Aachen 2003

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Dienstag, 9. September 2003 - Eurogress
Muslime und Christen: M�glichkeiten des Zusammenlebens

  
  

Hasan Hanafi
Professor f�r Philosophie an der Universit�t Kairo, �gypten
  

Es gibt einen Prototyp f�r die Beziehungen zwischen Islam und Christentum, der die ganze Geschichte durchzieht. Man k�nnte ihn als eine Beziehung von Sicherheit und Annahme, von Apodiktik und Hypothese, Augenscheinlichkeit und Paradoxon oder gar Rationalit�t und Irrationalit�t bezeichnen.

Im Laufe lassen sich drei Phasen unterscheiden, in denen diese Beziehung auftritt. Die erste war die Patristische Periode, die ihre Kristallisationspunkte in der Christheologie und - an ihrem Ende - im Auftreten des Islam fand. Sie nahm in ihrer Schlu�betrachtung regen Anteil an der Kontroverse und traf Unterscheidungen zwischen Sicherheit und Vermutung. Ohne Zweifel war der Islam damals noch keine Kultur. Der Islam war lediglich eine in einem Buch bewahrte Offenbarung, die historisch authentisch war und keine Periode m�ndlicher Tradition durchlaufen hatte, in der die Erz�hlungen durch volkst�mliche Einbildungskraft, Nachbarkulturen oder emotionale Projektionen Ver�nderungen erfahren haben konnten. Die raison d��tre dieser neuen Offenbarung entsprach genau den Annahmen der Alten V�ter und der Gefahr, die den alten Monotheismus bedrohte und mit deren Verh�tung die Offenbarung von ihrem Ursprung an (seit Noah, Abraham und Mose) zu k�mpfen hatte. Daher muss man die Offenbarung im Islam, noch bevor sie sich in eine eigene Kultur verwandelte, in einer Zusammenschau mit den vorangegangenen Kulturen, insbesondere mit der j�disch-christlichen Kultur in der Patristischen Periode, betrachen. Es geht um die Geschichte der Religion, und die meisten Orientalisten haben diesen Zeitabschnitt historisch betrachtet, um aufzuzeigen, wie die Islamische Offenbarung aus einem "J�disch-christlichen Ursprung" abgeleitet werden m�sse, sei es aus falschem oder apokryphem Verst�ndnis heraus, um aus der Islamischen Offenbarung ein historisches Amalgam ("L�ckenf�ller", Anm. d. �bers. ) zu machen.

Die Beziehung zwischen den Alten V�tern und der Islamischen Offenbarung ist keine historische von Ursache und Wirkung, sondern eher eine begriffliche. Der Islam brachte Sicherheit inmitten aller Annahmen und Vermutungen. Hierzu einige Beispiele:

Am Ende Patrsitischen Periode schien der Islam gewisse Verwirrungen in Bezug auf die Person Christi aufl�sen und der Dreieinigkeitsdebatte ein Ende setzen zu k�nnen. Er unterschied zwischen dem Jesus des Glaubens und dem Jesus der Geschichte. Alle trinitarischen Doktrinen zur Person Christi dr�cken den Jesus des Glaubens aus, niemals den Jesus der Geschichte. Sie alle stellen pure Annahmen dar. Sie sind Ausdruck des kulturellen Milleus ihrer Zeit, der religi�sen Geschichte und des mythischen Hintergrundes der Nachbarl�nder, auch Ausdruch der pers�nlichen interlektuellen Erziehung der V�ter, griechisch oder lateinisch, die meisten von ihnen Adelige, und der Allegorie emotionaler Verherrlichung Christi und auch Ausdruck der hintergr�ndigen politischen Interessenslage innerkirchlicher Gruppierungen. Sie alle haben ihre Pro`s und Contra`s. Das Pro in der einen Doktrin bildet das Contra in der anderen. Es wird eine rein negative Definition angewandt, um alle Verst�ndnism�glichkeiten bestreiten, obgleich darin der einzige Weg liegen k�nnte, das Transzendente in der Chrsitologie zu erkl�ren. Apollinarius wollte aus guten Gr�nden die G�ttlichkeit Christi �ber dessen Menschsein stellen. Der Sohn Gottes ist der Vaterschaft n�her als der Kindschaft. Arius wollte das Menschsein Christi �ber dessen G�ttlichkeit stellen, ebenfalls aus guten Gr�nden, denn anderenfalls w�re Gott selbst gef�hrdet. Das erste Konzil von Nicea erkl�rte die Gleichheit der drei Personen und formulierte das "Einer in drei Gestalten und Drei in einer Gestalt", was einen negativen Kompromiss darstellt zwischen den beiden gegens�tzlichen Doktrinen, der nichts positives aussagt. Die Doktrin von der absoluten Menschheit Christi, von Arius vertreten, wurde nach einem politischen Man�ver in Alexandria zur�ckgewiesen, obwohl sie in ihrer Reinform von Gruppeninteressen unabh�ngig die gr��ten Chanchen gehabt h�tte, eine Mehrheit zu finden. Da der alte, von Noah und den V�tern begr�ndete und von Mose proklamierte und von den Prpheten verteidigte Monotheismus gef�hrdet war, ja sogar bedroht war von ewigen Manipulationen und Verwirrspielen, kam der Islam um die Konfusionen zu kl�ren, die Wolken beiseite zu schieben und all diesen Mutma�ungen ein Ende zu bereiten. Er klassifizierte alle diese Bilder als solche des Jesus des Glaubens und nie als solche des geschichtlichen Jesus. Der Jesus der Geschichte war rein und absolut Mensch. Das absolute Menschsein Christi war von Arius im 4. Jahrhundert erkl�rt worden; die Fortsetzung dieser Erkl�rung findet sich in der modernen Zeit wieder in unterschiedlicher Form in der antitrinit�rischen Theologie und der unitaristischen Epik seit Servetus im 16. Jahrhundert, Socinus im 17. Jahrhundert, Priestley im 18, Jahrhundert und Channing im 20. Jahrhundert, und sie erscheint als ein Modell der Sicherheit mitten unter all den anderen Lehrauffassungen, die reine Annahmen darstellen.

