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11 September 2017 16:30 | Westfälische-Wilhelms-Universität - Hörsaal JO 1

Rede von Martin Heimbucher



Martin Heimbucher


Evangelisch-reformierter Kirchenpräsident, Deutschland
Geistige und spirituelle Wurzeln der Abrüstung
 
Ein Beitrag zu Panel 13 der Versammlung der Gemeinschaft St. Studio am 11. September 2017 in Münster 
 
Wo kommen wir her, wenn wir als Christen zum Thema Abrüstung sprechen? Welches sind die geistigen und spirituellen Wurzeln unserer Beiträge zu diesem Menschheitsthema? 
 
1. „Wenn Du den Frieden willst …“
 
„Wenn du den Frieden willst, dann bereite den Krieg vor.“ „Si vis pacem, para bellum.“ So lehrte es die politische Philosophie des Römischen Reiches. Und bis in das 20. Jahrhundert hinein folgten die politischen Eliten Europas dieser Maxime. Um die Jahrhundertwende entwickelten deutsche Ingenieure ein Maschinengewehr, das in diesem Geist den Namen „Parabellum“ bekam. Niemand hat je gezählt, wie viele zehntausend europäischer junger Männer ins Feuer solcher Waffen getrieben wurden. Sie sind Opfer dieses Ungeistes geworden, der vermeintlich um des Friedens willen zum Krieg rüstete, aber tatsächlich den tausendfachen Tod erntete.
 
Etwa zur gleichen Zeit, als das Maschinengewehr mit jenem verhängnisvollen Namen produziert wurde, baute man im niederländischen den Haag einen Friedenspalast. Er trug nach seiner Fertigstellung im Jahr 1913 an seinem Giebel eine andere Inschrift: „Si vis pacem, cura justitiam.“ „Wenn du den Frieden willst, dann sorge für die Gerechtigkeit.“ Diese andre Maxime knüpft eine Verbindung, die auch heute, ein Jahrhundert später, der Friedensethik der evangelischen Kirche Orientierung gibt: die Verbindung zwischen Frieden und Recht. 
 
2. Nicht mehr: „Gerechter Krieg“, sondern: Gerechter Frieden
 
Wir haben den traditionellen Begriff eines „bellum iustum“ bewusst verlassen. Denn die Erfahrung lehrt uns: Es gibt keinen Krieg, der als „gerecht “ bezeichnet werden dürfte. Stattdessen präzisieren wir unseren Friedensbegriff: Wir sprechen von einem Frieden in Gerechtigkeit und vom „Gerechten Frieden“; das soll das Leitbild unseres Redens und Handelns sein. Gleichwohl müssen wir auch feststellen: Die Einsicht in den Zusammenhang von Frieden und Recht auf dem Haager Friedenspalast hat das Völkerschlachten im 20. Jahrhundert nicht verhindert. 
 
Bis heute begleitet uns in den internationalen Beziehungen das Dilemma, dass Institutionen des Rechts in der Regel zu schwach sind, um die affektgetriebene Dynamik des Unfriedens zu bannen. Das bedeutet keineswegs, dass wir den Zusammenhang von Frieden und Recht aufzugeben hätten. Aber es gehört zur Wahrheit, der wir uns stellen müssen, dass der Frieden wie die Gerechtigkeit eschatologi-sche Begriffe sind, die wir zuerst und zuletzt dem Handeln Gottes zuordnen müssen. Menschliches Tun und Lassen soll sich diesem Handeln Gottes zuordnen. Es kann sich aber nicht anmaßen,  Gerechtigkeit und Frieden selbst zu verwirklichen.
 
3. Schutzverantwortung und Prävention (responsibility to prevent)
 
Als Beispiel für die Spannung zwischen Frieden und Recht erinnere ich an eine aktuelle Debatte auf der Ebene der Vereinten Nationen: Es hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Gemeinschaft der Nationen eine Verpflichtung hat, im Fall schwerer und andauernder Verletzungen der Menschenrechte und im Fall eines drohenden oder schon begonnenen Völkermords, schützend einzugreifen. Es gibt eine Verantwortung der Vereinten Nationen, Volksgruppen gegenüber einer systematischen Verfolgung und Vernichtung durch staatliche oder nichtstaatliche Gewalt zu schützen – wenn sie dazu in der Lage ist, ohne noch größeren Schaden anzurichten. Wir haben als Gemeinschaft von Nationen eine Schutzverantwortung, die „responsibility to protect“. Diese Schutzverantwortung steht aber in der Praxis oft in Spannung zu dem völkerrechtlichen Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Besondere Schwierigkeiten bereitet dieses Prinzip in den Fällen, wenn in einem Land oder in bestimmten Regionen eines Landes keine staatliche Ordnung mehr besteht, wenn wir es also mit „failed states“ zu tun haben. 
 
Orientierung gibt in diesem Dilemma das Prinzip, dass die internationale Schutzpflicht soweit wie möglich in Einklang gebracht werden muss mit der Stabilisierung oder Aufrichtung einer staatlichen Ordnung. In der konkreten Praxis aber bleibt eine Spannung zwischen Frieden und Recht, die benannt werden muss und an deren Überwindung wir beharrlich zu arbeiten haben.
 
Diese Grundspannung erinnert an eine andere Verpflichtung, die diesen beiden Zielen noch vorausgeht. Es gibt nicht erst eine „responsibility to protect“, sondern früher schon eine „responsibility to prevent“, eine Verantwortung dafür, präventiv am Abbau von systematischem Unrecht und präventiv am Aufbau friedensför-dernder Strukturen zu arbeiten. 
 
