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Fritz Pleitgen
Intendant des WDR, Deutschland
Verehrte Damen und Herren, in Friedenszeiten und in einer demokratischen und pluralistisch entfalteten Gesellschaft, wo Menschen- und B�rgerrechte weitgehend gesch�tzt und garantiert sind, hat der Journalist eine relativ einfache, wenngleich verantwortungsvolle Aufgabe. Sie wird sofort schwierig und gef�hrlich, wenn er aus und �ber instabile Verh�ltnisse berichten soll, unter autorit�ren Regimen, inmitten von Krisen, Konflikten oder gar Krieg. Humanismus, wie ich ihn verstehen will, ist eine geistig-moralische Haltung mit dem Ziel einer verstehenden und befriedeten Zivilisation, in der sich alle guten Kr�fte der Menschen und der V�lker entfalten d�rfen, in gegenseitiger Achtung und Solidarit�t. Was k�nnen Journalisten und Massenmedien dazu beitragen? Nun, sie organisieren Wege der Kommunikation und transportieren Informationen, Ideen, Werte, die die Identit�t von Menschen und Kulturen mitformen und zum Ausdruck bringen. Dies ist eine wichtige soziale und kulturelle Aufgabe, umso wichtiger, als die Massenmedien inzwischen weltweit zur vorherrschenden Quelle von Information und Partizipation im gesellschaftlichen Miteinander geworden sind. Immer mehr Menschen verbringen eine wachsende Lebenszeit mit Medienkonsum. Das beginnt schon in der pr�gsamsten Phase von Kindheit und Jugend. Es beeinflusst ihr Welt- und Menschenbild, und oft ist es nicht mehr die pers�nlich erlebte Realit�t, sondern die vermittelte, ausgew�hlte und gestaltete Ansicht von Realit�t, die das �ffentliche und private Bewusstsein mitbestimmt. Gleichzeitig verlieren die klassischen Institutionen der Menschenbildung an Bedeutung. Familie, Schule, Kirche; zumindest in den Wohlstandszonen der Erde schwindet ihre pr�gende Kraft. Familien schrumpfen und zerfallen. Die Schule ist oft �berfordert. Den Kirchen f�llt es immer schwerer, sich verst�ndlich zu machen. � Die Massenmedien tragen dazu nicht unerheblich bei. Ihre Omnipr�senz, ihre manischen Gl�cksversprechungen und ihre oft leichtlebigen Geschichten ersch�ttern alte Gewissheiten und tradierten Werte, darunter nat�rlich auch solche, die seit langem einer Ersch�tterung bed�rfen. Die soziale Verantwortung der Medien muss in journalistischer und unternehmerischer Ethik greifbar werden. In dieser Verpflichtung gibt es keinen Unterschied zwischen �ffentlich-rechtlichen oder kommerziellen Medien. Die Realit�t sieht allerdings anders aus, wie wir alle wissen. Dort, wo Information und Meinung den �konomischen Profit steigern sollen, ganz besonders etwa im Bereich der elektronischen Massenmedien, bekommen Begriffe wie Unparteilichkeit, Ausgewogenheit, journalistische Sorgfalt usw. weiche Konturen. Das hat Gr�nde. Solche Medien orientieren sich viel st�rker an den Erwartungen und Befindlichkeiten ihrer Kunden. Das macht den �ffentlich-rechtlichen Rundfunk unentbehrlich. Wir erleben es vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten. Wenn es darauf ankommt, vertrauen die Menschen viel eher den politisch und �konomisch unabh�ngigen Medien. Journalismus braucht Unabh�ngigkeit, wenn er seine Aufgabe erf�llen soll. Im Krieg ist diese aufs h�chste bedroht. Freier Informationsfluss und Wahrheit sind immer die ersten Opfer eines Krieges. Die Verdichtung der Kommunikationswege und die technische Revolution erm�glichen eine gute und schnelle Berichterstattung wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Paradoxerweise erm�glicht sie aber auch den Regierungen und Kriegsparteien wie noch nie journalistische Aufkl�rung einzuengen und zu unterdr�cken. Man f�hrt �saubere� Kriege mit �chirurgischen� Schl�gen, ferngesteuert und scheinbar menschenleer und l�sst keine Journalisten in die N�he der