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11 Сентября 2012 09:30 | Dom Armie Kino Hall

Rede von Rita Prigmore in Sarajevo, 11.9.2012



Rita Prigmore


Sinta woman, survived at Porrajmos

Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Rita Prigmore, ich fühle mich sehr geehrt und freue mich, dass ich heute zu Ihnen bei diesem bedeutenden Treffen: "Zusammenleben ist unsere Zukunft" sprechen kann. Das Thema: "Minderheiten im Horizont der globalen Welt" ist unser Thema, das Thema der Sinti und Roma weltweit. Ich bin eine Zigeunerin aus Deutschland, eine Überlebende des Holocaust. Viele meiner Familie wurden in Auschwitz, Dachau, Bergen Belsen und in anderen Lagern getötet. Ich gehöre zur Generation, die die Gräuel des Nationalsozialismus erlebt und mit dem eigenen Leben erlitten hat. Ich bin am 3.3.1943 in Würzburg geboren, in der Zeit, als schon viele Zigeuner nach Auschwitz oder in andere Lager deportiert worden waren. Meine Mutter hat den Holocaust überlebt, weil sie sich einverstanden erklärt hatte, sich von mir und meiner Zwillingsschwester nach der Geburt zu trennen und sich anschließend sofort sterilisieren zu lassen. Ansonsten wäre sie nach Auschwitz deportiert worden. So wurden ich und meine Schwester nach der Geburt von meiner Mutter getrennt und kamen in die Hände von Dr. Heyde, dem Chef des rassenbiologischen Amtes und der Universitäts-Frauenklinik in Würzburg, ein Schüler des berüchtigten Auschwitzarztes Mengele, der sich auf Zwillingsforschung vor allem bei Zigeunern "spezialisiert" hatte. Er wollte eine neue Menschenrasse züchten die blond und blauäugig ist. Meine Zwillingsschwester starb an den medizinischen Versuchen, ich überlebte.

Ich fragte mich oft und immer wieder: Woher kommt die Diskriminierung? Warum geschehen diese schrecklichen Dinge gegen Menschen, die nichts getan haben, außer dass sie ein anderes Aussehen haben oder einem anderen Volk angehören? Gehören wir nicht alle gemeinsam der "menschlichen Rasse" ohne Unterschiede an? Sicher, wir sind verschieden, wir haben verschiedene Augenfarben, verschiedene Haarfarben, Denken unterschiedlich und haben unterschiedliche Geschichten.
Wenn man gefragt wird, woher kommst du, dann verändert sich plötzlich alles. Dann bist nicht mehr der Mensch an und für sich, sondern dann bist du Jude, Zigeuner, Pole, Tscheche, Türke, Moslem oder irgendeine andere Minderheit. Woher kommt es, dass du plötzlich deine Rechte als Mensch verlierst, wenn jemand hört, dass du Zigeuner bist? Ich glaube, dass nur Gott, der uns erschaffen hat, das Recht hat, über uns Menschen zu entscheiden oder zu urteilen.

Leider gingen die Diskriminierung auch nach der Zeit des Nationalsozialismus weiter, als es um die Frage der Wiedergutmachung ging. Ich lebte in Amerika und bekam die amerikanische Staatbürgerschaft. Damit aber anerkannt wurde, dass an mir medizinische Versuche gemacht worden waren, verlangten die deutschen Behörden von mir, dass ich nach Deutschland zurückkehre. So musste ich mich von meinem Mann und meinen Kindern in den USA im Jahr 1982 trennen und bekam erst im Jahr 1988 die Anerkennung.

Roma und Sinti in Europa
Die Lage der Sinti und Roma in den Ländern Europas ist nicht einfach, obwohl wir seit rund 600 Jahren in Europa leben. Ursprünglich stammen wir aus Ägypten und Indien, das wir vor rund 1000 Jahren verließen. Wir kamen in Gruppen über verschiedene Länder, ein Teil von uns blieb im östlichen und südöstlichen Europa, eine andere Gruppe reiste weiter nach Westeuropa, unter anderem in deutsche Gebiete.
Sinti und Roma haben in keinem Land der Welt die Bevölkerungsmehrheit, sie sind jedoch zahlenmäßig die größte Minderheit in Europa. Weltweit gibt es schätzungsweise 12 Millionen Sinti und Roma. In Europa leben heute etwas 8 bis 10 Millionen Zigeuner.

