Comunità di S.Egidio


 

S�ddeutsche Zeitung

12/09/2003


Lavendel und Weihrauch
Beim Weltfriedenstreffen in Aachen stritt man wohltemperiert

 

In derselben Woche, in der die Evangelische Kirche auf 100 Seiten die mangelnde Religionsfreiheit in Afrika und Asien kritisiert hatte, an jenem Tag, an dem Ariel Scharon die Liquidation der Hamas F�hrer ank�ndigte und Scheich Jassin seinerseits damit drohte, "die Tore der H�lle" f�r die Juden zu �ffnen, an jenem Abend, an dem George W. Bush 87 Milliarden Dollar f�r den Wiederaufbau des Iraks und f�r den Krieg gegen den Terror forderte da sprach Andrea Riccardi zu 3000 Menschen aus 62 L�ndem: "Die Religionen sind ein Ackerfeld, auf dem Hoffnungen wachsen. Wir m�ssen den Mut aufbringen, unsere heutige Welt mit Hoffnung zu erf�llen. Wir m�ssen den Mut aufbringen, vom Frieden zu tr�umen. Es ist der sch�nste und realistischste Traum der Menschheit." Ist Andrea Riccardi ein Phantast?

1968 war der italienische Historiker ein Sch�ler. Mit anderen Sch�lern traf er sich zum Gebet und zur Obdachlosenf�rsorge. In den Slums von Rom gr�ndeten sie eine Nachmittagsschule die Gemeinschaft Sant'Egidio war geboren. Heute besteht sie aus 40 000 Mitgliedern in �ber 60 L�ndern. Wo Krieg, Armut, Verfolgung herrschen, ist Sant'Egidio meist zur Stelle. Auch im mosambikanischen B�rgerkrieg vermittelte die Gemeinschaft; am 4. Oktober 1992 wurde in den R�umen von Sant'Egidio der Friedensvertrag unterzeichnet. Seit 1987 laden die "Menschen des Friedens" j�hrlich zum Weltfriedenstreffen und setzen so den Dialog zwischen den Religionen fort, der ein Jahr zuvor auf Einladung des Papstes in Assisi begonnen hatte. Wenn Sant'Egidio ruft, kommen sie alle: Hinduisten, Shintoisten, Buddhisten, Moslems, Juden, die kongolesische "Kirche des Christus auf der Erde des Propheten Simon Kimbangu" und auch die seit "Dead man walking" bekannte Aktivistin gegen die Todesstrafe, Helen Prejean.

Im Geist von Assisi

Zum erstenmal war mit Aachen nun eine deutsche Stadt Gastgeberin. Im Tagungszentrum "Eurogress", das sich k�hl eine L�cke zwischen Spielbank und neoklassizistischem Luxushotel zunutze macht, war der "Geist von Assisi'' zun�chst eine Frage des Umgangstones. Die Geste z�hlte viel; ein islamischer Theologe bekannte sich zum barmherzigen Gott des Alten Testaments, ein franz�sischer Rabbiner nickte freudig, und der Abgesandte des Obersten Priesters des japanischen Tendai Buddhismus, gekleidet in ein violettes Gewand mit gelber Sch�rpe, applaudierte. Ein �hnlicher Br�ckenschlag ereignete sich, als der M�nchner Kardinal Wetter die apostolische Suche nach "Frieden mit allen" pries und der Direktor des Rissho Kosei-Kai Klosters ihm beipflichtete: Buddhisten bereuten ihre Missetaten und seien friedfertig zu allen "Kindern des Lebens". Genau in diesem Moment schlenderten zwei Polizisten am Tagungsraum vorbei; ihre vielen Kollegen wie auch die bulligen Einlasskontrolleure erinnerten an den friedlosen Norrnalfall des Zusammenlebens.

Doch nicht nur drau�en, jenseits des Glashauses erhob die Drohung ihr Gesicht. Auch in den erregten Stimmen, den frostigen Minen und der lauernden Ungeduld machte sich pl�tzlich ein Klimawechsel bemerkbar: die vierzehnte der 30 Gespr�chsrunden versuchte sich an einem �Dialog �ber die Zukunft� des Nahen Ostens. Stolz erkl�rte Elias Chacour, der als christlicher Pal�stinenser und israelischer Staatsb�rger das Widerstrebende in sich vereint, dass am 21. Oktober unter seiner �gide die erste j�disch-christlich-arabische Hochschule Israels er�ffne. Erleichtert klatschte das Publikum, dem noch die Ohren klangen vom Statement Tyseer Al-Tamimis, des Vorsitzenden Richters am Sharia Court der pal�stinensischen Autonomiebeh�rde. Der Islam sei eine �Religion des Friedens�, die auf dem Schutz und der W�rde jeglichen menschlichen Lebens basiere. Nur in einem einzigen Fall d�rfe Gewalt angewendet werden, dann n�mlich, "wenn euch jemand aus dem Haus jagt". Da. stand sie im Raum, die religi�se Legitimation des Terrors gegen die Besatzer, ein Bruch mit den Grundprinzipien von Sant'Egidio. Oded Ben Hur, Botschafter Israels am Heiligen Stuhl, bekundete dennoch "Sympathie mit den Pal�stinensern". An die Weltgemeinschaft richtete er eine skurrile Bitte: "Besucht uns, kommt alle her. Bei f�nf Millionen Touristen h�tten wir keine Zeit mehr, Krieg zu f�hren. "

