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Jens-Martin Kruse
Lutherischer Pastor, Deutschland
In dem unruhigen, in Deutschland bereits h�chst krisenhaften Fr�hsommer 1932 predigte Dietrich Bonhoeffer in der Kaiser-Wilhelm-Ged�chtniskirche in Berlin. Im Zusammenhang der Ermahnung des Apostel Paulus �Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist� (Kol 3,2) betonte Bonhoeffer in scheinbarer Verkehrung des Textes, dass die Christen sehr wohl nach dem trachten, �was auf Erden ist� - gerade weil sie Christen sind. Und deshalb fragte Bonhoeffer seine Gemeinde kritisch, �ob wir Christen Kraft genug haben, der Welt zu bezeugen, da� wir keine Tr�umer und Wolkenwandler sind. Da� wir nicht die Dinge kommen und gehen lassen, wie sie nun einmal sind [...] Sondern da� wir, gerade weil wir trachten nach dem, was droben ist, nur umso hartn�ckiger und zielbewu�ter protestieren auf dieser Erde. Protestieren mit Worten und Taten [...]� Wenn die Kirche diese Kraft nicht mehr aufbringe, �dann�, so f�hrt Bonhoeffer fort, �m�ssen wir uns nicht wundern, wenn auch f�r unsere Kirche wieder Zeiten kommen werden, wo M�rtyrerblut gefordert werden wird.� Wenige Monate sp�ter war in Deutschland diese Situation eingetreten. In der ersten H�lfte des Jahres 1933 �bernahmen die Nationalsozialisten die Macht. Die scheinbar positive Einstellung des NS-Regimes zum Christentum verstellte vielen Christen den Blick f�r die wahren Ziele und Absichten der Nationalsozialisten. Weder die katholische noch die evangelische Kirche sahen in der �Machtergreifung� Hitlers einen Grund zu irgendeiner Art von Protest- oder Widerstandsverhalten. Jedoch regte sich bald innerhalb der Kirchen Widerstand gegen die neuen Machthaber. Es war nicht der Widerstand der Kirchen als Ganze . Aber es waren einzelne Christen oder kleine Gruppen innerhalb der Kirchen, die gegen das Unrechtsregime der Nationalsozialisten �mit Worten und Taten protestierten�. Widerstand in einem totalit�ren Staat war kein vorgezeichneter Weg. Wer sich auf ihn einlie�, machte sich auf eine ungewisse und gef�hrliche Reise. Manchmal unter schweigender Zustimmung der Mehrheit der Mitchristen, in seltenen F�llen unterst�tzt durch Gemeinden oder Kirchenleitungen, meistens im freien Glaubenswagnis in der Nachfolge Jesu Christi. Zu den Menschen, die in dieser Weise Zeugnis f�r ihren Glauben ablegten, z�hlten in der norddeutschen Stadt L�beck der evangelisch-lutherischer Pastor Karl-Friedrich Stellbrink (1894-1943) und die drei katholischen Kapl�ne Johannes Prassek (1911-1943), Eduard M�ller (1911-1943) und Hermann Lange (1912-1943) . Weil diese vier L�becker Geistlichen gemeinsam im Namen Jesu Christi gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten protestiert hatten, wurden sie am 10. November 1943 in einem Gef�ngnis in Hamburg hingerichtet. Kennengelernt hatten sich Pastor Stellbrink und Kaplan Prassek bei einer Beerdigung im Sommer 1941. Aus dem spontanen Kontakt ergaben sich Gespr�che und man tauschte Information und Nachrichten aus. So gab Stellbrink zum Beispiel an Prassek Texte des evangelischen Landesbischofs Theophil Wurm weiter. Prassek seinerseits lie� Stellbrink die Predigten des Bischofs von M�nster, Clemens August Graf Galen, zukommen, die dieser im Sommer 1941 gegen das sogenannte Euthanasie-Programm (die T�tung geisteskranker