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November 20 2008

Jeder auf seine Weise gegen den Dämon der Gewalt

Auf dem Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant' Egidio beten Juden neben Katholiken, Muslime neben Sikhs. Dieses Jahr kam man in Nikosia zusammen, der letzten geteilten Stadt Europas. Von Daniel Deckers

 
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NIKOSIA, 19. November. Über dem "Gebet der Religionen für den Frieden" ist es Abend geworden auf Zypern. Am Nachmittag, noch im warmen Licht der untergehenden Sonne, hatten sich die mehr als 200 Repräsentanten aller Weltreligionen und annähernd tausend Gäste und Freunde der katholischen Gemeinschaft Sant' Egidio im Zentrum der zyprischen Hauptstadt eingefunden, um das diesjährige Friedenstreffen mit einer feierlichen Zeremonie zu beenden. Jetzt, im Anschluss an das Gebet, strebt die drei Tage währende Veranstaltung ihrem Höhepunkt und Abschluss zu: der Unterzeichnung eines Friedensappells. Doch was heißt hier Gebet? Und was Frieden, inmitten der Altstadt von Nikosia, der letzten geteilten Stadt in Europa?
 
Als Papst Johannes Paul II. 1986 zum ersten Mal Religionsführer aus aller Welt zu einem gemeinsamen Gebet für den Frieden nach Assisi einlud, standen Katholiken und Muslime, Buddhisten und Juden zusammen. In Nikosia versammeln sich die Gläubigen an verschiedenen Orten, um dort in ihrer jeweiligen Tradition um Frieden zu beten, ohne einander und der Welt Anlass zu Missverständnissen zu geben, als beteten alle zu demselben Gott: die Juden, an ihrer Spitze der orthodoxe Rabbi David Rosen, der Vorsitzende des Internationalen Jüdischen Komitees für den interreligiösen Dialog, beten unter freiem Himmel; in der Aula einer Schule versammeln sich Buddhisten, auf dem Sportplatz dahinter lädt ein Sikh ein, man möge sich zu ihm setzen, derweil von oben der Gesang japanischer Tenrikyo-Priester zu vernehmen ist; und wohl zum ersten Mal während eines Friedenstreffens versammeln sich die Muslime, Sunniten wie Schiiten, Nordafrikaner, Iraner und Indonesier, in einer großen, der Omeriye-Moschee - der ehemaligen Klosterkirche der Augustiner, die zu osmanischen Zeiten zu einer islamischen Gebetsstätte wurde.
Gerade weil die Gemeinschaft Sant' Egidio die Unterschiede zwischen den Religionen und Konfessionen nicht verwischt, ist das Zeichen, das sie im Licht der untergehenden Sonne mit dem gleichzeitigen Gebet an verschiedenen Orten setzt, nicht weniger stark als der Impuls, den Johannes Paul II. mit dem ersten Friedenstreffen in Assisi und zum zweiten Mal nach den Anschlägen des 11. September 2001 an gleicher Stelle gegeben hatte: Religionen können Menschen und Völker voneinander trennen und Hass und Gewalt befeuern. Doch sie können Menschen und Völker auch zusammenführen und sie Respekt vor der Überzeugung des anderen und Achtung vor der Würde jedes Menschen lehren. Denn bei dem Gebet an getrennten Orten bleibt es nicht. Auf dem hell erleuchteten Platz vor dem Palast des Oberhauptes der zyprisch-orthodoxen Kirche mitten in der Altstadt von Nikosia gehen nun Patriarchen und Kardinäle, Metropoliten und Ordensleute den Juden entgegen, begrüßen die Muslime, die in einer Prozession durch die fast menschenleere Altstadt hierhergekommen sind, nehmen Japaner und Inder, Mönche aus Tibet und Burma in die Mitte - ganz so, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass die Religionen womöglich mehr miteinander verbindet als voneinander trennt.

Die Friedenstreffen, die nach der Premiere in Assisi im Jahresrhythmus zumeist in Europa stattfinden, sind nicht nur eine feste Tradition im Leben vieler katholischer Christen bis hin zu zahlreichen Kardinälen aus aller Welt geworden, sondern auch zu einem Ort der zwanglosen Begegnung und des herzlichen Wiedersehens, aber auch des vertraulichen Dialogs über alle religiösen und konfessionellen Grenzen hinweg. Das sieht mittlerweile auch Papst Benedikt XVI. so, der im vergangenen Jahr das Friedenstreffen der Gemeinschaft in Neapel eröffnete. Freilich erfährt auch die Gemeinschaft immer wieder, dass ihrem Wirken nach innen wie nach außen Grenzen gesetzt sind, die sie nicht überwinden kann. Während das Oberhaupt der zyprisch-orthodoxen Kirche, Chrysostomos II., als Gastgeber des diesjährigen Treffens zu Beginn der Abschlussfeier im Anschluss an das Friedensgebet die Teilnehmer von nah und fern begrüßt, trägt der Wind den Ruf des Muezzins aus dem türkisch besetzten Nordteil der zyprischen Hauptstadt hinüber. Zum wiederholten Mal beklagt Chrysostomus die türkische Aggression gegen sein Land und die Schande, die die Regierung in Ankara über viele Kirchen und Klöster im Nordteil der Insel gebracht habe. Auch Andrea Riccardi spricht davon, dass Zypern, die "schöne und verwundete Insel", der letzte Ort in Europa sei, der von einer Mauer getrennt werde, weil die Macht des Nationalismus noch nicht gebrochen sei. Riccardi und mit ihm Sant' Egidio verstehen es jedoch, in diesem wie in vielen anderen Konflikten nicht Partei zu nehmen, sondern bemühen sich, Brücken von der einen auf die andere Seite zu schlagen.

