Ahmad Syafii Maarif
Pr�sident der islamischen Bewegung Muhammmediyah, Indonesien
Als die gr��te muslimische Nation der Welt hat Indonesien seine eigenen und einzigartigen Erfahrungen in Bezug auf den Umgang mit dem Islam. Zum gro�en Unterschied zu dem Zusammensto� mit dem Islam in Nordafrika, der durch Eroberungen ausgel�st wurde, gibt es keine Hinweise darauf, dass die Ausbreitung des Islam im Inselstaat Indonesien um das 8. Jahrhundert n.Chr. durch Gewalteinwirkung geschah. Es bedurfte fast f�nfhundert Jahre, bevor der Islam sein eigenes Sultanat im n�rdlichen Teil von Sumatra installierte, was mit friedlichen Mitteln geschah. Heute sind nach der Bev�lkerungserhebung des Jahres 2000 88,22% von 205.843.196 Gesamtbev�lkerung Indonesiens Muslime. Dies bedeutet, dass der Prozess der Islamisierung schlie�lich quantitativ gesehen auf dem Inselstaat fast vollst�ndig ist. Qualitativ gesehen sah sich dieser Prozess jedoch immer wieder wachsenden Problemen gegen�ber. Ein Zeichen daf�r ist, dass obwohl Indonesien in muslimisches Land ist, die Qualit�t der Verpflichtung zu den moralischen Werten des Islam in Bev�lkerung schwach und oberfl�chlich bleibt. Viele von ihnen sind mehr an den rituellen und spirituellen Aspekten des Islams interessiert, w�hrend seine Morallehre f�r lange Zeit unbeachtet blieb. Es ist darum zum Beispiel kein Wunder, dass Indonesien von vielen als eines der am meisten korrupten L�nder dieses Planeten Erde angesehen wird. Muhammadiyah als eine sozio-moralische Bewegung in Indonesien hat viel daf�r gearbeitet, um diese Situation zu verbessern, doch es gibt noch einen weiten Weg zu tun. Dieser kurze Vortrag versucht, einige wichtige Charakteristika von Muhammadiyah�s sozialer und humanit�rer Netzwerke zu skizzieren mit ihren wohl �berlegten Bem�hungen, die Seele und das Denken der Menschen in Indonesien im Ganzen zu erleuchten. Muhammadiyah und seine humanit�re Mission Die �raison d��tre� f�r die Muhammandiyah-Bewegung liegt in erster Linie in den kreativen und positiven Antworten, die sie auf die Herausforderungen unserer Zeit gibt, um ihre soziale und humanit�re Mission zu erf�llen. Sie wurde gegr�ndet von Ahmad Dahlan (1868-1923), einem klar denkenden �alim aus Yogyakarta auf Java, Dzulhijjyha 8, 1330/Nov. 18,1912, - hat sich die Muhammadiyah-Bewegung seitdem unerm�dlich ihre sozialen, p�dagogischen und humanit�ren Netzwerke und Aktivit�ten auf den Inseln ausgebreitet. Die nicht-mazhab-Doktrin des Islam wurde das Konzept der Theologie und Philosophie der Muhammadiyah. Im Unterschied dazu, wie man normalerweise Philosophie versteht, n�mlich als ein rein spekulatives Konzept, ist die Philosophie der Muhammadiyah-Bewegung die des Handelns, oder man k�nnte auch sagen, eine soziale Philosophie, die ihren Schwerpunkt auf die �Tat� legt, mehr als auf die �Idee�, so wie Iqbal dies zur Recht feststellte. In anderen Worten, f�r die Muhammadiyah sind Glaube und Philosophie nutzlos und ohne Bedeutung, wenn sie nicht in die Tat umgesetzt werden. Das Verst�ndnis der Muhammadiyah von Geschichte In direkter Beziehung zu der sozialen Philosophie ist die Geschichte f�r die Muhammadiyah nicht zum Vergn�gen da, sondern sie dient der intellektuellen und spirituellen Bem�hung, eine Richtungsanweisung f�r das Handeln zu finden und den authentischen Islam zu verstehen. Aus der Geschichte, vor allem aus der Epoche, in der sich der Islam geformt hat, sollte ein Muslim nach der Vorstellung der Muhammadiyah kritisch und kreativ lernen, wie die ewigen Botschaften des Koran auf die Erde gebracht werden k�nnen, in die Wirklichkeit des menschlichen Lebens hinein; und er sollte lernen, die moralische Qualit�t und das moralische Engagement der Menschen zur Wahrheit und Gerechtigkeit zu f�hren. Es stimmt, dass der Islam von Anfang an die bewegende Kraft f�r eine soziale Reform mit dem Ziel der Schaffung einer ethisch gerechten Gesellschaft war. Der Glaube (iman), das Wissen, die gute Tat und die Gerechtigkeit k�nnen nicht voneinander