Aachen 2003

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Sonntag, 7. September 2003 - Eurogress
Er�ffnungsveranstaltung

  
  

Botschaft Seiner Heiligkeit Johannes Pauls II.

  

An den verehrten Bruder

ROGER Kardinal ETCHEGARAY

emeritierter Pr�sident des P�pstlichen Rates f�r Gerechtigkeit und Frieden

l. Mit besonderer Freude vertraue ich Ihnen, Herr Kardinal, meinen pers�nlichen Gru� an die illustren Vertreter der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie der gro�en Religionen an, die sich aus Anlass des 17. Internationalen Gebetstreffens f�r den Frieden in Aachen unter dem Leitwort versammelt haben: �Zwischen Krieg und Frieden: Religionen und Kulturen begegnen sich". Meine Verbundenheit gilt dar�ber hinaus Seiner Exzellenz dem Hochw�rdigsten Herrn Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff von Aachen wie auch allen Gl�ubigen seiner Di�zese, die an der Verwirklichung dieses Treffens ihren Anteil haben.

Als ich im Jahre 1986 in Assisi den Weg beginnen wollte, dessen j�ngste Etappe das Treffen von Aachen darstellt, war die Welt noch in zwei Bl�cke gespalten und von der Angst vor einem Nuklearkrieg bedr�ckt. Als ich sah, wie dr�ngend das Verlangen der V�lker war, den Traum von einer Zukunft in Frieden und Wohlstand f�r alle fortzusetzen, habe ich die Anh�nger der verschiedenen Weltreligionen eingeladen, sich im Gebet f�r den Frieden zu versammeln. Vor meinen Augen hatte ich die gro�e Vision des Propheten Jesaja: Alle V�lker der Erde machen sich von verschiedenen Punkten der Erde auf den Weg, um sich vor Gott als eine gro�e, vielgestaltige Familie zu versammeln. Diese Vision trug auch der selige Papst Johannes XXIII. im Herzen. Sie dr�ngte ihn, die Enzyklika Pacem in terris zu schreiben, die vor vierzig Jahren ver�ffentlicht wurde und derer wir in diesem Jahr gedenken.

2. In Assisi nahm dieser Traum eine konkrete und sichtbare Gestalt an und entz�ndete in den Herzen vieler die Hoffnung auf Frieden. Wir alle waren dar�ber erfreut. Leider ist dieses Bestreben nicht mit der notwendigen Bereitschaft und mit Eifer aufgenommen worden. Viel zu wenig ist in diesen Jahren eingesetzt worden, um der Verteidigung des Friedens zu dienen und den Traum einer von Kriegen befreiten Welt aufrecht zu erhalten. Man hat dagegen einen Weg eingeschlagen, der auf die Entfaltung der eigenen Interessen ausgerichtet war, wobei man auf andere Weise beachtliche Reicht�mer vergeudete, insbesondere f�r milit�rische Ausgaben.

Wir alle haben an der Entwicklung selbsts�chtiger Begehrlichkeiten f�r die Grenzen des eigenen Landes, f�r das eigene Volk und die eigene Nation teilgenommen. Gelegentlich ist sogar die eigene Religion vor der Gewalt eingebrochen.

In einigen Tagen gedenken wir des tragischen Attentats auf die �Twin Towers" in New York. Mit den T�rmen scheinen leider auch viele Friedenshoffnungen zusammengest�rzt zu sein. Kriege und Konflikte breiten sich weiter aus und vergiften das Leben vieler V�lker, vor allem in den �rmsten L�ndern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Ich denke an Dutzende von Kriegen, die noch im Gange sind, und an den sich ausbreitenden �Krieg", den der Terrorismus darstellt.

3. Wann werden alle Konflikte zum Ende kommen? Wann k�nnen die V�lker endlich eine befriedete Welt erleben? Der Friedensprozess wird sicher nicht dadurch vereinfacht, dass man in schuldhafter Verantwortungslosigkeit die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten auf unserem Planeten gedeihen l�sst. Oftmals sind die armen L�nder zu St�tten der Verzweiflung und Brutst�tten der Gewalt geworden. Wir wollen nicht akzeptieren, dass der Krieg das Leben auf der Welt und den Alltag der V�lker beherrscht. Wir wollen nicht akzeptieren, dass die Armut die konstante Gef�hrtin der Existenz ganzer Nationen ist.

Darum stellen wir uns die Frage: Was ist zu tun? Und insbesondere: Was k�nnen die Gl�ubigen tun? Wie k�nnen wir den Frieden in dieser von Kriegen angef�llten Zeit st�rken? Nun, ich glaube, die von der Gemeinschaft Sant� Egidio organisierten �Internationalen Gebetstreffen f�r den Frieden" geben bereits eine konkrete Antwort auf diese Fragen. Sie werden seit nunmehr siebzehn Jahren durchgef�hrt, und ihre Fr�chte des Friedens sind sichtbar. In jedem Jahr begegnen sich Menschen verschiedener Religionen, sie lernen sich kennen, l�sen die Spannungen und lernen zusammenzuleben und die Verantwortung f�r den Frieden gemeinsam zu tragen.