Unser Herz brennt

Auch dem zweiten schwelenden Krisenherd, dem Irak, war ein Forum gewidmet. Drei Bewohner dieses geschundenen Landes diskutierten miteinander, ein Schiit, ein Sunnit, ein Chald�er, und es schien, als lebten sie in drei Welten, die einander nur ger�chtehalber kennen. Der Historiker Ahmed Mohammed leitet eine "Vereinigung f�r N�chstenliebe", die sich f�r das Zusammenleben von Muslimen und Christen einsetzt. Mohammed, ein Sunnit, lobte die "religi�se Pluralit�t", die der Islam lehre. Ziel aller Religionen sei die "Befreiung der Unterdr�ckten dieser Erde". Sayed Aiad Aldin schockierte das Auditorium mit dem Satz: "Krieg ist nicht das Schlimmste. Unfreiheit ist schlimmer." Der Schiit, nach dem Sturz des Saddam Regimes aus dem Exil zur�ckgekehrt, dankte den USA_ dass sie die T�ren des Gef�ngnisses Irak ge�ffnet haben".

Kaum anh�ren mochte der chald�ische Weihbischof von Bagdad die gesetzten Worte seiner Vorredner. Mit lauter Stimme und gro�en Gesten holte er aus zur Beschreibung einer Trag�die: Nein, alles sei besser als das Chaos, das nun im Irak herrsche; sehr dunkel sei die Zukunft, noch dunkler die Gegenwart. �berall seien Sch�sse zu h�ren, Banden pl�nderten die St�dte, Kinder w�rden entf�hrt, alte Menschen verhungerten, das Wasser sei verseucht, Sicherheit gebe es nirgends. "Wo ist die Freiheit?", schrie Bischof Shlemon Warduni, "unser Herz brennt, helft uns, habt Erbarmen." Die Europ�er und Amerikaner h�tten Saddam die Waffen gegeben, nun seien sie auch verpflichtet, Ruhe und Ordnung zu schaffen. "Warum", schloss Warduni seine Anklageschrift, "warum wird dieses Volk immer ans Kreuz genagelt?"

Keiner konnte die Frage beantworten, denn dazu h�tte aus dem interreligi�sen ein politischer Dialog werden m�ssen. Politiker aber wurden in Aachen kaum gesehen. Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass eher Glaubensgemeinschaften als Regierungen den Weg zu Sant'Egidio finden. Gerade, wenn es um den Irak und den Nahen Osten ging, wurde jedoch ein Vertreter der Exekutive schmerzlich vermisst. So dominierte trotz gelegentlichen Furors die wohltemperierte Mittellage auch bei den religi�sen Streitpunkten, da sich durchweg Vertreter einer liberalen Exegese einfanden. �ber welchen R�ckhalt in der islamischen Welt die aufgekl�rten Theologen aus Tunis oder Kairo verf�gen, blieb offen. Einzig die russische Orthodoxie lie� sich nicht davon abbringen, den theologischen Liberalismus des Westens laut anzuklagen. Die Tatsache aber, dass der Moskauer Metropolit Kyrill gemeinsam mit Kardinal Walter Kasper und dem Patriarchen von Antiochien diskutierte, ist in �kumenischer Eiszeit ein Hoffnungszeichen.

Wer zum Friedenstreffen kam, der wollte reden. Den Abwesenden galt ein Aufruf. Am letzten Abend, hinter dem Dom, kurz vor Sonnenuntergang, wurde der Friedensappell 2003 verlesen: �Der Dialog ist eine Medizin, die Wunder heilt. Er entzieht der Logik des Terrors jede Grundlage. Niemals k�nnen die Religionen Hass und Gewalt rechtfertigen.� F�r einen Aachener Augenblick lang war dieser globale Frieden tats�chlich Realit�t. Die Luft roch nach Lavendel und Weihrauch - an jenem Abend, als in Israel zwei Selbstmordattent�ter 15 Menschen in den Tod rissen.

Alexander Kissler