Seit Beginn des Christentums gab es Verwirrungen bez�glich der Data Revelata. Es gab keine klare Idee davon, was Offenbarung tats�chlich sei. Ist Offenbarung die Geschichte von der Rettung, das Werk des Heiligen Geistes, das Ereignis einer Inkarnation, die Person des Erl�sers oder Logos? Und was ist Logos? Die gesehene Person oder das ausgesprochene Wort, geh�rt und weiter gegeben? Obwohl im Evangelium die Worte Jesu, sein Anspruch auf vollkommenes Verhalten und das ewige Leben im Vordergrund standen, gingen Johannes und Paulus her und stellten die Person Jesu in den Vordergrund, also noch vor dessen Worte und riefen zur Anbetung des Logos als Person auf und nicht dazu, die Worte Christi in das menschliche Leben zu tragen. Offenbarung wurde auch zu einer Vision oder einem Traum, der davon erz�hlt, was am Ende der Zeit geschehen wird und die Zukunft der Welt voraussieht. Eine Vision oder ein Traum kann jedem Prophetenj�nger oder sogar jeder Person zukommen, immerfort bis ans Ende der Zeit, und nicht nur exklusiv dem Propheten. Offenbarung wurde entweder zur Person des Propheten oder zum Traum eines J�ngers, war aber nie das Wort Gottes, das den Menschen durch einen Propheten mitgeteilt wurde, der ein einfaches Instrument der Komunikation ist.

Der Islam schien die Verwirrung zu kl�ren. Offenbarung ist das Wort Gottes verbatim, das dem Menschen ausschlie�lihc durch den Propheten komuniziert wird. Der Prophet ist ein einfaches Instrument der Vermittlung. Die Worte Gottes m�ssen durch die Geschichte hindurch authentisch belassen und von Generation zu Generation in Schriftform weitergegeben werden Propheten, J�nger, Schriftgelehrte und Erz�hler - sie alle sind reine Komunikations und Weitergabeinstrumente und stehen au�erhalb des Offenbarungskorpusses. Zu sp�teren Zeiten, in moderner Zeit, als die Entpersonifizierung des Christentums ihren Fortschritt nahm und das Wort �ber die Person obsiegte und das Wort zum einzigen Vehikel der Idee wurde und die Ideen zur Ideologie wurden, trat ein Islamisches Modell von Sicherheit auf den Plan, nach einer langen Historie von Annahmen und Mutma�ungen.

Auch wenn die Worte relativ gut bewahrt worden waren, gab es vom Beginn des Christentums an nie eine Unterscheidung zwischen Schrift und Tradition. Die Schrift war ein Teil der Tradition un die Tradition war die Fortsetzung der Schrift. Ob das Wort von Christus stammte oder die Interpretation eines J�ngers oder die Formulierung einer Institution war - all das waren Quellen der Offenbarung, selbst wenn sie sich widersprachen. Ein Beispiel: Christus lobt das Leben im Geist, Paulus verherrlicht die Person Christi; Christus ermahnt alle, ein ethisches Leben zu f�hren, Paulus und Johannes formulieren ein Dogma; Christus ruft zur Liebe auf, Paulus hasst; Christus vergibt, Paulus verflucht und benutzt Schimpfworte; Christus erf�llt das Gesetz, Paulus weist es zur�ck; Christus humanisiert ("zielt auf den Menschen ab", Anm.d.�bers.), Paul and John kosmologisieren und verg�ttlichen; Christus erteilt eine Lektion in Demut, Bescheidenheit und Frieden, Paulus, stolz und selbstgef�llig, ist aufdringlich und verfolgt die Menschen; Christus vereinfacht, Paulus und Johannes verkomplizieren. Der J�nger verlie� den Meister und die Institution folgte dem J�nger. Die Schrift sagt, was Christus sagte, die J�nger und die Institution schaffen eine unabh�ngige Tradition, die den innewohnenden Grund so vieler H�resien, Schismen und Protestbewegungen bildeten. Mehr noch: Die Kanonisierung der Schrift wurde auf Entscheidung einer Institution, der Kirche, vorgenommen, die f�r die paulinische und johann�ische Tradition optierte und nicht etwa nach einer skrupellosen historischen Ermittlung der Ipsissima Verba Christi. Zur Rechtfertigung wurde vorgetragen: Weiterentwicklung des Keimes, Erkl�rung des in der lebenden Tradition und nicht im Toten Implizierten (Episkopat als Teil des Apostolates), Zeugnis des Geistes, nicht des Buchstabens, Offenbarung der Person, nicht des Wortes, Schrift als Teil der Tradition. Die Werke des Heiligen Geistes in der Geschichte h�ren niemals auf!, und au�erdembewahrt der Heilige Geist die Inerrat Tradition!

