Antje Vollmer
Vizepr�sidentin des Deutschen Bundestags
Anrede, trotz der schockierenden Weltereignisse der letzten Jahre � trotz des 11. September, trotz der Kriege in Afghanistan und im Irak, trotz der immerw�hrenden blutigen Konflikte im Nahen Osten � d�rfen wir Europ�er nicht vergessen, dass wir eine unglaublich wichtige Erfahrung gemacht haben: Wir haben es geschafft, den Kalten Krieg, der die ganze Welt in zwei antagonistische Teile zerrissen hatte, friedlich und gewaltfrei zu beenden. Wie war das m�glich und warum ist ausgerechnet Europa eine so wichtige Region f�r die Friedenspolitik der Zukunft? Ich denke, es sind drei Faktoren, die dabei den Ausschlag geben: Es gab erstens ein politisches Konzept als Konsequenz aus den Lehren des Kalten Krieges; zweitens spielte in Europa die Frage des Gleichgewichts von gro�en und kleinen Staaten eine wichtige Rolle und drittens hat Europa aus den besonderen Erfahrungen mit den Exzessen des Nationalismus und den Glaubenskriegen eine eigene Lehre gezogen. Das politische Konzept als Konsequenz aus den Lehren des Kalten Krieges Nicht die wirtschaftliche St�rke des Westens, nicht die Nachr�stung der NATO, noch nicht einmal die B�rgerrechtsbewegung allein und auch nicht Reagans Aufforderung an Michail Gorbatschow, �Machen Sie das Tor auf�, konnten den Kalten Krieg beenden. Vielmehr war es ein bestimmtes politisches Konzept, das wir in Europa �ber lange Zeit verfolgten, das zu einer friedlichen L�sung des Ost-West-Konflikts f�hrte: Entspannung, Abr�stung, neue Ostpolitik, Helsinki-Prozess. Es war das unbeugsame Vertrauen in eine Politik, die das Gegen�ber respektiert, die darauf verzichtet den anderen in die Ecke zu treiben und zu bedrohen und die schlie�lich das Prinzip des Rechts zur Grundlage des friedlichen Zusammenlebens erhoben hat. Es ging darum, die politischen Eliten der Staaten mit einzubeziehen, ja geradezu zu verf�hren zu einem neuen Denken und darauf zu bauen, dass auch sie die Faszination von Demokratie und Rechtsstaat begreifen k�nnen. Das sind die Elemente dieses besonderen politischen Konzepts. Es ist die bisher einzige Form der Friedenspolitik, der es gelungen ist, einen Konflikt nahezu ohne milit�rische Gegengewalt zu beenden. Dieses gewaltlose Friedenskonzept l��t sich wieder anwenden. Es ist nicht verbraucht. Vielen ist nur nicht klar, dass es jemals existiert hat und von bestimmten Menschen konsequent genutzt wurde. Ich bin �berzeugt davon, dass wir mit einer friedlichen Ann�herung und einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auch diejenigen Staaten zu einer friedlichen Wende aus ihrem eigenen Inneren heraus bewegen k�nnen, die George W. Bush auf seine �Achse des B�sen� verbannt hat. Alternativen zu Dualismus und Supermachtgedanken Europa � und das ist mein zweiter Punkt � hat die besonderen Voraussetzungen, Ausgangspunkt und Zentrum f�r die Weiterentwicklung dieser Friedensstrategie zu sein. Das hat seine Gr�nde in drei fundamentalen Unterschieden zu den anderen Regionen der Welt, insbesondere zu den USA: Zum einen hat Europa eine sehr alte Rechtstradition, die davon ausgeht, dass sich unterschiedliche Kulturen und Traditionen auf einer als objektiv empfundenen Basis des Rechts �ber ihre Konflikte einigen und auf geordnete Weise zusammenleben k�nnen. Dort wo nicht kodifiziertes Recht die h�chste Instanz ist, werden Konflikte anders gel�st � oft unter Anwendung von Gewalt. Europa ist dar�ber hinaus � wie der Rest der Welt au�er den USA � aus dem Kalten