Aachen 2003

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Montag, 8. September 2003 - Technologiezentrum am Europaplatz
Vor welcher Zukunft steht Lateinamerika?

  
  

Justo Oscar Laguna
Katholischer Bischof von Mor�n, Argentinien
  

Als argentinischer Bischof werde ich auf die Frage antworten, die mir in dieser Konferenz gestellt wurde: wie sehe ich die Zukunft Lateinamerikas? Als Mensch, der in dieser Realit�t lebt, werde ich aus der Perspektive meines Landes sprechen. Eine ganz allgemeine Beobachtung: in den 80er Jahren kehrten fast alle Teile Amerikas von sehr grausamen Diktaturen zur�ck zu demokratischen Regierungen.

Das war eine gro�e Illusion. Ich erinnere mich an die Worte eines Pr�sidenten, der sagte, dass man mit der Demokratie heranw�chst, gepflegt wird und isst. Das ist dann wegen einer liberalen Politik, die all unsere Gebiete �berschwemmt hat, nicht Wirklichkeit geworden, so dass die Demokratie etwas rein formales geblieben ist.

Wie sehe ich die Zukunft Lateinamerikas? Ohne ein Zauberer oder Prophet sein zu m�ssen sehe ich, dass es noch Hindernisse gibt, die wir �berwinden m�ssen, wenn wir wollen, dass unsere L�nder sich entwickeln. Ich denke, es ist wichtig, drei L�nder herauszugreifen, die etwas klarere Perspektive haben: Brasilien, ein Koloss S�damerikas, Mexiko im Norden und Chile, ein asymptomatisches Land, weil es unter der Diktatur Pinochets begann zu wachsen, es entwickelte sich weiter unter demokratischen Regierungen mit verschiedenen Staatsgef�gen und heute bietet es einen Lebensstandard und eine Besch�ftigungsquote die die h�chste in der ganzen Region ist.

Nun m�chte ich mich den Hindernissen zuwenden, die �berwunden werden m�ssen. Das erste ist, meines Erachtens, eine neoliberale Globalisierung, die nicht zweckdienlich ist. Mir ist klar, dass es auf �konomischem Gebiet sehr schwierig ist, mit Sicherheit einen Weg aufzuzeigen, den man gehen soll, aber sicher ist der Weg, der eingeschlagen wurde und der �berall zu Ausgrenzung und Armut gef�hrt hat, nicht der richtige.

Das zweite Hindernis ist die Korruption. Die Regierungen der Region, und ganz besonders die meines Landes, haben ein unvorstellbares Ma� an Korruption erreicht. Aber die Korruption geht einher mit einem weiteren Problem, dem der Gerichtsbarkeit. Die Justiz ist in einem Gro�teil der L�nder wirkungslos, sie ist unf�hig und im Falle Argentiniens hat sich der oberste Gerichtshof selbst kompromittiert mit einer absoluten Mehrheit der jeweiligen Regierung, die immer zugunsten dieser Regierung urteilte. Deshalb wird die Korruption mit dem Thema der Straffreiheit in Verbindung gebracht. Jedes Delikt, das ungestraft bleibt, breitet eine neue Straftat vor, die manchmal noch gef�hrlicher ist. Die fehlende Bestrafung ist ein generelles Problem Lateinamerikas. Ich will keine Namen nennen, aber einige Pr�sidenten, denen Korruption nachgewiesen wurde, sind wieder auf der politischen B�hne erschienen, als ob nichts geschehen w�re.

Ein weiteres gravierendes Problem sind die Fehler, die meist die Regierungen begehen und die Schwierigkeiten, wie die Zahlung der Auslandsschulden, Schwierigkeiten, deren L�sung nicht leicht ist, man kann sie nicht umgehen, sie verlangen in irgend einer Form eine L�sung. Es ist wichtig, die gro�e Verantwortung der Kreditgeberl�nder nicht au�er Acht zu lassen, die sich nicht immer gefragt haben, wem sie leihen und warum sie leihen. Mit diesem Thema eng verbunden ist das der Gef�hrdung und der Zerbrechlichkeit der Demokratie. Mich erschreckt der Gedanke, dass die Demokratie, nachdem es so viel Anstrengung gekostet hat, wieder zu ihr zur�ck zu kehren, nun wieder verloren gehen k�nnte. Alles geht in der Demokratie...nichts geht ohne Demokratie.

