erkl�rt Rabbiner Sirat.

Die ver�nderte Weltlage treibt die Weltreligionen zusammen - etwas wenigstens, weil diese ehrw�rdigen Institutionen in der Abh�ngigkeit von Mentalit�ten ihrer jeweiligen Kulturen und von Gewichten ihrer eigenen Geschichte sich nur langsam bewegen. Aber jetzt brennt es. Papst Johannes Paul II. versucht seit langem, das schwierige Verh�ltnis seiner katholischen zu den orthodoxen Kirchen in Ordnung zu bringen - mit unterschiedlichem Erfolg. Zwischen Rom und Moskau herrscht Eiszeit, das Packeis ist gerade in der j�ngsten Vergangenheit noch dicker geworden. Aber in Palermo war auch das so umworbene wie sperrige orthodoxe Patriarchat Moskau vertreten. Die neuere Entwicklung hat auch die interreligi�sen Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Moslems belastet. Aber nach Sizilien ist neben l�ngst dialogbereiten Islam-Vertretern auch ein Ayatollah aus Iran gekommen.

Nicht nur die Pr�senz war breiter als fr�her; angesichts der Anschl�ge vom 11. September wird auch offener gesprochen, mit weniger Diplomatie und H�flichkeit. Ayatollah Ali Taschkiri bezog sich auf Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Weltreligionen, die sich vom Stammvater Abraham ableiten und gemeinsame Werte haben. "Fragen wie Menschenrechte, Gerechtigkeit, Familie und auch Terrorismus sind alles Gegenst�nde", so der iranische Gelehrte, "die einen gemeinsamen Gesichtspunkt in allen g�ttlichen Religionen haben." Mit wohlgesetzten Worten pl�dierte der Ayatollah f�r das Anti-Gewalt-Mittel Dialog an Stelle eines zwangsl�ufigen "Kampfes der Kulturen". Samuel Huntington, dem nicht anwesenden Propheten dieses unvermeidlichen "Kampfes", m�ssen in diesen Tagen die Ohren oft geklingelt haben. Seine Thesen stie�en auf heftigen Widerstand; "infam" fand sie etwa der moslemische Theologe Mehmet Aydin aus Izmir.

Der Zusammenbruch des Friedensprozesses im Nahen Osten stellt das Verh�ltnis zwischen Juden, Moslems und Christen auf harte Proben. In gro�en Linien wie beim Lebensrecht f�r zwei V�lker in einem Land kann man sich noch eher verst�ndigen als in manchen einfacheren Fragen. Die beiden Intellektuellen Ehud Yaari vom israelischen Fernsehen und Leila Shahid, PLO-Botschafterin in Paris, lieferten einander tats�chlich einen Schlagabtausch �ber die Existenz eines j�dischen Tempels in Jerusalem. Von Pal�stinensern oft geleugnet, r�umte Leila Shahid zu dem von den R�mern im Jahre 70 nach Christus zerst�rten Bauwerk nur ein: Wenn die Juden an dessen Existenz glaubten, verdiene dies "Respekt".

Roman Arens