Krieg als milit�risch schwache und unterentwickelte Region hervorgegangen. Es mu�te sich auf anderen Feldern profilieren, um seine Position im Konzert der Staaten der Welt zu behaupten. Wirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Kultur, das sind die Aufgaben, auf die Europa sich konzentriert hat, und es hatte damit auch Erfolg. Und schlie�lich hat Europa durch seine Politik der �Balance of Power� Wege gefunden, ein Gleichgewicht kleiner und gro�er Staaten zu finden, ohne das eine Gemeinschaft der Staaten, wie sie heute existiert, nicht denkbar gewesen w�re. In der Vergangenheit verhinderte eine ausgekl�gelte Politik des politisches Gleichgewichts zwischen den europ�ischen Gro�m�chten, dass weder England noch Frankreich, weder Ru�land noch �sterreich-Ungarn zu einer Supermacht wurden. Die Gemeinschaft Europas ist heute stabil und kann noch mehr Mitglieder verkraften. Das Wissen um dieses feine Austarieren der Interessen zwischen gro�en und kleinen Staaten ist ein zentrales Element der Friedenspolitik in einer Welt, die nur noch eine Supermacht kennt und daher durch Asymmetrien gepr�gt ist. Die Lehren aus Nationalismus und den Religionskriegen Europa hat drittens seine spezifischen Erfahrungen mit Krieg auf eigenem Territorium, Gewalt und Vertreibung gemacht. Es war nicht nur Ort der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, der beiden Weltkriege und des Kalten Krieges, sondern erlebte auch noch einen Krieg, in Zeiten, in denen man f�lschlich eine Friedensdividende erwartete. Im fr�heren Jugoslawien brachen noch einmal alle Konflikte und Ressentiments wieder auf, die man f�r �berwunden gehalten hatte. In Europa hat die Zivilgesellschaft hautnahe Erfahrungen mit dem Giftgas- und Bombenkrieg gemacht, es ist mehrmals schwerwiegend durch Nationalismus und Religionskriege auseinander gerissen worden und es hat daraus lernen m�ssen. Der Nationalismus hat Europa an den Rand der Existenz gebracht. Er hat Gro�reiche wie �sterreich-Ungarn und Ru�land zerst�rt. Sie zerfielen in Einzelstaaten, die vergeblich dem unerf�llbaren und vor allem sinnlosen Ideal nach ethnischer Reinheit nachstrebten. Jugoslawien ist nur ein Beispiel daf�r, wie tief und langwierig diese nationalistische Sehnsucht reicht. Die Nationalsozialisten haben diesen Wahnsinn auf die Spitze getrieben, aber der Wunsch nach dem ethnisch reinen Staat flammt immer wieder auf, weil er so tief in den Menschen sitzt. Es ist daher eine spezifisch europ�ische Erfahrung, wie gef�hrlich der Nationalismus ist und dass er aufgegeben werden mu�. Das aktuelle Streben nach der gro�en Identit�t Europa ist Ausdruck davon. Die andere Lehre, die Europa aus seinen besonderen und besonders nahen Erfahrungen ziehen konnte, ist die Trennung von Kirche und Staat. Am Ende der Religionsk�mpfe des 16. und 17 Jh. stand die Toleranz und die Erkenntnis, dass das Glaubensbekenntnis Privatsache sein mu�. Diese Trennung hat entscheidend zur Reifung der europ�ischen Idee beigetragen. Es ist auch kein Geheimnis: die scheinbar unentwirrbaren Konflikte auf der Welt haben sehr oft etwas damit zu tun, dass in ihnen die Trennung zwischen Glaubenssachen und weltlicher Politik bisher nicht vollzogen wurde. Die Europ�ische Erfahrung hat gezeigt, wie wichtig es ist, bestimmte �berzeugungen und bitter erworbene historische Lehren nicht aus dem Blick zu verlieren. Vielleicht k�nnen wir sie in Zukunft noch besser nutzen und weiterentwickeln.
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