Die Tagung "Arabischer Frühling - auf dem Weg zu einem neuen Nationalbündnis" fand am Sitz der Gemeinschaft Sant'Egidio in Rom statt und war auch durch die Teilnahme wichtiger Persönlichkeiten aus der arabischen Welt und Hauptakteuren dieser historischen Epoche eine Gelegenheit zu einem tieferen Verständnis dessen, was am Südufer des Mittelmeeres im Gange ist.
............................. NEWS VON DER TAGUNG ..............................
“DER ARABISCHE FRÜHLING FORDERT LEIDENSCHAFT UND SYMPATHIE.”
IMPAGLIAZZO ZUM ABSCHLUSS DER TAGUNG VON SANT'EGIDIO.
Marco Impagliazzo, der Präsident der Gemeinschaft Sant'Egidio, sprach zum Abschluss der inhaltsreichen Tagung über den arabischen Frühling, an dem 27 Redner in fünf Arbeitseinheiten das Wort ergriffen. Er sagte: "Das heutige Geschehen erlaubt es nicht, angesichts der großen Ereignisse des arabischen Frühlings skeptische Zuschauer zu sein, stattdessen müssten wir respektvoll und leidenschaftlich Anteilnahme zeigen. Wie? Mit drei Schlüsselworten: Begegnung, Zuhören, Freundschaft. Die realistische Freundschaft hat einen weiteren Blick als die Dichotomie Optimismus-Pessimismus und schenkt ein leidenschaftliches und vertieftes Verständnis der Ereignisse. Wir Europäer müssten mehr spüren, dass wir zur Anteilnahme aufgerufen sind. Wir müssen dieselbe, natürlich nicht unkritische Begeisterung zeigen wie bei den großen Veränderungen des Jahres 1989. Der Islam ändert sich, es ist ein epochales Geschehen, das Unterstützung und Sympathie hervorrufen sollte". Der Präsident von Sant'Egidio hob vor allem zwei Aspekte wichtiger und in der Diskussion deutlich gewordener Neuigkeiten hervor: Man erlebt Veränderungsprozesse im eigenen Land als Bürger und nicht als Angehörige einer Ethnie oder einer Religion. Das neue sich abzeichnende politische Gleichgewicht weist zudem auf einen neuartigen Weg der Versöhnung zwischen Glauben und säkularer Wirklichkeit hin. Das genügt, um es nicht an Leidenschaft und Sympathie angesichts einer Bewegung fehlen zu lassen, die in unserer Zeit Geschichte schreibt.
DER WIND DES ARABISCHEN FRÜHLNGS WEHT - UND EUROPA?
In der arabischen Welt weht der Wind der Geschichte. Die von Sant'Egidio organisierte Tagung versuchte durch siebenundzwanzig Redebeiträge, die Ereignisse und das komplexe Geschehen zu interpretieren. Das tat auch von einem italienischen und europäischen "Gesichtspunkt" Massimo D'Alema in seinem Beitrag. Der ehemalige Ministerpräsident und jetzige Vorsitzende der Sicherheitskommission des Parlaments diskutierte mit Franco Frattini, dem früheren Außenminister, im letzten Teil der Tagung, der sich mit der Rolle Europas beschäftigte. D'Alema sagte: "Die Seite der Islamophobie wurde beiseite gelegt, heute müssen wir die mitreißende Ausstrahlung des politischen Islam auf die Bevölkerung berücksichtigen. Dämonisierende Sichtweisen müssen überwunden werden, ein Dialog mit den neuen Kräften ist notwendig, der die Demokratie nicht als Wahlmöglichkeit sondern vor allen Dingen als ein Recht der Minderheiten betrachtet, als Opposition aufzutreten. Dabei stehen die neuen Bewegungen dem Westen nicht feindlich gegenüber, im Gegenteil sie entstanden und haben sich verbreitet, indem sie allgemeine Werte und Kommunikationsmittel in breitem Maße eingesetzt haben. Europa darf nicht mit Misstrauen, Zurückhaltung und noch weniger mit Nostalgie reagieren. Der aktuelle Wandel verleiht seinem Sicherheitsbedürfnis mehr Garantien. Daher muss es eine neue politische Phase gegenüber dem Mittelmeerraum einleiten und endlich eine gleichberechtigte Partnerschaft und einen kulturellen Austausch neben rein wirtschaftlichen oder aus Interessen bestehenden Beziehungen aufbauen. Es muss eine gemeinsame Immigrationspolitik, die eben auf Afrika ausgerichtet ist, aufbauen, und damit berücksichtigen, dass auch die Länder am südlichen Mittelmeerufer mittlerweile Ziel von Migrationsströmen sind und nicht nur Emigranten exportieren. Es muss neu über eine Politik des Friedens und der Sicherheit nachdenken und gemeinsam mit den arabischen Ländern über bestehende Konflikte beraten, zu denen an erster Stelle der israelisch-palästinensische Konflikt gehört". Abschließend sagte D'Alema: "1989 fand unser Frühling statt, und damals war Europa Förderer des Traums von der europäischen Erweiterung. Heute müssen wir etwas Ähnliches mit unseren Nachbarn am Mittelmeer tun".
