Aachen 2003

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Montag, 8. September 2003 - Eurogress
Europa und Afrika: Eine neue Solidarit�t

  
  

Christa Nickels
Mitglied des Bundestags, Deutschland
  

Die politischen und wirtschaftlichen Umw�lzungen unserer Zeit erfordern von uns allen ein Umdenken und eine Anpassung an die ver�nderten Umst�nde. In diesem Zusammenhang m�ssen auch Afrika und Europa ihr Verh�ltnis zueinander im 21. Jahrhundert neu definieren und nach L�sungsm�glichkeiten suchen, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.

Diskussionen �ber Afrika waren und sind in Europa oft noch gepr�gt von einem starken Eurozentrismus und einer nicht geringen Selbstgerechtigkeit. Dabei herrscht ein Bild von Afrika vor, das fast ausschlie�lich aus Krisen und Konflikten, Hunger, Armut und Krankheit besteht. Diesen Afrika-Pessimismus m�ssen wir �berwinden. Wir m�ssen den Reichtum afrikanischer Kultur und die F�higkeiten und die Kraft der Menschen als Chance begreifen f�r einen Wandel zur selbstverantwortlichen Entwicklung Afrikas. Und es gibt bereits positive Entwicklungen; Die NEPAD-Initiative ist ein wichtiger Schritt und ein Bekenntnis zur Eigenverantwortung Afrikas. Und die Umwandlung der OAU in die Afrikanische Union hat einen institutionellen Rahmen geschaffen, der den Dialogs Afrikas mit der internationalen Gemeinschaft erleichtert. Zudem sind in der Gr�ndungsakte der AU erstmalig die Achtung von Menschenrechten, Demokratie und gute Regierungsf�hrung verankert. Das in diesem Zusammenhang oft verwendete Schlagwort "African Ownership" beinhaltet die Vision eines neuen afrikanischen Pragmatismus und einer afrikanischen Entwicklung, die eingebettet ist in die Globalisierung,

Die EU muss diese Entwicklungen unterst�tzen. Was von uns gefordert ist, ist keine Solidarit�t der Wohlt�tigkeit, sondern eine nachhaltige, strukturelle Zusammenarbeit beider Kontinente. Afrika muss dabei als Partner ernst genommen werden. Zu lange hat Europa seine historische Verantwortung aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit vernachl�ssigt. Und diese Vernachl�ssigung hatte und hat dramatische Folgen. In Somalia scheiterte 1992 eine Intervention afrikanischer Truppen mangels eines politischen Konzepts, kurz darauf nahm die internationale Gemeinschaft den V�lkermord in Ruanda faktisch tatenlos hin. Auf die derzeitigen Entwicklungen im Kongo, in Liberia, in Burundi, in Mosambiquwe und in vielen anderen L�ndern des Kontinents verlangen nachhaltige Aufmerksamkeit und Engagment von Seiten der EU. Es muss ein Ende haben mit kurzfristigem Kriseninterventionismus, der immer erst dann einsetzt, wenn bereits Tausende Menschen brutal ermordet und vertrieben worden sind und einem das Elend aus allen Medien entgegen schreit.

Europa und die Welt m�ssen Afrika bei der L�sung seiner Probleme unterst�tzen. Konflikte und B�rgerkriege, Unterentwicklung, Umweltzerst�rung, zerfallende Staatsstrukturen und die Ausbreitung von AIDS sind Herausforderungen, auf die Europa und Afrika nur gemeinsam reagieren k�nnen. Viele L�nder Afrikas sind in internationale Netzwerke des Rauschgift- und Waffenhandels, der Schlepperbanden von Fl�chtlingen und sogar in Terrornetzwerke eingebunden. Diese Netzwerke k�nnen nur wirksam bek�mpft werden, wenn sich der Westen in Afrika st�rker f�r Frieden, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Priorit�ten einsetzt. Was dabei unbedingt erforderlich ist, ist eine Balance von Solidarit�t und Selbstverantwortung.