So schien der Islam das Bild zurecht zu r�cken, indem er eine retour aux sources, zum christentum Christi vornahm und die Schrift als Kriterium f�r die Tradition anwandte. Der Islam nahm das Sola Scriptura des Protestantismus, das ethische Christentum Harnacks, die kritischen Studien Renans und die mythischen Interpretation von Strauss, Bauer und Feuerbach vorweg.

Die Offenbarung befreite das menschliche Bewusstsein von allen nat�rlichen, sozialen oder ideologischen (Mythos, Magie, Aberglaube...) Jochen, um den Menschen bereit zu machen f�r ein vollkommenes Leben. Die Offenbarung stattete ihn auch mit einem Gesetz aus, das die menschliche Natur auf die vollkommenste Weise ausdr�ckt. Das Gesetz war zu Anfang edukativ, die Unterwerfung unter das Gesetz war ein Ziel als solches, um das Bewusstsein zu z�hmen. Einst war das Gesetz formal und leer geworden, es verleitete zur Heuchelei. Dann wurden Liebe, Demut, Reinheit, Vertrauen, Ehrlichkeit und derartige verbindliche Momente ebenfalls als Erziehungsmittel eingesetzt, um das Gesetz zu erg�nzen und es mit wahrem Inhalt zu f�llen. Offenbarung wie auch das Verbrechen enth�llen im Menschen, was er f�hlt, den Sinn f�r die Berufung, seine Verpflichtung, seiner Berufung auf Erden als Sachwalter Gottes der Verwirklichung Seiner Absichten gerecht zu werden. Das Einschreiten Gottes in alter Zeit von Noah bis Christus ist in die H�nde des Menschen gelegt, auf dass er das Himmelreich auf Erden umsetzen m�ge. Deshalb verwarf der Islam das M�nchtum und das monastische Leben als reine Innovation, nie als g�ttlichen Imperativ, als w�rde sich der Islam auf den Heiligen Antonius beziehen, den Gr�nder des M�nchtums im 4. Jahrhundert. Das Z�libat wankt auf dem �bertragenen Sinn des Wortes "Eunuch" nach einer Anregung von Matth�us (Mt. XIV, 12) der es aufgebracht hatte und dann Markus (Mk. X, 11) wonach es dann in der Kirche institutionalisiert wurde. Durch die gesamte Geschichte hindurch hat diese Dissoziation von Heiligem und Profanem, vom Himmelreich und dem Irdischen, Resultate gezeitigt wie Atheismus, S�lularismus und die Theologie vom Tode Gottes. Photius, Luther and verheiratete Priester verlie�en die Kirche und gr�ndeten eine andere.

Obwohl die Revolte gegen die S�nde in den modernen Zeiten aufkam, war das Dogma von der Erbs�nde schon von den Alten V�tern formuliert worden. Der Mensch ist s�ndig in Fleisch und Blut. Er tr�gt die S�nde Adams von Geburt an, von Generation zu Generation bis ans Ende der Zeiten, in sich. Der Mensch ist darauf festgelegt zu s�ndigen, was f�r einen guten Willen auch immer er hat, er ist zum S�ndigen verurteilt. Das B�se �berw�ltigte also das Gute. Das B�se ist ontholigisch mit dem Universum innigst verwoben. Das ist die Bedingung unter der das Heil steht. Der Mensch kann sich nicht aus sich selbst heraus retten, da er sich nicht vor dem B�sen bewahren kann. Er braucht einen Retter, den Messias Christus. Der Mensch wurde passiv eingekreist, von Anfang bis Ende, von rechts bis links. Adam s�ndigte f�r ihn, Christus rettet ihn!

Der Islam erschien, um dem Menschen seine Unschuld wieder zu geben. Adam verhielt sich falsch, da er frei war. Er tat Bu�e und erhielt die Vergebung. Jeder Mensch ist unschuldig geboren und ohne Anteil am Fehlverhalten, das andere vor ihm begangen haben. Der Mensch ist frei. Er ist nur verantwortlich f�r seine eigenen Taten. Jeder Mensch wird nur f�r sich selbst Rechenschaft ablegen, nicht f�r seine Leute. Der Islam nahm das vorweg, was die Aufkl�rung zehn Jahrhunderte sp�ter forderte.

Seit Beginn des Christentums hatte die notwendige G�ttliche Gnade die Vorherrschaft �ber den freien Willen des Menschen, wenn es ihn je gab. Das Erscheinen Christi, das Leben Christi, seine Geburt, seine Taten, sein Tod, seine Auferstehung, das Leben seiner J�nger und sogar die Geschichte der Kirche sind alle Empf�nger der G�ttlichen Gnade. Die G�ttliche Gnade ist kostenlos, bedingungslos und massiv. Alle Anstrenungen seit Pelagius im 4. Jahrhundert bis Sartre im 20. Jahrhundert, um das Bild zurecht zu r�cken und dem menschlichen freien Willen Raum zu geben, scheinen an der Ver�nderung der �berw�ltigenden Gnade zu scheitern, von ihrer Negation abgesehen.

Islam trat an, um die Gnade, die eher dem Individuum als einer Gruppe oder einer Natur zu teil wird, vom freien Willen des Menschen abh�ngig zu. Diese Gnade ist nicht �u�erlich, sondern innerlich. Die unerwarteten Kr�fte, die Menschen in einer Situation des Opfers versp�ren, verdankt er seiner Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, der Reinheit seiner Intentionen, der Universalit�t seines Ziels und der �u�ersten Mobilisierung seiner eigenen Kr�fte. Dass dem Menschen eine Hilfe von au�en allein aufgrund seines Namens, seiner Zugeh�rigkeit zu einer Institution oder wegen seiner dogmatischen Glaubensausrichtung zu teil wird, ist eine pure Anma�ung. Die Gnade ist also vom guten Handeln des Menschen abh�ngig.