getrennt werden. In ihrer geschichtlichen Entwicklung �ber fast ein Jahrhundert hinweg h�lt die Muhammadiyah best�ndig an dieser sozialen und moralischen Philosophie fest. Da die Muhammadiyah sich bewusst war, welche Bedeutung das Wissen f�r die volle Erf�llung ihrer Mission bildete, hat sie in ihrer ersten Grundlegung aus dem Jahr 1912 inmitten einer r�ckst�ndigen Gesellschaft stark zur Errichtung von Schulen ermutigt, in denen die Prinzipien der elementaren Lehre des Islam und anderer Inhalte gelehrt wurden. Muhammadiyah bestand darauf, dass ohne das Wissen jegliche Bewegung, sei sie religi�s oder anders geartet, sich nicht ausbreiten konnte. Damals waren �ber 95% der Bev�lkerung Indonesiens nicht nur arm, sondern auch Analphabeten. Die Kombination von Armut und Analphabetentum waren die wahren soziologischen Ph�nomene dieser Nation, die eine Kolonie war und sp�ter Indonesien genannt wurde. Die Gr�ndungsv�ter der Muhammadiyah waren sich dieser ungl�cklichen Situation der Bev�lkerung bewusst. Abgesehen davon, dass sie kolonialisiert waren, arm und Analphabeten, litten sie auch unter einer Mentalit�t der Versklavung, die absolut unvereinbar war mit der Idee der Freiheit. Der Name Muhammadiyah selbst kommt von dem Wort Mohammed und bedeutet J�nger dieses letzten Propheten. Indem sie sich selbst als die wahren J�nger von Mohammed erkl�rten, wollten die Mitglieder der Muhammadiyah zu den urspr�nglichen Quellen des Islam zur�ckkehren, die im Koran und in den authentischen Sunnah des Propheten (vorbildhafte Muster f�r das Verhalten oder beispielhaftes Benehmen) voll dokumentiert sind. Im Bereich des �ibadah (Gottesdienstes) bedeutete dies, dass ein Muslim auf strengste Weise dem Vorbild und Beispiel des Propheten folgen sollte, und jede Abweichung davon wurde als religi�s nicht zu akzeptieren und ungesetzlich angesehen. Zur Zeit der Eintritts der Muhammadiyah in die Geschichte war das sozio-religi�se Umfeld von Yogyakarta und in anderen Teilen Indonesiens in den Augen von Dahlan und seinen Anh�ngern voller Aberglauben, der von den wahren und authentischen Lehren des Koran und der sunnah des Propheten abwich. Als Reformer, lag f�r sie der einzig m�gliche Weg zur Ver�nderung der Situation darin, um jeden Preis eine religi�se Revolution in Gang zu bringen. Das Ziel dieser Revolution war, das Bewusstsein der Menschen zu erleuchten durch die Wiedereinf�hrung des echten Islam. F�r Muhammadiyah war dies der einzige Weg, um die Menschen von der unertr�glichen Last von Armut, Analphabetismus und Aberglauben zu befreien. Die Armut, der Analphabetismus und der Aberglaube waren nach der Philosophie der Muhammadiyah die wahren Feinde eines menschlichen Fortschritts. Und so fand die Revolution statt. Beginnend in Yogyakarta, breitete sie sich auch in anderen Landesteilen aus. In der Folge wurde Muhammadiyah als Inititator einer neuen und gef�hrlichen Religion angeklagt und verurteilt. Aus diesem Grund reagierten die conservativen und traditionalistischen ulama (= geistlichen Gelehrten) offen und gewaltt�tig. Sie behaupteten, dass diese Bewegung zu stoppen, zu verurteilen und an der Wurzel auszurotten sei. Anderenfalls w�rden -wie sie behaupteten- soziales Ungleichgewicht und tiefgreifende Ver�nderungen ausbrechen. Aber als Mann der Tat, der aufs Tiefste �berzeugt war von der gro�en Bedeutung seiner Mission, gab Dahlan niemals auf und seine Reformbewegung wurde weitergef�hrt. Er war der festen �berzeugung, dass wenn er aufg�be, die Zukunft des Islam in Indonesien freudlos und d�ster sein w�rde. Die Konservativen dagegen waren nicht in der Lage, der Wirklichkeit, die sich den Muslimen bot, ins Auge zu sehen. Um seine Mission zu unterst�tzen z�gerte Dahlan nicht das westliche Erziehungssystem zu �bernehmen, solange es unter islamischem Vorzeichen angewendet wurde. Seiner Meinung nach konnte man in dieser Hinsicht keinen Fehler machen. Dennoch war Dahlan zutiefst ver�rgert �ber das Unverst�ndnis der konservativen ulama gegen�ber