4. Erziehung zum Frieden
 
Die entsprechende Maxime lautet: „Si vis pacem, para pacem!“ „Wenn du den Frieden willst, dann bereite den Frieden vor.“ Prävention beginnt mit der Erziehung zum Frieden. Unsere evangelische Partnerkirche in Syrien und im Libanon, die National Evangelical Synod of Syria and Lebanon“ (NESSL) konzentriert sich in dieser Phase des Krieges und des beginnenden Wiederaufbaus besonders auf die Arbeit in den Schulen, die sie seit 150 Jahren in diesen Ländern unterhalten. Es geht um Erziehung zum Frieden, die nur gelingt, wenn schon Kinder und Jugendliche in ihrer Schule das Miteinander von Angehörigen verschiedener Konfession und verschiedener Religion erfahren und einüben. In einer von Terror und Krieg zerstörten Region ist dieses christliche Engagement für eine Erziehung zum Frieden ein Zeichen für Versöhnung und das Zeugnis einer unzerstörbaren Hoffnung, der Hoffnung des Glaubens.
 
Wenn Du den Frieden willst, dann bereite den Frieden vor – und nicht den Krieg. In den Heiligen Schriften der Juden und der Christen finden wir starke Hinweise darauf, dass Gottes Wirken die Menschheit auf den Weg der Abrüstung führt und den Teufelskreis der Aufrüstung durchbricht. 
 
5. David und Goliath – zivile Verteidigung statt Abschreckung
 
Haben Sie schon entdeckt, dass zum Beispiel die berühmte Geschichte von David und Goliath eine Geschichte der Abrüstung ist? Anschaulich wird in dieser Geschichte zunächst geschildert, wie der Riese Goliath an der Spitze eines waffentechnologisch weit überlegenen Heeres die Israeliten einschüchtern möchte: Er brüstet sich mit seiner Größe, er droht mit seinem tödlichen Speer und er verhöhnt die Feinde und ihre Religion. Die schwere Rüstung Goliaths wird in der Geschichte anschaulich geschildert: Er hatte einen eisernen Helm auf seinem Haupt, metallene Schienen an seinen Beinen und eine Rüstung von 5000 Lot Eisen um den Leib, das wären umgerechnet 100 Kilogramm Metall. Goliath wird hier gezeichnet als eine groteske Kampfmaschine, die jedem modernen Fantasy-Film Ehre machen würde. Zu dieser Einschüchterung durch Rüstung tritt die psychologische Kriegführung. Als David, der Hirtenjunge, sich ihm furchtlos entgegenstellen möchte, wollen ihn seine eigenen Brüder verärgert nach Hause schicken. Der König Israels, Saul, aber will das Schlimmste verhüten, und reicht dem Knaben seine eigene Rüstung: seinen königlichen Helm, seinen Leibschutz und sein Schwert. David aber legt diese Rüstung sogleich wieder ab, denn: „Ich kann so nicht gehen, denn ich bin es nicht gewohnt.“ Und er tritt an im Kampf gegen den hochgerüsteten Riesen mit der Ausrüstung eines Hirtenjungen: Mit fünf Kieselsteinen und einer Schleuder. „Ich kann so nicht gehen“, sagt David, und legt die schwere Rüstung ab. 
 
Diese biblische Urgeschichte bewahrt einen Hinweis bis heute. Wie wehren wir uns gegen die Goliaths von heute, die uns einschüchtern wollen mit ihrem Drohen mit Raketen und ihren atomaren Vernichtungsmitteln? Nein, gegen Rüstung wehrt man sich nicht mit Rüstung. Wettrüsten lässt die weltlichen Mächte in Unfrieden erstarren. Den Frieden fördert man, indem man seine Beweglichkeit erhält. Wir sind nicht wehrlos gegen Unrecht und Gewalt. Aber wir wehren uns nicht mit immer mehr Waffen. Sondern wir setzen Zeichen zivilen Ungehorsams gegen das Wettrüsten und gegen die Drohung mit atomarer Vernichtung. Es gilt, in den Konflikten unserer Zeit, Methoden einer zivilen Verteidigung zu üben und unsere Kinder in Ihrem Mut zu stärken: durch Beispiele der Zivilcourage.
 
6. Schwerter zu Pflugscharen
 
Die bekannte prophetische Vision aus der hebräischen Bibel, erhellt zum Schluss diese Zusammenhänge. Die Voraussetzung dieser Abrüstung ist die Einsicht der Völker in das Recht Gottes, das sich in den allgemeinen Menschenrechten konkretisiert. Die Vision beginnt nämlich mit der Hinwendung der Völker zur Torah Gottes, zu der göttlichen Weisung für ein gerechtes Zusammenleben der Menschen. Es handelt sich dabei nicht um ein starres Gesetz, sondern um eine Orientierung, eine Wegweisung: „Lasst uns zum Hause des Gottes Jakobs gehen, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Pfaden.“ (Jesaja 2,3) Mit dieser Weisung im Herzen wird es gelingen, „Schwerter zu Pflugscharen zu schmieden und Spieße zu Sicheln“. Die Ressourcen der Erde und die Fähigkeiten des Menschen sollen nicht mehr in den Dienst gegenseitiger Vernichtung gestellt werden, sondern in den Dienst von Saat und Ernte, in den Dienst der Ernährung aller Menschen und in den Dienst einer gerechten Verteilung der begrenzten Güter dieser Erde. Und damit es gelingt, dass künftig kein Volk mehr gegen das andere das Schwert nimmt, dazu ist ein neues Lernen nötig, eine Erziehung zum Frieden. „Sie werden künftig nicht mehr lernen, Krieg zu führen“, sagt unser Prophet voraus. Sondern sie werden den Frieden lernen.

 

#peaceispossible #stradedipace
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