Die Beziehung zwischen Islam und Christentum als einer Beziehung von Sicherheit und Annahme trat zum zweiten Mal im sp�ten Mittelalter auf den Plan, in der Sp�tscholastik, in der es zu einem realen kulturellen Austausch kam. Dieses Mal kam es zu abweichenden Ansichten zwischen der jungen islamischen Kultur und der alten christlichen Kultur aufgrund der �bersetzungen vom Arabischen ins Lateinische. Dieser Zeitraum wurde gew�hnlich von Mittelalter-Forschern und christlichen bzw. muslimischen Historikern und Apologeten analysiert und studiert. Weder die Geschichte noch die Aplogie werden hierzu etwas Neues hervorbringen. Nur die Lehre von den Ph�nomen der Kulturen beschreibt letztere als lebende Erfahrungen im subjektiven und intersubjektiven ("kollektiven", Anm. d. �bers.) Bewusstsein, das das kulturelle Bewusstsein ausmacht.

In der fr�hen Scholastik des 7.-10. Jahrhunderts befand sich das Europa des Mittelalters in einem Prozess, in dem die r�misch-christliche Kultur in den Norden und das Christentum sowohl zu den Germanen als auch zu den Angelsachsen gebracht wurde. In derselben Zeit begann und entwickelte sich die islamische Kultur bis hinein in ihre Bl�tezeit. Das mittelalterliche Europa war bereit etwas aufzunehmen, und die arabische war soweit, etwas abzugeben. Ab der Sp�tscholastik, vom 11. Jahrhundert an, konzentrierten die Gelehrten ihre Anstrengungen darauf, den Einfluss der islamischen Kultur auf das mittelalterliche Europa aufzuzeigen. In dieser zivilisierten Zeitspanne findet sich ein historischer Input, also kein nur begrifflicher, wie das f�r die patristische Periode Zeit gegolten hatte.

Die Ikonenmalerei war eine der Ursachen f�r verschiedene Schismen, zu denen es im Christentum des 11. Jahrunderts kam. Ikonen wurden von den Katholiken anerkannt und in Gebrauch gehalten, von den Protestanten abgelehnt und verworfen, nachdem die Frage aufgekommen war, ob das Konkrete �berhaupt eine Rolle spielen k�nne in der wiedergebenden Darstellung des Absoluten. K�nnen Ikonen die Distanz zwischen Gott und dem Menschen in Gebet oder Meditaiton verringern? K�nnen Ikonen Wahrheit eingeben, eine Idee vorschlagen, ein Ged�chtnis hervorrufen? Sind Ikonen nicht auf Absurdit�t gegr�ndet: auf die Darstellung des nicht Darstellbaren, auf die Visualisierung des Unsichtbaren? Es ist ein sehr feiner Trennungsstrich, der zwischen der Ikonographie und der Idolatrie verl�uft. Die islamische Kultur gab dem Christentum des Mittelalters eine andere Vision, um die Absurdit�t aufzul�sen, indem sie eine absolute Unterscheidung zwischen Transzendenz und Darstellung traf. Gott ist transzendent und kann nie dargestellt werden.

Die Vernunft begann ihre Herrschaft schon in der Sp�tscholastik zu entfalten. Nach der �bersetzung der islamischen Philolophie vom Arabischen �ber das Hebr�ische ins Lateinische begann die Vernunft damit, ihre Rechte vom Glauben zu fordern. Die Mittelalter-Philisophen begannen ihre Lektionen zu lernen, die ihnen die islamische Philosophie aufgab: Vernunft und Glaube sind identisch. Die Prinzipien der Vernunft sind mit denen des Glaubens wesensgleich. Dogmen sind keine Mysterien jenseits der Vernunft, die nur im Glauben angenommen werden k�nnten. Beranger von Tours, Nicolas von Amiens im 11. Jahrhundert, Abelard im 12. Jahrhundert, Siger von Brabarant und lateinische Averoisten ("Wahrheitssucher", Anm. d. �bers.) im 14. Jahrhundert, Giordano Bruno im 15. Jahrhundert - sie alle begannen gegen die Dogmen und Mysterien als reine Pr�missen, Annahmen und sogar Irrlehren zu revoltieren. Das Schicksal christlicher J�nger muslimischer Philosophen ging der Inquisition voraus! Moderne Aufkl�rer, Descartes und dessen Anh�nger, setzten den schon begonnenen Streit fort. Das ber�hmte Cogito ist eine neue Form des �Fliegenden Menschen� von Ibn Sina. Der Mensch existiert trotz seiner sich aufl�senden Glieder ganz im Bewusstsein. W�hrend Descartes die Bibel, die Kirche, die Gebr�uche und die politischen Gegebenheiten von seiner Methode ausnahm und diese der zeitgen�ssischen Ethik �berlie�, ging Spinoza dazu �ber, die Methode auf jeden Lebensbereich zu �bertragen. Gott als Person verschwand als Annahme, die Transzendenz Gottes erschien wieder neu als Sicherheit.