Konkret kann Europa die afrikanischen Staaten in ihren eigenen Anstrengungen um Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit unterst�tzen, ob nun beim Aufbau des Justizwesens, der Polizei, bei der St�rkung der Zivilgesellschaft oder bei der Bem�hung um eine angemessen Repr�sentanz von Minderheiten. Dabei ist klar, dass eine solche Unterst�tzung nur begrenzt m�glich ist, denn die Demokratisierung muss im eigenen Land gewollt und von zivilgesellschaftlichen Kr�ften getragen sein. Auch gibt es kein allgemein g�ltiges Demokratie-Modell, das sowohl f�r Europa wie f�r Afrika "passt". Jedes afrikanische Land muss selbst entscheiden, welche Form und Auspr�gung der Demokratie im eigenen Land am effektivsten greift. Unabh�ngig davon m�ssen aber von allen universelle Werte beachtet werden. Dazu geh�ren die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Glaubens- und Meinungsfreiheit und freie und unabh�ngige Medien. Dies sind die S�ulen, die eine stabile Demokratie ben�tigt. Sie k�nnen auch mit dem Schlagwort Good Governance, also gute bzw. verantwortungsvolle Regierungsf�hrung, bezeichnet werden.

Die Verh�tung von Konflikten und die Friedenssicherung sind unbedingte Entwicklungsvoraussetzung und m�ssen f�r Europa im politischen Dialog mit Afrika eine oberste Priorit�t einnehmen. Eins�tze ziviler wie milit�rischer Friedenskr�fte aus Europa werden in Afrika in absehbarer Zukunft nicht die Ausnahme bleiben; dazu ist eine Erh�hung der Mittel notwenig. Dar�ber hinaus kann Europa bei einem weiteren Aufbau afrikanischer peace-keeping-Aktivit�ten unterst�tzend wirken und seine Erfahrungen im Bereich Krisenpr�vention, zivile Konfliktbew�ltigung und Minderheitenschutz einbringen.

Europa und Afrika m�ssen gemeinsam auf eine nachhaltige Entwicklung hin wirken. Das hei�t vor allem, dass Afrika in die Weltwirtschaft integriert werden muss. Der Graben zwischen jenen, die am wirtschaftlich-technologischen Fortschritt teilhaben und denen, die daran nicht teilhaben, darf nicht noch gr��er werden Es ist die Pflicht der europ�ischen Union, die wirtschaftlichen Chancen Afrikas durch den substanziellen Abbau von Agrarsubventionen und von Handelsschranken zu verbessern. Die Hauptursache f�r kriegerische Konflikte in Afrika sind nicht etwa Stammeskonflikte, sondern Probleme des Zugangs zu Grund und Boden, der Kontrolle �ber Erl�se aus Diamanten-, Gold- und Coltan-Abbau, des Holzeinschlag oder der Erd�lf�rderung. Europa kann und muss noch viel leisten auf dem Gebiet der Transparenz �ber Rohstoffabbau und der Stilllegung illegaler Einnahmen von Regierungen.

Die F�rderung einer nachhaltigen Entwicklung ist aber auch notwendig in den Bereichen Umwelt, Armut, Schulden, Hunger und AIDS. Nur wenn die Unteilbarkeit von Freiheitsrechten einerseits und wirtschaftlichen und sozialen Rechten andererseits in der Gesellschaft gew�hrleistet ist, besteht eine reelle M�glichkeit von Frieden und Entwicklung. Gelingt dies nicht, wird auch Europa die Auswirkungen mittel- bis langfristig sp�ren. Es gibt daher f�r Europa keine Alternative zu einer konsequenten Politik der Markt�ffnung f�r afrikanische Exportprodukte, der Befreiung der �rmsten L�nder aus dem Teufelskreis der Schuldenkrise und der humanit�ren Hilfe im Fall von Naturkatastrophen und im Kampf gegen AIDS.

Der Westen nimmt die Kriege in Afrika oft als Endstufe eines kurzen Zivilisationsprozesses wahr, der vollst�ndig gescheitert ist. Hinter dieser Wahrnehmung steckt eine �berheblichkeit und Selbstgerechtigkeit, die nicht angemessen ist. Europa vergisst, dass es in seiner Zivilisationsgeschichte einen langen, brutalen und grausamen Entwicklungsprozess durchgemacht hat, um eine Monopolisierung der Gewalt zu erreichen und damit f�r den einzelnen eine gr��ere Sicherheit vor dem pl�tzlichen Ausbruch unmittelbarer Gewalt zu bieten. Aber auch unsere europ�ische Zivilisation ist alles andere als unbedroht; sp�testens die Balkan-Kriege haben die Illusion von 1989, die sich in dem Schlagwort "Das Ende der Geschichte" ausdr�ckte, nachhaltig zerst�rt. Wir k�nnen viel von Afrika lernen, und Afrika kann uns immer wieder daran erinnern, dass Zivilisation etwas ist, f�r das man k�mpfen und sich einsetzen muss.

 

 

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