der Notlage der Mehrheit aller Indonesier. Um aber die Geschichte nach seiner Vision zu lenken, hatte Dahlan keine andere Wahl, als immer weiterzugehen und so die Ausbreitung und die Erscheinungsweise des Islam in Indonesien zu pr�gen. Anderenfalls w�re der Islam vielleicht dort verschwunden, auch wenn er in den �brigen Teilen der Welt Vorrang habe. Dahlan starb mit 55 Jahren. Weniger als zehn Jahre nach seinem Tod, war er bereits eine Nationalph�nomen geworden. Schulen, Koranschulen, Krankenh�user, Waisenh�user und andere sozialen Einrichtungen wurden �berall auf dem Archipel aufgebaut. Bis heute gibt es schon mehr als 14 tausend Schulen und Koranschulen, vom Kindergarten bis zum Hochschulniveau. Es gibt auch hunderte von Krankenh�usern, Polikliniken, Waisenh�usern, Einrichtungen zu Familienplanung und-F�rsorge, Zentren f�r die Entwicklung von D�rfern und vieles mehr. So betrachtet ist Muhammadijah wahrscheinlich die gr��te muslimische NGO (=Nichtregierungsorganisation)in diesem islamischen Land. Bis jetzt gibt es nichts was der Ausbreitung des gigantischen sozialen Werkes von Muhammadijah im Wege stehen k�nnte. Es dient dem Wohle aller, unabh�ngig vom religi�sen, oder kulturellen Hintergrund des Einzelnen. In den letzten Jahren, insbesondere seit dem Anschlag vom 11. Sept. 2001 und den tragischen Attentaten auf Bali (12. Oktober 2002) und das Marriot-Hotel in Jakarta (5. August 2003) hat Muhammadijah zusammen mit anderen religi�sen Bewegungen aktiv an Initiativen des Gespr�chs und der herzlichen Beziehungen zwischen Menschen verschiedenen Glaubens beteiligt. Jedes religi�se oder soziale Problem Indonesiens muss durch den interreligi�sen Dialog gel�st werden und bis jetzt waren die Ergebnisse sehr positiv, fruchtbar und gaben viele neue Erfahrungen. Die Zukunft - Herausforderung und Chance Muhammadijah hat sich in seiner Entwicklung �ber die letzten 90 Jahre mit seinen sozialen, schulischen und humanit�re Einrichtungen derart weiterentwickelt, dass es nicht mehr nur in Indonesien, sondern sich auch in den Nachbarl�ndern, wie Singapur, Malaysia und Thailand ausgebreitet hat. Sogar in Kairo wurde k�rzlich eine Einrichtung f�r die in �gypten studierenden Indonesier geschaffen. Das bedeutet, dass Muhammadijah nicht nur ein Ph�nomen im Rahmen der ASEAN-Staaten (Association of Southeast Asian Nations) ist, wenngleich die Kairoer Einrichtung ein Teil der indoesischen Muhammadijah bleibt. Zum Ideen- und Erfahrungsaustausch haben die Asiatischen Muhammadijahs seit den letzten Jahren immer wieder Treffen abgehalten, vor allem in Indonesien, Malaysia und Singapur. Zu Ihrer Information diese drei asiatischen Muhammadijas haben keine formelle organisatorische Verbindung mit der Indonesischen, aber ihre Philosophien haben keine substantiellen Unterschiede. Obwohl sie aus vier verschiedenen Teilen bestehen, ist ihre Seele eins. Das nicht-mazhab- Verst�ndnis von Islam ist ihre gemeinsame Theologie und Philosophie. Das bedeutet, dass die Indonesische Muhammadijah in ihrem Modell und in ihren Aktivit�ten �bernommen wurde. Hoffentlich wird sich das asiatische Netzwerk von Muhammadijah noch weiter ausbreiten und so noch fruchtbarer werden, im Versuch noch mehr Menschen in dieser Region dienen zu k�nnen. Obwohl wir sehr stolz sind auf das, was Muhammadijah im humanit�ren Bereich leistet, ist uns sehr klar, dass die Herausforderungen der Zukunft komplexer und unsicherer sind. Deshalb sollte die Muhammadijah-Strategie sich diesen Gegebenheiten immer anpassen unter der Voraussetzung, dass die grundlegende Philosophie eines verst�ndnisvollen Islam unangetastet bleibt. F�r Muhammadijah ist die Zukunft nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine gro�e Chance. Diese Bewegung glaubt, dass die Zukunft jedem offen steht. Doch was die Qualit�t der Dienstleistungen angeht, muss Muhammadijah noch h�rter arbeiten. Es muss ehrlich zu sich selbst sein und sich eingestehen k�nnen, dass das Ausma� vieler seiner sozialen und kulturellen