Die �bersetzung der islamischen Kultur ins Lateinische begann mit der �bersetzung naturwissenschaftlicher Teste, die Philosophie folgte erst sp�ter. Al-Kindi war in Europa im Mittelalter erst als Chemiker bekannt, bevor man ihn als Geisteswissenschaftler erfasste. In der islamischen Kultur waren Naturwissenschaften wie die Chemie, Physik, Astronomie oder die Biologiewissenschaften wie die Botanik, Anatomie, Physiologie, Biochemie, Pharmakologie, Medizin und sogar die Geisteswissenschaften wie die Psychologie, Psychophysik, Physiognomie, Geographie, Geschichte und Rechtswissenschaften experimentelle Wissenschaften, die auf Beobachtung und Experimenten beruhten. Die Natur, obgleich durch ihre den Ereignisse geschaffen, vollzieht sich unter der Geltung von Naturgesetzen. Diese Gesetze zu kennen ist Teil des G�ttlichen Wissens. Sp�ter machte Spinoza unter dem Einfluss islamischer Mystik aus den Naturgesetzten G�ttliche Attribute. Die Transzendenz Gottes ist ein Prolegomenon ("Vorwort/Einleitung", Anm. d. �bers.) zum Determinismus der Natur. Die Identit�t zwischen Geist und Natur, dem Heiligen und dem Profanen, erm�glichte die experimentelle Wissenschaft. Die Erforschung der Materie und der Ursachen ist zugleich die Erforschung des raison d��tre der Offenbarung, die die formale und finale Ursache liefert. Aus diesem Grund wurde die aristotelische Logik als formal, entleert und tautologisch abgelehnt. Roger Bacon legte im 14. Jahrhundert, angeregt von der islamischen Auffassung von Wissenschaft, den Grundstein f�r die experimentelle Wissenschaften. Im 17. Jahrhundert akkumulierte Francis Bacon die gesamte islamische Wissenschaftsauffassung zusammen mit den eigenen rationalem Erkennen und Beobachten systematisch in der experimentellen Methodik seines Novum Organum, das zum Ausgangspunkt aller modernen Wissenschaften wurde. So wurde aus der Alchemie die Chemie, die Astrologie wurde zur Astronomie und okkulte Wissenschaften wurden zur exakten Lehre.

In der Mathematik war das mittelalterliche Europa bei den griechischen Mathemakikern stehen geblieben: Die goldene Figur, die g�ttliche Proportion, Kommentare zu den Prinzipin des Archimedes. In der Arithmetik war die Addition eher Numerologie als Arithmetik. Die Mathematik bl�hte in einer vernunft-dominierten Kultur, in einer Kultur, in der die Kraft der Abstraktion exisiterte, in der islamischen Kultur. Die Wissenschaft der Algebra wurde von al-Khawarasmi, Optik und mathematische Physik von Ibn al-Hytham und die Arithmetik von al-Beyruni entdeckt. All diese Abhandlungen wurden ins Lateinische �bersetzt und wurden zur neuen Mathematik der Zeit. Die Transzendenz Gottes befreite den Verstand des Menschen und gab ihm die Dimension des Infiniten. Mysterien, Magie, �bertragung sind Begrenzungen, die Mutma�ungen in sich bergen. Transzendenz, Infinit�t und Abstraktion sind Negationen aller Grenzen und induzieren Sicherheit.

Im Europa des Mittelalters waren die Kirchen die Zentren des Lernens. Die Patres waren Lehrer, die Priester Philosophen, Wissenschaftler, Mathematiker und �rzte. Das Dogma enthielt das gesamte menschliche Wissen, und die Kirche wusste alles. n medieval Europe, churches were the centres of learning. Der Lernstoff war ein Verm�chtnis, das von Generation zu Generation empfangen und weitergegeben wurde. Das heilige Lehrwissen konnte nie in Frage gestellt werden. Nach dem Kontakt mit der islamischen Kultur, wurden andere Bildungszentren etabliert und Universit�ten gegr�ndet. Ein neuer Geist des Lernens und Lehrens kam auf: Diskussionszirkel unter Gleichen, Gedankenfreiheit, das Fehlen dogmatischer Pr�missen, Argumentation und Gegenrede, moralischer Mut zu Protest und Absage. Dialektiker standen gegen Theologen auf. Offene Fragestellungen siegten �ber Dogmatismus. Die Aufkl�rung hatte schon begonnen.

Die Zivilisation ist der Sinn oder die kulturelle Dimension des Bewusstseins lange bevor sie eine materielle Errungenschaft ist. Nach mehreren Kontakten zwischen dem mittelalterlichen Europa und der islamischen Welt, in Friedenszeiten �ber H�ndler, Wanderer und im Krieg �ber die Kreuzfahrer vermittelte sich eine Gesp�r f�r die Zivilisation bei denen, die in die islamische Welt erstmalig eintraten: Urbanismus, �ffentliche Gehwege mit Kanalisation, die die Stadt vor Verschmutzung sch�tzten, offene H�fe in den Geb�udeanlagen mit Wasser und Gr�nfl�chen unter den Fenstern, die zur Sonne hin gebaut waren, arabische Rundb�gen, die die �sthetik von Baumkronen wiedergaben - all dies stand hinter der sp�tromanischen und gothischen Architektur. F�r neue Diagnosen, Medikamente, chirurgische und andere Heilverfahren bei den sog. "Mooren" Anleihen gemacht. Techniken in den Bereichen Bew�sserung, Messen, Licht, Transportmittel, Rechnungswesen, Management usw. wurden von der islamischen Kultur beigesteuert und haben dort bis in moderne Zeiten eine vorherrschende Stellung eingenommen. K�nige und Philiosophen kehrten voller Erinnerungen an die Zivilisation nach Hause zur�ck, die sie einst hatten zerst�ren wollen. Als Karl der Gro�e Geschenke von Haroun al-Rashid erhielt, als Richard L�wenherz von Salah al-Din behandelt wurde, kam es zur Entdeckung einer ganz neuen Art von menschlicher Beziehung, die auf Mut, Ehrbarkeit, Loyalit�t, Aufrichtigkeit und Humanismus gegr�ndet war. Friedrich II begann eine Korrespondenz mit Ibn Sab�in, auf die der muslimische Philosoph antwortete, indem er ihm eine neue Weltsicht schenkte, einen absoluten Monismus, der sp�ter in einer spirituellen Onthologie von Meister Eckhart und nachfolgend in dem absoluten Idealismus und Romantizismus von Hegel, Shelley und allen Dichtern und Philosophen der Romantik wieder aufgegriffen wurde.