4. Sich zu Beginn des neuen Jahrtausends in Aachen einzufinden, ist wiederum bedeutungsvoll. Diese Stadt im Herzen des europ�ischen Kontinents weist deutlich auf die alte Tradition Europas hin: Aachen redet von seinen antiken Wurzeln, die geeinigt und gefestigt wurden durch die christlichen Fundamente. Die christlichen Wurzeln sind nicht Erinnerung an eine religi�se Ausschlie�lichkeit; sie bilden vielmehr die Grundlage der Freiheit, weil sie Europa zu einem Schmelztiegel von Kulturen und unterschiedlichen Erfahrungen machen. Aus diesen antiken Wurzeln haben die europ�ischen V�lker den Antrieb entnommen, der dazu gef�hrt hat, die Grenzen der Erde zu ber�hren, wie auch die tiefsten Grundlagen des Menschen zu erreichen, seiner unantastbaren W�rde, der fundamentalen Gleichheit aller und des universalen Rechts auf Gerechtigkeit und Frieden.

Wahrend Europa heute seinen Vereinigungsprozess fortsetzt, ist es aufgerufen, diese Energie in der Wiedererlangung des Bewusstseins seiner tiefsten Wurzeln zu entdecken. Sie zu vergessen, w�re nicht gesund. Sie einfach vorauszusetzen reicht nicht, um die Geister zu entflammen. Sie zu verschweigen, verh�rtet die Herzen. Europa wird umso st�rker f�r die Gegenwart und die Zukunft der Welt sein, je mehr es sich von den Quellen seiner religi�sen und kulturellen Tradition n�hrt. Die religi�se und humane Weisheit, die Europa in den Jahrhunderten angesammelt hat - und sei es auch mit all den Spannungen und Widerspr�chen, die sie begleitet haben - ist ein Erbe, das wieder f�r das Wachsen der gesamten Menschheit eingesetzt werden kann. Es ist meine �berzeugung, dass ein fest in seinen Wurzeln verankertes Europa den Prozess der inneren Einigung beschleunigen und einen unverzichtbaren Beitrag f�r den Fortschritt und den Frieden unter allen V�lkern der Erde leisten wird.

5. In einer geteilten Welt, die immer mehr auf Trennungen und Partikularismen zusteuert, herrscht dringender Bedarf an Einheit. Angeh�rige verschiedener Religionen und Kulturen sind aufgerufen, den Weg der Begegnung und des Dialogs zu entdecken. Einheit hei�t nicht Uniformit�t. Den Frieden aber baut man nicht auf gegenseitiger Unkenntnis auf, sondern viel mehr auf dem Dialog und der Begegnung. Dies ist das Geheimnis des Treffens von Aachen. Alle, die euch sehen, werden sagen k�nnen, dass auf dieser Stra�e der Friede zwischen den V�lkern keine entfernte Utopie ist.

�Der Name des einzigen Gottes muss immer mehr zu dem werden, was er ist, ein Name des Friedens und ein Gebot des Friedens" (Novo millennio ineunte, 55). Deswegen m�ssen wir unsere Begegnung verst�rken und feste und gemeinsame Fundamente des Friedens legen. Diese Fundamente entwaffnen die Gewaltt�tigen, rufen sie zur Vernunft und zur Achtung, �berspannen die Welt mit einem aus friedlicher Gesinnung gewebten Netz.

Mit euch, liebe Br�der und Schwestern im christlichen Glauben, �muss der Dialog in Entschlossenheit weitergef�hrt werden" (Ecclesia in Europa, 31): dieses Dritte Jahrtausend sei die Zeit der Einigung um den einzigen Herrn! Das �rgernis der Teilung ist nicht mehr ertr�glich: Es ist ein wiederholtes �Nein" zu Gott und zum Frieden.

Zusammen mit euch, gesch�tzte Vertreter der gro�en Weltreligionen, wollen wir einen Dialog des Friedens intensivieren: Mit erhobenem Blick zum Vater aller V�lker erkennen wir, dass uns die Verschiedenheiten nicht zu einem Zusammensto�, sondern zur Achtung, zur redlichen Zusammenarbeit und zum Aufbau des Friedens antreiben.

Mit euch, M�nner und Frauen weltlicher Tradition, glauben wir, im Dialog und in der Liebe fortfahren zu sollen. Dies ist der einzige Weg, die Rechte eines jeden Menschen zu achten und die gro�en Herausforderungen des neuen Jahrtausends anzugehen. Die Welt braucht Frieden, viel Frieden. Den Weg, den wir als Gl�ubige kennen, um diesen zu erreichen, ist der Weg des Gebetes zu Dem, der den Frieden schenken kann. Den Weg, den wir alle beschreiten k�nnen, ist der des Dialogs in der Liebe.

Beschreiten wir also mit den Waffen des Gebetes und der Liebe den Weg der Zukunft!

Aus Castel Gandelfo, 5. September 2003

 

 

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