Elisabeth Raiser
Pr�sidentin des �kumenischen Kirchentages 2003, Deutschland
Jedes Mal, wenn ich am Ende einer Predigt die S�tze h�re �Der Friede Gottes, der h�her ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus� f�hle ich eine Art Schauer, begleitet von Trost und Zuversicht. Der eigentliche Friede liegt in Gottes Hand, nicht in meiner. Und da dieser Friede uns in Jesus Christus bewahren soll, so ist es zugleich die Vergewisserung, dass Jesus in seinem irdischen Leben diesen Frieden gelebt hat, dass er also hier auf Erden m�glich ist, und dass Jesus Christus in seiner Auferstehung die Vers�hnung gebracht hat, die uns friedensf�hig macht. Das galt durch alle Jahrhunderte hindurch und gilt genauso f�r das 21. Jahrhundert. Zum Gl�ck �ndert sich diese Zusage ja nicht durch den Fortgang der Zeit! Mir scheint das f�r uns Christen ein unsch�tzbarer Trost und zugleich eine st�ndige Herausforderung zum Nachdenken �ber unsere M�glichkeiten den Frieden zu f�rdern und zum Handeln. Denn wenn sich auch die Zusage des Friedens, der von Gott kommt nicht �ndert, so wandeln sich doch die menschlichen, politischen und sozialen Bedingungen, in denen er sich verwirklichen kann. Und diese Bedingungen k�nnen wir als Christen mit gestalten. Selig sind, die Frieden schaffen: damit ist eine Grundhaltung, aber zugleich aktives Handeln gemeint. Frieden: das ist die Bedingung alles gelingenden, erf�llten Lebens. Wenn wir das Leben, dieses gro�e Geschenk Gottes, den Sinn seiner Sch�pfung bewahren wollen, dann brauchen wir Frieden. Welche M�glichkeiten haben wir Christen, Frieden zu schaffen und zu bewahren? Es gibt viele, wenn wir beginnen, dar�ber ernsthaft nachzudenken, und es gibt viele, die t�glich von unz�hligen Christen in die Tat umgesetzt werden. Die Arbeit von San Egidio ist ein gro�artiges Beispiel daf�r, und wie viele andere bin ich voller Bewunderung und Dankbarkeit daf�r. In meinem kurzen Beitrag heute m�chte ich von zwei Ans�tzen sprechen, die eigentlich zeitlos sind, aber im 21. Jahrhundert vielleicht eine besondere Dringlichkeit erlangt haben: Das ist einerseits der Versuch zur �berwindung einer weltweit herrschenden Kultur der Gewalt. Christen, die sich daf�r einsetzen, befinden sich in der direkten Nachfolge Jesu, der sein Leben f�r die �berwindung von Gewalt hingegeben hat. Ein sehr wichtiger Aspekt dieses Engagements ist die Vers�hnung der Erinnerungen (englisch reconciling memories), eine Vers�hnung, die die Grundlage legt f�r einen neuen Anfang in gest�rten oder gar zerst�rten Beziehungen. Der zweite Ansatz geht von der Verletzlichkeit alles Lebens aus, eine Verletzlichkeit, die wir nicht �berwinden k�nnen und wollen, sondern als ein Geschenk ansehen, das wahren Frieden erst erm�glicht. Vers�hnung der Erinnerungen : ich m�chte dazu zwei Begebenheiten erz�hlen; die erste habe ich selbst erlebt. Es war im Jahr 1987 und ich war Mitglied einer �kumenischen, internationalen Frauengruppe, die in Minsk unsere russischen Partnerinnen besuchte. Wir besuchten das Denkmal in Chatyn, das an die hunderte von verbrannten D�rfern und ihre viele tausende Einwohner erinnert, die in dem grausamen Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion ums Leben gekommen waren. Das Denkmal ersch�tterte mich sehr, und im Schutz der Kirche stammelte ich anschlie�end eine Bitte um Vergebung f�r das, was im Namen meines Volkes dem russischen Volk angetan worden war. Es flossen Tr�nen, und eine der russischen Frauen brachte mir einen kleinen gr�nen Birkenzweig als Zeichen der Vergebung und Vers�hnung. Wir sprachen �ber den Krieg und die S�hne, V�ter und Partner, die die Frauen und Kinder beider Seiten verloren hatten. Die Tr�nen, die wir weinten, galten beiden Seiten, nicht nur der jeweils eigenen. Am Schluss haben wir uns versprochen, uns zeit unseres Lebens verbunden zu bleiben und alles zu tun, damit sich ein solcher Krieg nie wiederholen werde: nicht zwischen unsern V�lkern, und nicht zwischen andern V�lkern. Die Stunden der gemeinsamen und schmerzlichen Erinnerung und des Versprechens waren wie Balsam auf meine Seele; ich glaube, �hnlich empfanden es die andern Frauen. Zugleich wei� ich, dass mich das Versprechen bindet und dass es mir vielleicht noch einiges abverlangen wird. Ohne den gesch�tzten Raum der Kirche und die Hoffnung auf die vers�hnende N�he Gottes w�re ich wohl nicht mutig genug gewesen, die Bitte um Vergebung auszusprechen. Ich glaube seither nicht nur aus gut �berlegten