In der modernen Zeit war der Islam weiterhin eine der Quellen f�r Ver�nderung, ein Denkmodell und ein Modell f�r soziale Srukturen nach den �berkommenen Denk- und Lebensmustern des Mittelalters. Einige Philosophen, Dichter, Schriftsteller und Sozialkiritiker waren sich des Modells sehr wohl bewusst, das die islamische Kultur repr�sentierte. Spinoza wollte die religi�se Autorit�t in Judentum und Christentum nach dem islamischen Modell restrukturieren, also ohne Autorit�t. Kant pries Averroes daf�r, dass er die Menschheitsgeschichte zu einer Geschichte der Vernunft gemacht hatte. Hegel bewunderte den islamischen Monotheismus und fand seine Inspiration in den islamischen Mystik-Dichtern Saidia and Hafez. Richard Simon, Welhausen, Renan und die meisten Bibelkrititker fragen sich, wie die muslimischen Gelehrten ihre Schrift historisch authentisch hatten bewahren k�nnen und �bernehmen Methoden der m�ndlichen �berlieferung, deren Hadith-Kritiken die m�ndliche Tradition erfolgreich vor Abweichungen, Fehlern oder Zus�tzen bewahrt hatte. R. Simon lernte aus diesem Grunde Arabisch, Renan wurde Orientalist und gesteht im zu seinem Life of Jesus (Das Leben Jesu, Anm. d. �bers.), dass er in seiner Geschichte des Christentums dieselben Methoden anwenden werde, die muslimische Biographen in ihren Biographien des Propheten zur Anwendung gebracht hatten. In j�ngerer Zeit h�rte Bergson Iqbal zu Zeit und Ewigkeit und sprang von seinem Stuhl auf, weil er glaubte, sich selbst sprechen zu h�ren! Thomas Arnold, Bernard Shaw, Leopold Weiss, Pickthall etc. und jeder, der von einem Aspekt des Islam anger�hrt wird, fl�stert in jenem Moment: "Wenn das der Islam ist, dann sind wir alle Muslime".

Wie auch immer, neben dieser bewussten Beziehung zwischen modernen Autoren und der islamischen Kultur gibt es auch noch eine unbewusste Str�ung, in der einige Islammodelle oder -motivationen hinter oder unterhalb der neuen Systeme unserer Zeit in Erscheinung treten. Nach dem Zusammenbruch der mittelalterlichen Denkschemata (die auf der Wahrheitssuche in einer a priori Quelle basierten, der Tradition folgten, der Autorit�t gehorchten, die Grenzen der menschlichen Vernunft absteckten und das Dogma rechtfertigten) unter den best�ndigen Schl�gen der Renaissance und der Reformation, trat ein neues Muster auf den Plan: die Verwerfung aller a priori Wahrheitsquellen, die Traditionskritik, die Revolte gegen die Autorit�t und das unbegrenzte Vertrauen in die Vernunft des Menschen hatten ihren Ursprung in klaren und deutliche Ideen, die rationale und konkrete Beweise verlangten und die jeder Personifizierung in Gott oder der Natur eine Absage erteilten. Hier scheint der Islam in Form von Motivationen und Intentionen auf, weniger in Resultaten und Schlussfolgerungen. Bis heute hat kein Gelehrter den Versuch unternommen, die Motivationen der Westlichen Kultur in modernen Zeiten unter dem Aspekt der islamischen Motiviertheit zu analysieren.

Die Revolte gegen die Autorit�t, die die modernen Zeiten charakterisiert, ist ein wahres Menschenrecht. Der Mensch ist frei und verantwortlich. Er erf�llt seine Pflicht, indem er seinem eigenen Gewissen folgt. Der Mensch ist zum Glauben berufen, nicht zum Gehorsam irgendeiner externen Autorit�t gegen�ber und nicht zur Begrenzung seiner Gedankenfreiheit. Darin lag die tiefste Inspiration der westlichen Kultur seit der Reformation: Freiheit zur Auslegung der Schrift, wie Luther schrieb in Freedom of the Christian (�ber die Freiheit des Christenmenschen, Anm. d. �bers.), und seit der Renaissance, wie Pic de la Menandola schrieb in seiner Oration on the Dignity of Man (Anbetung der W�rde des Menschen) oder Giordano Bruno in seinen Heroic Flowers (Heldenhafte Blumen). Die Revolte gegen die Amtskirche, die Zensur und die Bevormundung ist islamisch motiviert. Der Islam best�tigte die Freiheit des Menschen und seine Verantwortung zur Wahrhaftigkeit ohne jeden Gehorsam Autorit�ten gegen�ber mit einer Ausnahme, n�mlich seinem Unterworfensein unter einem universalen Prinzig, das der Islam offenbarte als ein a priori Prinzip der menschlichen Natur. Die Westliche Welt dagegen hatte gro�e Schwierigkeiten diese Freiheit des Menschen zu erreichen und hatte schwere Verluste in diesem Zusammenhang w�hrend der Inquisition.