Frattini bezog sich auf die Anregungen und schlug eine "neue KSZE" vor. Wie die Konferenz von Helsinki der Dietrich war, um den eisernen Vorhang aufzubrechen, so muss heute ein gemeinsamer Organismus gefunden werden, der die neue gemeinsame Perspektive Europas und des Mittelmeers stärkt. Der ehemalige Außenminister sprach über einen unumkehrbaren Demokratisierungsprozess und rief Europa zur Selbstkritik auf: "Die Interessenpartnerschaft konnte nicht von langer Dauer sein". Das heutige Programm lautet: "Money, mobility, markets. Money: gleichberechtigte und nachhaltige Entwicklung, also Investition und nicht Spenden. Mobility: Erasmus auf Europa und den Mittelmeerraum ausweiten, denn die Jugendlichen sind eine wichtige Investition für die Zukunft. Markets: Schluss mit Protektionismus. Es liegt im Interesse Europas und seiner Sicherheit, die Märkte zu öffnen und ein stabiles Wirtschaftswachstum im ganzen Mittelmeerraum zu fördern". Unter den beiden italienischen Politikern herrschte mehr Eintracht als Zwietracht.
DAS ZUSAMMENLEBEN IST GRUNDLEGEND FÜR DEN ISLAM: MOHAMMAD SAMMAK
Sammak ist sunnitische Muslim und Mitglied des Nationalkommitees für islamisch-christlichen Dialog im Libanon. Er war Sondergesandter bei der Sonderversammlung der Bischofssynode über den Nahen Osten 2010 und einer der Förderer einer Fatwa zur Verurteilung von Attentaten gegen christliche, islamische und andere religiöse Kultorte.
In seinem Beitrag bei der Tagung beseitigte er einen der am meisten verbreiteten Widersprüche: Das Verhältnis des Islam zur Religion muss überdacht werden. An der Spitze der islamischen Werte steht die Gerechtigkeit und nicht die Religion. Sammak erklärte dies mit Betrachtungen zur Tatsache, dass Gott den Staat siegen lässt, der "gerecht" ist, auch wenn er nicht islamisch ist. Diese Sichtweise muss zur Grundlage des Verhältnisses im Zusammenleben von Islam und Christentum werden. Das gilt auch im Bezug auf die Heilige Schrift: ihr Verständnis ist menschliches Tun, und alles Menschliche ist offen, ist anfällig für Irrtum, ist in keiner Weise heilig.
Schließlich merkte Sammak an, dass eine Frucht des arabischen Frühlings das Zusammenleben sei, als eine Regel, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Das geschieht durch den nationalen Dialog, den er als "Kunst der Suche nach der wahren Sichtweise, in der Sichtweise des anderen" bezeichnet hat. Sammak forderte den positiven Wert des anderen ein, da er Ausdruck für eine Verschiedenheit sei.
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