theologischen Gr�nden, sondern weil ich es existentiell erfahren habe, dass Gottes N�he uns hilft, Schritte zur Vers�hnung zu gehen, auch wenn sie mit Angst und Zittern verbunden sind. Ja, Christen k�nnen viel tun f�r die Vers�hnung der Erinnerungen: und dieser Auftrag verbindet sie mit der Vergangenheit, sowohl mit ihrer eigenen wie mit der ihrer j�dischen Br�der und Schwestern. Erinnerung ist das Geheimnis der Vers�hnung: dieser Satz der j�dischen Weisheit hat nichts von seiner Bedeutung verloren und wird nichts von seiner Bedeutung verlieren, auch nicht im 21. Jahrhundert. Dabei erinnern wir uns auch an die Zerbrechlichkeit des Lebens und unbesch�nigt an die Gewaltbereitschaft, die in uns Menschen steckt. Vor einigen Tagen sah ich in Genf eine Ausstellung des ghanesischen K�nstlers Kofi Setordji, mit dem Titel �Die Wunden der Erinnerung�: tief beeindruckende Skulpturen, die an den V�lkermord in Rwanda erinnern. Sie stellen alle dar, die zur Geschichte dieses Grauens geh�ren: T�ter und Mitl�ufer, Fl�chtlinge und Ermordete, politische und milit�rische F�hrer hinter hohlen Fassaden, Angeklagte und Richter, die allgegenw�rtigen skandalhungrigen Medien, ein Massengrab mit Totenmasken, die die namenlosen Ruander symbolisieren, die ihr Leben verloren. Die Erinnerung wird nicht verdr�ngt, sondern ist pr�sent. Mich hat die Ausstellung tief bewegt und ich bin vielen begegnet, denen es ebenso ging. Sie ist ein Memento f�r die Zerbrechlichkeit des Lebens und man sp�rt die Hoffnung, die den K�nstler inspiriert hat, dass das Leiden nicht umsonst gewesen ist. Die Botschaft scheint mir: wenn wir nicht vergessen, wird uns die Kostbarkeit des Lebens nur umso bewusster, gerade weil es so gef�hrdet ist. Dieses Bewusstsein wird uns sensibel und wach machen f�r unsere Aufgabe, das Leben zu sch�tzen und zu bewahren, nicht durch Waffen und Mauern, sondern durch Zuwendung, Empathie, Br�cken der Verst�ndigung und des Vertrauens. Die Ausstellung lehrt mich aber auch, dass Idealismus nicht genug ist, sondern dass wir die Realit�ten sehen und mit ihnen rechnen m�ssen: Machthunger, Gleichg�ltigkeit oder Feigheit, Angst und Gewaltbereitschaft. Allein der gute Wille reicht nicht, auch nicht bei uns Christen. Daher bin ich mit vielen Kirchen und Christen der �berzeugung, dass wir alles tun m�ssen und unsere weit verzweigten Verbindungsnetze nutzen m�ssen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die Frieden und Vers�hnung erm�glichen. Dazu geh�rt die St�rkung der internationalen Organisationen wie der UNO; es geh�rt dazu die Unterst�tzung aller demokratischer zivilgesellschaftlicher Bewegungen, und es geh�rt dazu die Achtung der nicht christlichen und nicht urspr�nglich europ�ischen Kulturen. Die aktuelle Situation im Irak muss uns f�r diese Fragen aufr�tteln, genauso wie uns der Krieg gegen den Irak aufger�ttelt hat, wie uns die jahrelangen B�rgerkriege im Sudan, im Kongo, in Liberia und an so vielen andern Orten aufger�ttelt haben und wie uns die Situation in Israel /Pal�stina keine Ruhe lassen kann. Es gibt mehr und mehr christliche Friedensinitiativen in diesen Konfliktsituationen, die sich aus diesem Respekt des andern n�hren. Manchmal haben sie Erfolg: ein Beispiel ist etwa der Sudan, wo unter aktiver Beteiligung des Kenianers und neu gew�hlten Generalsekret�rs des �kumenischen Rats der Kirchen, Sam Kobia, Verhandlungen k�rzlich zu einem Waffenstillstands Abkommen gef�hrt haben. In Pal�stina wurde u.a. ein �kumenisches Begleitprogramm ins Leben gerufen, in dessen Rahmen Christen die pal�stinensischen Bewohner als lebendige Schutzschilde begleiten und zugleich f�r Vers�hnung arbeiten. Leider konnten bisher auch sie die Lage nicht zum Guten hin wenden, aber ihr Einsatz wird von beiden Seiten als ein Beitrag auf dem Weg zum Frieden sehr geachtet. Die Feindesliebe, die Jesus gelehrt und gelebt hat und die, gepaart mit dem Willen zur Vers�hnung, wohl der wichtigste Beitrag der Christen zum Frieden ist, gibt sicherlich keine direkten Anweisungen f�r solche politisch brisanten Situationen und Verhandlungen. Aber sie hilft, im andern, auch im Gegner das Kind Gottes und seine M�glichkeiten zum Frieden zu erkennen, bzw. als unvoreingenommener Mittler zwischen den Fronten auf zu treten, der auf beiden Seiten die Friedenspotenziale erkennen kann. Die Initiativen von San Egidio sind ein eindrucksvolles Beispiel f�r diese M�glichkeiten
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