Die Revolte gegen Rituale oder das, was Luther "Werke des Glaubens" nannte verlief parallel zu der Revolte gegen Dogma und Mysterien. Rituale sind mit guten Taten nicht identisch. Rituale k�nnen zur Heuchelei in allen ihren Formen f�hren: Zwiesp�ltigkeit, sozialem Stolz, armseligen Weisheiten etc. Rituale versprechen auch eine Pseudo-Errettung und verleiten die Gl�ubigen zu Illusionen. Von Descartes und seinen Anh�ngern �ber Kant und die Post-Kantianer zu Harnack und dem liberalen Protestantismus wurde die gute Tat die einzige Manifestation des Glaubens. Religion wurde einfach und klar: Glaube in einen transzendenten Gott und die Erf�llung guter Taten. Das entspricht genau einer islamischen Beschreibung von Glaube und Handeln. Was der Islam einfach und klar erkl�rte, wurde von den modernen Philosophen nach langwierigen K�mpfen errungen, und das noch nicht einmal so, dass die Schlacht siegreich ganz zu Ende gef�hrt worden w�re.

Nach dem Kollaps des Partikularismus des Dogmas und der Rituale kam es in der westlichen Philisophie zu einer gewissen Art von Universalismus; Gott h�rte auf, eine determinierte Person zu sein. Gott wurde absolut, infinit, ewig, allgegenw�rtig, allwissend und allm�chtig. The Principles of Philosophy (Die Prinzipien der Philosophie) von Decartes, die Short Treatise (Kleine Abhandlung) von Spinoza oder der Metaphysical Discourse (Diskurs der Metaphysik) von Leibniz h�tten gut auch von einem Mu�tazilite geschrieben sein k�nnen. Die Idee von Gott wurde zu einer universalen Idee und war nicht l�nger bestimmt durch Dogma oder Tradition. Was Religionen, Dogmen und Sekten zerstreut hatten, hatte die Philosophie vereinigt. Descartes, Spinoza und Kant sind weder katholisch noch j�disch noch protestantisch. Sie k�nnten sich unter einem Prinzip wiederfinden, der Leibnitz`schen �Mathesis Universalis�, die in universalen Begriffen die Struktur des Universums erkl�ren k�nnte. Seine �Monadenlehre� ist die reine Beschreibung des Einen und des Universums, beide Teile absolut entpersonifiziert. Zuvor hatten Ibn Sina und Ibn Ruschd dieses Modell vorgelegt.

Seit dem Zusammenbruch der mittelalterlichen Denkmuster und der Entdeckung der sogenannten Denk- und Natursysteme als Illusionen, kam die Idee vom Fortschritt als Bindegewebe zwischen Mensch und Geschichte auf. Newton erfasste ein neues Physiksystem, Kepler ein neues System der Astromomie und Lavoisier eine neue Konzeption der Chemie. Der Fortschritt der Wissenschaft erschien als die neue Hoffnung des modernen Menschen. Dann wurde die Fortschrittsidee selbst zum Objekt einer neuen Wissenschaft, der Geschichtsphilosophie. An die Stelle der mittelalterlichen Scheidung von der Stadt Gottes und der Wohnstatt auf Erden zeigte sich der Fortschritt als innere Logik in der Entwicklung der Gottesstadt ebenso wie in der Entwicklung der Menschheit. Die Vorsehung ist selbst der Fortschritt der Menschheit in der Geschichte. Die Offenbarung ist ein edukativer Prozess der Menschheit. Er findet schlussendlich seine Erf�llung in der Unabh�ngigkeit des menschlichen Gewissens und der Autonomie von Vernunft und Willen. Was Herder, Kant und Lessing in der Aufkl�rung f�r erf�llt erkl�rten, war bereits elf Jahrhunderte zuvor deklariert worden. Vico und Condorcet erkl�rten beide die Erf�llung der idealen Menschheit f�r gegeben, sobald Vernunft und Freiheit verwirklicht w�ren. Auguste Come und Darwin fanden in der Wissenschaft die �bereinstimmung mit der Realit�t, dem letzten Schauplatz der Entwicklung der Menschheit.

Obgleich die Revolte f�r soziale Gerechtigkeit ein gemeinsamer Nenner ist in der menschlichen Geschichte seit Spartacus und dem Sklavenaufstand w�hrend des r�mischen Reiches oder seit Donatus und dem Aufbegehren der kolonisierten Nationen gegen ihre Kolonialherren, sind Sozialrevolten doch ein Wesensmerkmal, das die modernen Zeiten charakterisiert: Erhebungen der Bauern seit dem 16. und 17. Jahrhundert und Volks- und nationale Arbeiterbewegungen im 18. Jahrhundert, Arbeiterstreiks und Massenaufst�nde im 19. Jahrhundert und unabh�ngige Bewegungen und Befreiungsfronten im 20. Jahrhundert. Neue gesellschaftliche Ideale begannen das europ�ische Bewusstsein zu motivieren: Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, eine klassenlose Gesellschaft, Arbeit als Ausdruck und Quelle von Wert, Proteste gegen Monopole und Ausbeutung. Alle in der westliche Kultur bekannten Utopien, von Thomas Moore bis B. Shaw dr�ckten ein Verlangen aus, dem der Islam schon Ausdruck verliehen hatte als eine verwirklichbare Ideologie, in der die organisierten Massen eine Gemeinschaft bilden. Alle sozialistischen Aspirationen der modernen Zeit enth�llen eine wahre islamische Motivation, die nat�rlich und menschlich ist.