Die Geschichte der Sinti und Roma in Europa ist begleitet von Diskrimierungen und Verfolgung. In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland wurden ca. 500 000 Sinti und Roma Opfer des Genozids. Doch bis heute sind Sinti und Roma Diffamierungen und Angriffen ausgesetzt. Eine Studie der Europäischen Grundrechteagentur von 2009 zeigt, dass wir europaweit am stärksten von Diskriminierung betroffen sind. 47 Prozent der befragen Angehörigen von Roma und Sinti berichteten, innerhalb eines Jahres mindestens einmal Opfer von Diskriminierungen geworden zu sein. Vorurteile und antiziganistische Klischees sind bis heute an der Tagesordnung. Sinti und Roma sehen sich mit dem pauschalen Vorwurf konfrontiert, ein Volk von Bettlern, Kriminiellen und Landstreichern zu sein.
Leider werden wir oft an den Rand der verschiedenen Gesellschaften gestellt. Wir stecken in einem Teufelskreis von Armut und Bildungsmangel. Unsere Kinder werden oft in Sonderschulen abgeschoben, was zu verminderten Chancen auf einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Arbeit führt. Das betrifft 10 000 von Romakindern. Ein weiteres Problem, das unser Volk lebt, ist die Stigmatisierung. Von den Medien werden oft einzelne Fälle verallgemeinert und auf das ganze Volk übertragen. Große Sorge macht uns ein wachsender Antiziganismus in Osteuropa, der z.B. in Ungarn zu offene Angriffe gegen Roma geführt hat, ja, Roma wurden sogar getötet.  Es hat dramatische Situationen gegeben, in denen wir Angst hatten, unsere Häuser zu verlassen. Mein Wunsch ist es, dass viele Menschen helfen, dass diese Stigmatisierungen beseitigt werden.

Der EU Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Vladimir Spidla sagte: "Die Verbesserung der Lebensgrundlagen der Roma sei ein Gradmesser für den Humanismus Europas. Gegenwärtig ist die Lage jedoch prekär."

Wenn ich  die Geschichte meiner eigenen Familie der Sintis in Deutschland ansehe, dann muss ich erkennen, dass unser Volk vor der Zeit des Nationalsozialismus viel mehr im normalen Leben der Bevölkerung integriert war als heute. Mein Großvater war Korbmacher, hatte Besitzungen und war Mitglied der Korbmacherinnung. Meine Mutter hatte ein Engagement am Theater in Würzburg, viele Sintis waren Soldaten und kämpften im 1. Weltkrieg auch in hohen Positionen, viele waren anerkannte Musiker, die in Kurhäusern ein Engagement hatten.

Unser Wunsch der Integration in jedem Land
Wir Sinti und Roma besitzen kein eigenes Land und wir erstreben dies auch nicht. Deshalb wollen wir vollwertige Bürger der Länder sein, in denen wir leben. Der Wunsch unseres Volkes ist sehr groß, sich in allen Ländern, in denen wir leben zu integrieren. Wir möchten, dass unsere Kinder die Schulen besuchen und einen guten Schulabschluss machen. Wir möchten, dass unsere Jugendlichen gute Bildungschancen haben und Perspektiven auf ein würdiges Leben. Wir wollen vollberechtigte Bürger in den Ländern sein in denen wir seit Generationen, ja seit Jahrhunderten leben. Wir Sinti und Roma möchten arbeiten, möchten würdig leben.

Wir müssen gemeinsam gegen jede Art von Rassismus kämpfen
Unsere Aufgabe ist es jetzt, gegen jede Art von Rassismus zu kämpfen. Und wir müssen gemeinsam kämpfen und uns einsetzen. Deshalb bin ich sehr froh, hier bei diesem Kongress zu sprechen, ich bin sehr dankbar dass die Gemeinschaft Sant'Egidio mich im Juli eingeladen hatte, vor 500 Jugendlichen aus westeuropäischen Ländern in Auschwitz zu sprechen und im September vor über 1300 Jugendlichen aus Osteuropa. Ich sehe es als meine Aufgabe an, nicht zu schweigen, sondern meine Geschichte zu erzählen, damit eine neue Generation von Jugendlichen heranwächst, die Respekt vor jedem Menschen hat und weiß, dass jede Art von Vorurteil am Ende in einer Katastrophe wie Auschwitz enden kann.

Schlusssatz
Ich bin der Überzeugung, dass es uns gemeinsam gelingen wird, eine Gesellschaft in Europa und weltweit aufzubauen, in der Sinti und Roma und alle anderen Minderheiten nicht mehr diskriminiert werden, sondern menschenwürdig und frei, ohne Angst leben können, indem man erkennt, dass es ein Reichtum ist, wenn Menschen die verschieden sind, zusammen leben. "Zusammenleben ist unsere Zukunft".