Menschen) des NS-Regimes gehalten hatte . Gemeinsam mit den Kapl�nen M�ller und Lange vervielf�ltigten sie diese Texte und verteilten sie an Gemeindeglieder und Freunde. Eine Zusammenarbeit zwischen Pfarrern der evangelischen und der katholischen Kirche war damals in Deutschland ganz und gar nicht �blich. In der Regel gab es unter den Amtstr�gern der getrennten Kirchen so gut wie keinen menschlichen oder seelsorgerlichen Kontakt. Pastor Stellbrink und die Kapl�ne Prassek, Lange und M�ller �berwanden jedoch die bestehende Distanz zwischen ihren Kirchen, weil sie im jeweils anderen jenen Geist Jesu Christi wahrnahmen, der sie selbst bewegte und antrieb. Diese Erfahrung lie� sie br�derlich zusammenstehen und st�rkte ihren Mut, in L�beck �ber die Konfessionsgrenzen hinweg gemeinsam dem NS-Regime entgegenzutreten. Pastor Stellbrink war bereits in den sp�ten 30er Jahren mehrmals wegen seiner kritischen Haltung den staatlichen Stellen aufgefallen. Er war ein Gestalt von ganz eigenem Profil, die sich jeder Zuordnung entzieht. Er geh�rt nicht der �Bekennenden Kirche� an, war vielmehr im Jahre 1934 an die Luther-Kirche in L�beck berufen worden, weil er damals als �berzeugter Anh�nger der Nationalsozialisten galt . Als er jedoch erkannte, wie kirchenfeindlich und menschenverachtend das Vorgehen der Nationalsozialisten war, entzog er sich zunehmend dem Totalit�tsanspruch von Partei und Staat und brachte seine Distanz zum NS-Regime auch �ffentlich zum Ausdruck. Bereits im Jahre 1937 wurde Stellbrink aus der NSDAP entlassen. Vorausgegangen waren die Vorladung vor ein internes Parteigericht, weil er weiterhin Kontakte zu Juden unterhielt. Zudem hatte er mehrfach Verwarnungen f�r seine kritischen Predigten erhalten . In �hnlicher Weise wie bei Pastor Stellbrink war der Staatsmacht nicht verborgen geblieben, da� auch die drei jungen katholischen Kapl�ne deutlich Stellung gegen das NS-Regime bezogen. Die drei Geistlichen waren im Jahre 1939 bzw. 1940 an die Herz-Jesu-Kirche in L�beck gekommen. Rasch gewannen sie Zuspruch in der Gemeinde. In ihren Gottesdienst und Gemeindegruppen, bei ihren Treffen mit Jugendlichen und in der Seelsorge an Soldaten bezogen sie mit zunehmender Deutlichkeit Stellung gegen das Unrecht und die Vergehen der Nationalsozialisten. Die Geheime Staatspolizei reagierte auf diese Aktivit�ten der drei Kapl�ne im Sommer 1941, indem sie einen Spitzel in das katholische Pfarrhaus schickte, der unter dem Vorwand eines �Konvertiten� ein Jahr lang weiteres Verdachtsmaterial gegen die Geistlichen sammelte. Verd�chtig machte die Kapl�ne in den Augen des Staates zudem ihre enge Verbindung mit dem lutherischen Pastor Stellbrink. Von Seiten des Staates war man so auf diese vier L�becker Geistlichen und ihre Zusammenarbeit aufmerksam geworden. Man wartete nun auf eine Gelegenheit, um sich dieser unbequemen Pfarrer zu entledigen und an ihnen zum Zwecke der Abschreckung ein Exempel zu statuieren. Die Gelegenheit kam im Fr�hjahr 1942. Als erstes wurde am 7. April 1942 Pastor Stellbrink verhaftet. Den eigentlichen Anla� dazu bildete die Predigt, die er am Sonntag Palmarum in der Luther-Kirche gehalten hatte. In der Nacht vorher hatten englische Kriegsflugzeuge ihre Bomben �ber der Altstadt L�becks abgeworfen. Die ganze Nacht �ber war Pastor Stellbrink im Einsatz gewesen, um Menschen zu retten und beim L�schen der Br�nde zu helfen. �bern�chtigt und aufgew�hlt stand er am Sonntagmorgen auf der Kanzel und wies die Gemeinde auf den lebendigen Gott hin, der sich im konkreten Geschehen zeige. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen seiner Predigt, aber Zuh�rer haben ihre zentrale Aussage folgenderma�en verstanden und zusammen gefa�t: �Gott hat mit m�chtiger Stimme geredet. Die L�becker werden wieder lernen zu beten.� Wie ein Lauffeuer ging es durch die Stadt: Pastor Stellbrink habe in der Luther-Kirche den Bombenangriff ein �Gottesgericht� genannt, einen Einspruch Gottes gegen das, was durch das NS-Regime in Deutschland geschah. Dieser Zweifel an der Allmacht des Systems konnte nicht hingenommen werden, und so wurde Pastor Stellbrink kurze Zeit sp�ter von der �Geheimen Staatspolizei� verhaftet . Im Mai und Juni 1942 wurden dann ebenfalls die drei katholischen Kapl�ne Prassek, Lange und M�ller sowie mit ihnen 18 Laien der katholischen Gemeinde verhaftet . �ber ein Jahr mu�ten die Gefangenen auf ihren Proze� warten. Dann fand der Proze� an nur drei Tagen im Juni 1943 vor dem in L�beck tagenden Volksgerichtshof statt . Das Urteil, das am 23. Juni 1943 gesprochen wurde, stand schon vorher fest . Alle vier Geistlichen wurden wegen Zersetzung der Wehrkraft, Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbeg�nstigung und Funkverbrechen zum Tode verurteilt . Am selben Tag schrieb Kaplan Prassek in seine Ausgabe des Neuen Testaments: �Sit nomen Domini benedictum! (Der Name des Herrn sei gepriesen) Heute wurde ich zum Tode verurteilt.� Und auf dem Titelblatt notierte er: �Wer sterben kann, wer will den zwingen?� Kaplan Lange schrieb nach der Verurteilung: �Ich pers�nlich bin ganz ruhig und sehe fest dem Kommenden entgegen. Wenn man wirklich die ganze Hingabe an den Willen Gottes vollzogen hat, dann gibt das eine wunderbare Ruhe und das Bewu�tsein unbedingter Geborgenheit.� So gingen alle vier L�becker Geistlichen den Weg ihres Martyriums aufrecht und bis zum Schlu� treu in der Nachfolge Jesu Christi. Wenige Tage nach der Verhandlung wurden sie in ein Gef�ngnis nach Hamburg abtransportiert. Einige Wochen teilten sich Pastor Stellbrink und Kaplan Lange eine Zelle. �Anregende Gespr�che�, so schreibt Lange in einem Brief vom 14. August 1943 �ber diese Zeit, �und gemeinsames Tun verk�rzen die Tage, die ja so langsam dahinschleichen und doch wieder so schnell entschwinden.� Fast f�nf Monate warteten die zum Tode Verurteilten auf die Hinrichtung. Nach eineinhalb Jahren Gef�ngnis, in welchen Isolation, Folter und Hunger zu den Haftbedingungen geh�rten, starben am Abend des 10. November 1943 Eduard M�ller, Johannes Prassek, Hermann Lange und Karl Friedrich Stellbrink kurz nacheinander im Hamburger Gef�ngnis am Holstenglacis unter dem Fallbeil. Das Blut der vier L�becker M�rtyrer ist buchst�blich ineinander geflossen. F�r die evangelische wie f�r die katholische Kirche ist dies gemeinsame Blutzeugnis der vier L�becker M�rtyrer �ein bleibendes Verm�chtnis und einen �kumenische Verpflichtung.