Noch ein Hindernis ist das der Bildung. Argentinien, mein Land, hatte in der Geschichte der 30er und 40er Jahre die h�chste Alphabetisierungsrate, h�her als alle L�nder Amerikas, h�her als Italien, Frankreich und Kanada. Heute ist es ein Land mit sehr niedrigem Bildungsniveau, mit vielen Analphabeten und Semialphabeten, und mit einer beeindruckender Zahl von Sch�lern, die die Schule abbrechen. Ich kann mir ein Lateinamerika ohne eine Bildung, die den Menschen in umfassenderem Sinne des Wortes "eduche", erziehen, formt, lehrt und aufwachsen l�sst, nicht vorstellen. Zweifelsohne ist dies ein Schl�sselthema.

Ein weiteres schwerwiegendes Hindernis kann ich nicht verschweigen, n�mlich das der Gewaltt�tigkeit, die so schwerwiegend ist, wie nie zuvor. In Kolumbien war sie schon immer ein Charakteristikum, in Brasilien war sie stark und auch in Mexiko beachtlich. Argentinien hat eine in seiner Geschichte noch nie dagewesene Deliktrate. Ich glaube, dass es sehr schwierig sein wird, eine wirklich umfassende Entwicklung des ganzen Menschen zu erreichen, die seinen spirituellen und transzendenten Wesensanteil einschlie�t, wenn man die Gewalt nicht ausrottet. Das ist der Schl�ssel. Es ist unverzichtbar, dass man ein Klima des Friedens erreicht.

Die Gemeinschaft Sant�Egidio hat viel f�r den Frieden gearbeitet. Mosambik ist nur ein Beispiel. Sie hat sehr gute Arbeit in der Welt der Armen geleistet. Das ist ein einzigartiges Beispiel. Ich habe nie eine Organisation erlebt, die sich so wahrhaft f�r den Armen eingesetzt hat, ohne gro�e Vortr�ge und Rhethorik, wie bei ihrem Einsatz f�r die alten Menschen und auf dem Gebiet der �kumene, das mich unmittelbar ber�hrt, weil ich Pr�sident der diesbez�glichen Bischofskonferenz in meinem Land bin.

Ich glaube, dass unsere Kirchen �ber den fortw�hrenden Dialog hinaus gemeinsam das Ziel haben m�ssen, unseren V�lkern dabei zu helfen, diese Hindernisse aus dem Weg zu r�umen, die das Leben in Lateinamerika sehr schwer machen und sich aus diesen Schwierigkeiten wieder aufzurichten.

Ich schlie�e diese kurze Reflexion, indem ich folgende Worte an euch richte: wenn wir diese Hindernisse aus dem Weg r�umen, die ich aufgezeigt habe..., den liberalen Neokolonialismus; die so starke Gewaltt�tigkeit, von der wir betroffen sind, nicht nur die, die mit Delikten verbunden ist, sondern alle Formen der Gewalt; wenn es uns gelingt jede Art der Korruption auszurotten; wenn wir die Rolle der Familie wieder frei machen, die so missbraucht wird; wenn wir eine Jugend aufbauen, die mehr tr�umt, denn man ist von einer kriegerischen Jugend, die kein Vorbild war, zu einer jungen Generation gelangt, die der Politik v�llig unpers�nlich gegen�ber steht...dann hat Lateinamerika eine bemerkenswerte Zukunft, mehr wage ich nicht zu sagen.

Wie ich schon am Anfang gesagt habe, ich bin weder Zauberer noch Prophet, aber ich bin �berzeugt und hoffe, dass die heutige schwierige Situation in dem Ma�e �berwunden werden kann, in dem die Christen sich, entsprechend dem Vorbild der Gemeinschaft Sant�Egidio, mehr f�r das Wohl aller einsetzen.

 

 

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