betroffenen Menschen und des eigentlichen Geschehens der Schlachtfelder. Man f�ttert sie auf Pressekonferenzen des Hauptquartiers mit Informationen, die von Propaganda kaum zu unterscheiden sind. Die solcherma�en �eingebetteten� Journalisten werden Teil des Informationskrieges und geh�ren zum Waffenarsenal der Kriegsparteien, und da ihnen alle anderen Quellen verschlossen bleiben, sind sie eher Kombattanten als kritische Beobachter. Aber auch wo Journalisten im Sinne einer �political correctness� f�r die gut gemeinten Ziele humanit�rer Organisationen instrumentalisiert werden sollen, lauern Gefahren. Ihre Aufgabe ist es, m�glichst alle relevanten Fakten in einer gegebenen Situation wahrzunehmen. Wenn sie selbst auf der Barrikade stehen, �ber die sie berichten sollen, k�nnte sich dieser Blick verzerren. �Ich hasse niemanden�, schrieb Elias Canetti in sein Tagebuch, �am wenigsten meinen Feind.� Gerade diesem n�mlich will er sich nicht unterwerfen. Wer auf einen Schlag nur mit Schl�gen antwortet, unterwirft sich den Spielregeln das Angreifers. (Der wirkliche Pazifist ist ja auch der vollkommene �Nichtleiter� des Krieges. Er k�mpft nicht f�r den Frieden. Er hat ihn.) Die alten Griechen erz�hlten die Geschichte des Mannes, der mit den anderen in den Krieg zog, bewaffnet nur mit einem Bogen, aber ohne Pfeile. �Mit welchen Pfeilen willst du schie�en?� fragten ihn seine Kameraden. �Kein Problem�, sagte er, �ich nehme die Pfeile, die der Feind her�berschie�t.� � �Du bist verr�ckt!� spotteten sie. �Was willst du machen, wenn er keine schie�t?� � �Dann brauche ich auch keine.� Der Journalist steht nicht auf der Barrikade dieser oder jener Partei. Seine Barrikade ist die unerm�dliche Suche nach Wahrheit. Er sieht und h�rt immer auch die andere Seite. Und meistens gibt es noch eine dritte. Indem er das tut, dient er einem h�heren Interesse, denn das erst erm�glicht es W�hlern und politischen Entscheidungstr�gern, ein realistisches Bild der Lage zu gewinnen und vern�nftig zu entscheiden. Aber was hei�t hier Vernunft? - Krieg beginnt in den K�pfen und Herzen der Menschen. Lange, bevor der erste Schuss f�llt, hat er Gestalt angenommen im Bewusstsein der Politiker, der Gener�le, der V�lker. Seine Logik durchdringt den Alltag. Er benutzt die Leidenschaften der Menschen, ihre diffusen �ngste, ihre antiquierten Ehrbegriffe, ihre Unwissenheit, ihre Unf�higkeit, erlittenes Unrecht zu vergessen, ihre mangelnde Bereitschaft, Konflikte gewaltfrei zu l�sen. Er benutzt sogar ihre Religion, um seine eigentlichen Ziele zu verschleiern. Und moderne Kriege haben viele Formen. Industrienationen f�hren Krieg gegen Entwicklungsl�nder. Plutokraten pl�ndern die kleinen Leute. Diktatoren f�hren Krieg gegen ihr eigenes Volk. Fanatische Fundamentalisten attackieren kompromissf�hige Pragmatiker. Ewig Gestrige bek�mpfen die Zukunft. Skrupellose und kurzsichtige Gewinnler bekriegen die Natur, die Umwelt, die Sch�pfung. Nichts davon ist d�monisches Verh�ngnis. Alles ist �hausgemacht�, beruht auf Fehlern und Schw�chen und k�nnte auch vermieden werden. Denn Kriege verhalten sich wie Feuer, und jeder kleine Feuerwehrmann wei�, wie man damit umgeht. Drei Faktoren n�mlich m�ssen zusammenkommen, damit ein Brand entsteht: Brennmaterial, Sauerstoff und ein Z�ndfunke. Wer Brandkatastrophen verhindern will, sollte daf�r sorgen, dass sich m�glichst wenig Brennstoff anh�uft, er soll alles tun, dass kein Z�ndfunke entsteht und er soll, wenn es brennt, nicht auch noch hineinblasen, sondern das Feuer m�glichst bald ersticken. Was haben die Medien damit zu tun? Ich glaube, sehr viel. Wir wissen und erleben es tagt�glich: Ein zielstrebiger Demagoge, der Zugang zu den Massenmedien hat, kann ein friedliches Land aufst�ren, seine guten Institutionen