Aktivit�ten oder Programme noch l�ngst nicht zufrieden stellen kann. Eine der wichtigen Agenden des 44. Kongresses der Muhammadijah ist es, eine Strategie und Programme zu entwerfen, um einen bestimmten internationalen Qualit�tsstandard zu halten, wie es einem modernen islamischen Staat entspricht. Selbstverst�ndlich ist es kein leichter Weg, diese Ziele zu erreichen. Eine gro�e Anzahl von gut ausgebildeten Mitarbeitern ist dringend n�tig, an dem es bei Muhammadijah immer noch mangelt. Um die Zukunft mitgestalten zu k�nnen, ist die Frage der Qualit�t tats�chlich eine Frage von sein oder nichtsein in diesem Moment. Aufgrund dieser langfristigen Betrachtungsweise muss gr��te Aufmerksamkeit darauf verwendet werden, um f�r dieses Problem eine geeignete und realistische L�sung zu finden. Anderenfalls w�rde die Zukunft Muhammadijah gro�e Probleme bereiten. Im politischen Bereich hat Muhammadijah als eine soziale und moralische Kraft seit 1971 keine formellen Beziehungen zu einer politischen Partei. Seitdem hat es eine Position eingenommen, die es erlaubt unabh�ngig sich selbst in die praktische Politik einzubringen. Die Erfahrungen dies es mit einigen Politikern hatte, f�hrten nicht immer zu einem guten Ende. In der Politik k�nnen viele Dinge jenseits der moralischen Prinzipien geschehen, auf die Muhammadijah sehr sorgf�ltig achtet. Aber in dem Dynamischen Reformprozess, dem Indonesien seit 5 Jahren unterliegt, hat es entscheidendes beigetragen. Professor M.A. Rais (58), einer der talentiertesten und wichtigsten Pioniere der Reform, war vormals Pr�sident vom Muhammadijah. Seine attraktive Pers�nlichkeit und sein Kampfgeist wurden zum gro�en Teil von der Muhammadijah-Philosophie der Aktion gepr�gt und beeinflusst. Aber in dem Moemnt las er direkt in die praktische Politik involviert wurde, verzichtete er freiwillig auf den Vorsitz von ;Muhammadijah. Aber um ehrlich zusein: Obwohl Muhammadijah keine politische Partei ist, wurden doch viele ihrer Mitarbeiter zu den wahren Initiatioren und Verfechtern wichtiger politischer Ma�nahmen und Ver�nderungen in diesem Land seit Jahrzehnten. Aber sie haben das getan als normale B�rger im Sinne ihrer individuellen und moralischen Verantwortlichkeit f�r die Nation. Angesichts der �konomischen Probleme, die Indonesien im Moment hat, hat der Wirtschaftsrat vom Muhammadijah unter der Leitung des wohlbekannten Prof. M. Dawam Rahadjo seit den letzten drei Jahren eine anwendbare Studie erarbeitet mit Strategien, diesem Problem begegnen zu k�nnen. Jetzt arbeiten die Architekten, die sich f�r die wirtschaftliche Entwicklung Muhammadijahs einsetzen sehr hart daf�r, um die Bewegung wirtschaftlich zu st�rken. Man hofft, schon in einigen Jahren die Ergebnisse dieser Strategien sehen und sp�ren zu k�nnen. Ich wei� aber gut, dass die Architekten, obwohl sie professionell sind in ihrer Weise, es mit einem f�r Muhammadijah neuen Feld zu tun haben. Deshalb muss noch mehr Geduld und Zeit aufgebracht werden, um die Ergebnisse zu sehen. Tats�chlich, jahrzehntelang war Muhammadijah nicht sehr ernsthaft im Umgang mit ihren Wirtschaftlichen Aktivit�ten zur Unterst�tzung ihrer Aufgaben. Eine abschlie�ende Bemerkung Mit dem Beginn des dritten Jahrtausends hat Muhammadijah als eine moderne und moderate islamische Bewegung keine andere Wahl als mit dem schnellen und dramatischen Entwicklungen der Geschichte, der Nationen und im globalen Kontext klarzukommen. Es �berlebt der, der in der lag ist, sich dem Diktum der Ver�nderungen anzupassen, vorausgesetzt seine eigene kulturelle und religi�se Identit�t bleibt stark und solide. Muhammadijah ist nun auf dem Weg sich selbst zu konsolidieren und sich zu r�sten f�r die Herausforderungen der Zeit. Da die Zukunft allen offen steht, m�chte Muhammadijah die Schwelle zum angefangenen Jahrtausend optimistisch �berschreiten, wenngleich die indonesische Nation immer noch in einer schweren mulitdimensionalen Krise lebt.
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