Delegationen der Religionsvertreter sprachen in den vergangenen Tagen mit den Unterhändlern der zyprischen und der türkischen Seite sowie mit dem UN-Verwalter, dem die Aufsicht über die Pufferzone und die Friedenstruppe der Vereinten Nationen unterliegt, die seit 1974 beide Seiten voneinander trennt. Zu einer Begegnung mit religiösen Autoritäten der türkischen Seite kam es jedoch nicht. Es blieb bei dem schweigenden Besuch einer christlich-muslimischen Delegation, in ihren Reihen der Aachener Bischof und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Heinrich Mussinghoff, in der Selimiye-Moschee im Nordteil Nikosias, der ehemaligen Kathedrale der Stadt, die im 13. Jahrhundert errichtet worden war und unter osmanischer Herrschaft zu einer Moschee wurde.
Die Tragödie Zyperns war indes nicht der einzige Schatten, der sich über das diesjährige Friedenstreffen legte. Denn unter den zahlreichen Repräsentanten der christlichen Kirchen, die am späten Dienstagnachmittag mehr als eine Stunde gemeinsam miteinander beteten, fand sich kein Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche. Sie hatten es vorgezogen, dem Treffen fernzubleiben, weil der Metropolit der estnisch-orthodoxen Kirche, die sich von Moskau losgesagt hat, der Einladung von Erzbischof Chrysostomos nach Zypern gefolgt war. Immerhin: Als Ausdruck der Wertschätzung, die Sant' Egidio seit langem auch von der Russischen Orthodoxen Kirche entgegengebracht wird, hatten sich die Russen erst gar nicht auf den Weg nach Zypern gemacht. Gewöhnlich reisen die Vertreter Moskaus zu vergleichbaren Veranstaltungen an, um sie dann unter Protest zu verlassen, sobald sie der Abtrünnigen ansichtig werden.

Doch als wollten Repräsentanten vieler anderer christlicher Konfessionen, deutsche Protestanten und nigerianische Pfingstkirchler, Syrisch-Orthodoxe und Armenier, Kopten und Katholiken, zusammen mit Repräsentanten aller großen Religionen dieser Welt ein Zeichen gegen diesen Anachronismus setzen, strahlen nun die Gewänder und Kopfbedeckungen von Sikhs und von Muslima, von japanischen Tendai-Buddhisten von der großen Bühne im Vorhof des erzbischöflichen Palastes herab. Denn kein Konflikt vermag die Mitglieder und Freunde von Sant' Egidio von ihrer Überzeugung abzubringen, dass nur Gerechtigkeit zum Frieden führt und Dialog allemal besser ist als Schweigen.
Die Vergangenheit gibt ihnen nicht nur Unrecht: Mitglieder der Gemeinschaft haben nicht nur zu Beginn der neunziger Jahre den Frieden zwischen den Bürgerkriegsparteien in Moçambique vermittelt. Auch in Albanien ist die Gemeinschaft seit Jahren durch stille Diplomatie daran beteiligt, dass der Übergang von einem totalitären Regime zu einer Demokratie auf gutem Weg ist. Auch das Programm des dreitägigen Friedenstreffens auf Zypern war nur die Außenseite der vielfältigen Aktivitäten der Gemeinschaft rund um den Globus. Dass sich israelische Regierungsmitglieder und Repräsentanten der Palästinenser unter dem Dach von Sant' Egidio treffen, ist fast schon Routine, ebenso das öffentliche Gespräch der Repräsentanten von Gruppen, die einander im Libanon befehden. Doch mindestens ebenso ausführlich wie die Podiumsdiskussionen sind die vielen Gespräche hinter den Kulissen, deren Früchte vielleicht erst in einigen Jahren zu sehen sein werden.

Nach der Rede des Oberhaupts der zyprisch-orthodoxen Kirche ist es an Andrea Riccardi, dem Begründer von Sant' Egidio, auf den letzten Akt des Friedenstreffens einzustimmen: die Unterzeichnung des Friedensappells, der anschließend mit einem Ölzweig geschmückten Kindern übergeben und allen anwesenden Politikern und Diplomaten ausgehändigt wird. "Der Dialog macht nicht wehrlos, sondern er beschützt", sagt Riccardi. "Er schwächt nicht, sondern stärkt. Er verwandelt den Fremden, den Feind, in jemanden, der zur eigenen Familie gehört. Dabei bringt er die Befreiung vom Dämon der Gewalt."

Ehe aber die ausschließlich männlichen Religionsführer den Appell unterschreiben und ihre Überzeugung bekräftigen, dass Krieg niemals heilig sein kann, hat eine Frau das Wort: Ingrid Betancourt, die franko-kolumbianische Politikerin, die im August nach sechseinhalb Jahren Geiselhaft aus den Händen der Farc-Terroristen befreit worden war. Sie verliest mit fester Stimme einen Aufruf zum Frieden, der in den Worten gipfelt: Dem Glaubenden ist nichts unmöglich. Als ihre Rede geendet hat, sind der Imam Mohamed Ali Abtahi, der Präsident des Instituts für Interreligiösen Dialog in Teheran, und die Vertreter des Judentums unter den Ersten, die sich zu ihrer Ehre von ihr
en Plätzen erheben.


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