Seit dem Zusammenbrechen aller a priori Wahrheitsquellen, die mit schweren Attacken gegen die Kirchen, den Klerus, die Priesterschaft einhergingen und nachdem man auch die Schriften einer historisch-kritischen Betrachtung unterworfen und die Spuren eines jeden Verses bis zum Ursprung in seiner angestammten kulturen Umgebung zur�ckverfolgt hatte, blieb die Entdeckung der Wahrheit allein den Anstrengungen des Menschen �berlassen. Da der Blick des Menschen immer in eine Richtung geht, teilhaft, geteilt und dem Irrtum unterworfen ist, waren alle Systeme, Diszipline und Wissenschaften, die der nackten Realit�t eine theoretische Grundlage hatten liefern sollen, unvollst�ndig. Der Rationalismus unterstrich seine eigenen und exklusiven Rechte an der Realit�t, indem er sensitive Wahrnehmungen kritisierte und nachwies, dass sensitive Zeugnisse Illusionen sein k�nnen und indem er die Erfahrung in die Kritik nahm und den Nachweis f�hrte, dass Erfahrungen ohne rationale und a priori festgelegte Grundlagen nicht verst�ndlich sind. So endete der Rationalismus in Formalismus, einem einseitigen Aspekt des Rationalismus. Darauf reagierte die Erfahrung und betonte nun ihrerseits ihre Rechte an der Wirklichkeit als einziger Wissensquelle und warf der Vernunft Formalismus, Dogmatismus, Extremismus und Mechanismus vor. Die Empirie war ebenfalls eine einseitige Reaktion auf den Formalismus, was die Erfassung der Realit�t anging. Das europ�ische Bewusstsein war unheilbar in zwei gegens�tzliche Str�mungen Trends zerissen. Alle Anstrengungen f�r eine Synthese schlugen fehl. Die kritischen Philosophen versuchten auf mechanische, stabile und �u�erliche Weise eine Juxtaposition (Nebeneinanderstellen, Anm. d. �bers.) der beiden Richtungen. Sensitive Wahrnehmung, Verst�ndnis und Vernunft sind drei �bereinandergesetzte Austragungsorte: Der erste bietet Intuition, der zweite Kategorien und der dritte Ideen. Jeder Ort spielt in einer unabh�ngigen Welt, der erste in der �u�erlichen Welt, der zweite in der innerlichen und der dritte in der superioren (h�heren) Welt. Damit nicht genug, kehrte dieses System zu den Denkmustern des Mittelalters zur�ck. �Ich musste das Wissen zerst�ren, um f�r den glauben Platz zu schaffen", sagte Kant - eine br�chige Synthese, die zum Positivismus auf der eine und zum Mystizismus auf der anderen Seite f�hrte. Als Reaktion auf die kritische Philosophie folgte der absolute Idealismus, der eine dynamischere Synthese anbot, in der in einem langen dynamischen und dialektischen Prozess das Abstrakte mit dem Konkreten identisch wird. Er nahm seinen Ausgang mit dem hic et nunc, das die Abstraktion vom Erfassten und damit das Konkrete ist. Die Prinzipien der Logik selbst sind die Gesetze der Geschichte. Dieser zweite Ansatz Hegels verga� das individuelle Bewusstsein als Herz dieses Prozesses. Aus dieser L�cke heraus gingen alle gegenw�rtigen Trends hervor, die das Individuum zum Zentrum des Universums machen. Auf dieses Individuum wurde bis heute noch nie der Fokus gelegt: Die Existenz des Individuums von Kierkegaard, Das Bewusstsein von Husserl, der Wille zur Macht Nietzsches, die Zeit von Bergson, Sein vonBeing von Marcel, dasein von Heidegger, der K�rper von Merleau-Ponty, die Existenz von Jaspers, Erfahrung von James - sie alle verwerfen die vorherigen Anstrengungen, den Formalismus ebenso wie die Empirie, die Philosophie ebenso wie die Wissenschaft und fallen in eine absoluten Individualismus, Emotionalismus und Voluntarismus. Andere gaben es nach langen Bem�hungen verzweifelt auf und endeten in Skeptizismus, Relativismus, Agnostik und Nihilismus. Alle wollten ins Ziel treffen, ohne es aber in den Fokus genommen zu haben. Der menschliche Blick ist immer einseitig, allem Gestaltismus, Integralismus und Totalismus zum Trotz. Nur der Islam kann das Bewusstsein darauf lenken, Dinge anzuvisieren, auf die Integralit�t der Wahrheit zu zielen und das Gleichgewicht zwischen den Extremen zu halten. Der islamische Monotheismus kann dem europ�ischen Bewusstsein in seiner Verwilderung und Verirrung F�hrung geben und es zum Fokus auf die Realit�t anleiten.

 

 

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