zerr�tten, Nachbarn misstrauisch machen und sie in eine Spirale der Gewalt treiben. Er kann sehr viel Brennmaterial anh�ufen und kr�ftig in jeden Z�ndfunken blasen. Medien k�nnen Konflikte vorbereiten, ausl�sen, anheizen, verl�ngern. Also k�nnen sie sie auch bremsen, abk�hlen, abk�rzen. Eine freie und verantwortlich handelnde Presse kann viel zur friedlichen Entwicklung des nationalen und internationalen Gemeinwesens beitragen. Sie kann und muss informieren und aufkl�ren, um den B�rgern ein wirklichkeitsnahes Bild der Lage zu vermitteln. Sie kann und muss Feindbildern entgegentreten, indem sie Begegnung und Dialog f�rdert, gemeinsame Interessen und Ziele formuliert und Alternativen offen h�lt. Sie kann und muss Geschichten erz�hlen, die die Menschen tiefer und nachhaltiger erreichen und ber�hren als es Vernunftgr�nde und politische Fakten k�nnen. Sie kann und muss ihre eigene Sprache �berpr�fen, um die Vision einer guten Zukunft nicht durch das gewaltt�tige Vokabular der Vergangenheit unglaubw�rdig zu machen. Und immer wieder muss sie ideologische Verk�rzungen entlarven und ihnen das wirkliche Leben entgegenhalten. K�nnen nicht alle Konfliktgegner dieser Erde einander zurufen, was Shakespeare�s vierzehnj�hrige Julia so verzweifelt wahr und treffgenau formuliert: 'Tis but thy name that is my enemy; Thou art thyself, though not a Montague. What's Montague? it is nor hand, nor foot, Nor arm, nor face, nor any other part Belonging to a man. Eine freie und verantwortliche Presse �bt die Kunst des Erinnerns und die Kunst des Vergessens. Sie sammelt und sichert schmerzliche Erfahrungen, betrachtet die Schuld der Vergangenheit aber als das, was wir der Zukunft schulden. Sie gibt ihr nicht das Recht, den Weg in eine bessere Zukunft f�r immer zu versperren. Ein Frieden, nur auf Vernunft gegr�ndet, mag gelingen, wenn die Leidenschaften ihrer selbst m�de wurden. Ist die Vernunft nicht am Ende �berhaupt nur die Ersch�pfung der Leidenschaften, also bestenfalls Vernunft im nachhinein? Die wirklichen Friedensstifter waren immer diejenigen, die sich der Logik des Krieges verweigerten. Die Religionen sind reich an Menschen und Erfahrungen, die angesichts der Gr��e und allumfassenden Liebe ihres Gottes f�hig waren, �ber den eigenen Schatten zu springen und Teufelskreise zu sprengen. Sind die Religionsgemeinschaften nicht auch �Medien�? Tr�ger einer Botschaft, Erz�hler von Geschichten, Gestalter des Unsagbaren? Ist es nicht auch ihre Aufgabe, die Menschen aufzurichten, statt sie niederzumachen, ihren Blick zu weiten, statt ihn zu verengen, sie zum Leben zu ermutigen statt zum Tode - oder gar zum T�ten? Ich wei�. Allen Friedensstiftern begegnet die Frage nach der aggressiven Natur des Menschen. Ist der Krieg nicht wirklich der �Vater aller Dinge�? Werden Kampf und Wettkampf, Misstrauen und Territorialverhalten, Drohung und Angst nicht f�r alle Zeiten das Zusammenleben der Menschen und V�lker zu einem Gegeneinanderleben machen? � Mir f�llt da immer eine kleine Geschichte ein, die so oder �hnlich in allen Weisheitsb�chern der Religionen stehen k�nnte, und ich m�chte sie den Mitarbeitern der Massenmedien ins Stammbuch schreiben: Der Meister und sein Sch�ler sa�en morgens im Garten und lauschten dem vielstimmigen Zwitschern der V�gel. �Kein Grund zur Romantik�, meinte der Sch�ler, denn er war ein moderner und aufgeschlossener junger Mann. �Das alles bedeutet doch nur: �Dies ist mein Revier. Verschwindet! � Wehe euch, wenn ihr mir zu nahe kommt! � V�gel sind halt auch nur Menschen.� � Der Meister h�rte ihm geduldig zu. Er nickte auch ein wenig, aber dann kniff er die Augen zusammen: �Vielleicht hast du Recht�, sagte er mit einem leisen L�cheln, �aber sie tun�s mit Singen!�
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