� Nach evangelischem Verst�ndnis geh�ren M�rtyrer zu den Heiligen, die von Gott als Beispiel ausgew�hlt sind, �da� wir unsern Glauben st�rken, wenn wir sie sehen, wie ihnen Gnade widerfahren ist, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist; dazu, da� man Exempel nehme von ihren guten Werken� . In diesem Sinne ist das Martyrium der vier L�becker Geistlichen �ein bleibendes Verm�chtnis�. Denn sie haben ihren Glauben auch im Leiden bew�hrt und haben bis in den Tod hinein ein Zeugnis f�r die Wahrheit Jesu Christi abgelegt. Wo die Mehrheit der Christen in Deutschland schwieg, da besa�en sie den Mut, der L�ge und der Einsch�chterung im Namen Jesu Christi entgegenzutreten und damit deutlich zu machen, da� in der Wirklichkeit des Glaubens die Macht des B�sen begrenzt ist. Weil bei ihnen Glaube und Handeln in beeindruckender Weise �bereinstimmten, deshalb sind die vier L�becker M�rtyrer als glaubw�rdige Christen Vorbilder f�r alle, die dem Weg Jesu Christi ernsthaft nachfolgen wollen. �Eine �kumenische Verpflichtung� von besonderem Stellenwert ist das Blutzeugnis der vier L�becker M�rtyrer, weil erstens w�hrend der Zeit des Nationalsozialismus nirgendwo in Deutschland evangelische und katholische Geistliche in so eindeutiger �kumenischer Gemeinsamkeit gegen das NS-Regime �mit Worten und Taten protestiert haben�. Kaplan Lange brachte die Bedeutung ihrer geistlichen Verbundenheit auf den Punkt, wenn er im Juli 1943 notierte: �Das gemeinsam ertragene Leid der letzten Jahre hat die beiden christlichen Kirchen einander n�her gebracht. Ein Symbol dieser Leidensgemeinschaft, aber auch der Ann�herung, ist die gemeinsame Haft des katholischen und des evangelischen Geistlichen.� Zweitens wird an dem gemeinsamen Martyrium der L�becker Geistlichen die f�r die Geschichte des Christentums bedeutsame Tatsache exemplarisch deutlich, da� nach einer langen Periode des Gegeneinanders nun �Protestanten und Katholiken [...] zum ersten Mal ein partnerschaftliches Martyrium erfahren haben.� Damit hat ein qualitativ neuer Abschnitt in der Geschichte beider Kirchen begonnen, hinter den sie nicht wieder zur�ckfallen d�rfen. So vergegenw�rtigt uns das Leben und Sterben der vier L�becker M�rtyrer, wie nahe Christenmenschen schon einmal ihre Gemeinschaft des Glaubens gelebt haben. Dabei haben die L�becker Geistlichen die konfessionellen Unterschiede nicht �bersprungen. Aber sie haben ihre Kirchen durch ihr gemeinsames Zeugnis darin erinnert, da� sie durch das eine Fundament ihres Glaubens Br�der und Schwestern in Christus sind, nicht Fremde oder Feinde. Der Begriff �vers�hnte Verschiedenheit� stand ihnen noch nicht zur Verf�gung. Aber inhaltlich haben sie genau dies gelebt. Mit ihrem gemeinsamen Martyrium bezeugen die vier L�becker Geistlichen die nie verloren gegangene Einheit der Kirche Jesu Christi und bilden eine Verhei�ung f�r eine Christenheit, die zur sichtbaren Einheit in vers�hnter Verschiedenheit finden mu�. Von daher l��t sich mit den Worten Papst Johannes Paul II. schlie�en: �Das wertvolle Erbe, das uns diese mutigen Zeugen �berliefert haben, ist ein gemeinsames Erbe aller Kirchen und aller kirchlicher Gemeinschaften. Es ist ein Erbe, das lauter spricht als die Faktoren der Trennung. Der �kumenismus der M�rtyrer und der Glaubenszeugen �berzeugt am meisten. Er zeigt den Christen des einundzwanzigsten Jahrhunderts den Weg zur Einheit auf. Es ist das Erbe des Kreuzes, das im Licht von Ostern erlebt wird: ein Erbe, das die Christen reich macht und aufrichtet, w�hrend sie sich auf den Weg ins neue Jahrtausend machen.
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