Dienstag, 7. September 2004
Casa Ildefonso Schuster, Sala Pio XII
Den Terror entwaffnen: Eine Aufgabe f�r die Gl�ubigen

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Walter Kasper
Kardinal, Vorsitzender des P�pstlichen Rates zur F�rderung der Einheit der Christen
  

Nach dem Ende des kalten Krieges und dem Fall der Berliner Mauer bestand die Hoffnung auf eine Periode des Friedens und der friedlichen demokratischen Entwicklung der Welt. Inzwischen wissen wir: Diese Hoffnung hat gr�ndlich getrogen. Die neue Gei�el und die neue Herausforderung der gesamten zivilisierten Menschheit ist � neben dem Hunger und der Armut in der Welt � der internationale Terrorismus. In gewissem Sinn hat das Ende des Bipolarismus des kalten Krieges den internationalen Terrorismus erst m�glich gemacht. Ohne Zweifel stehen alle zivilisierten Staaten damit vor einer neuen gewaltigen Herausforderung, welche vermutlich das eben begonnene neue Jahrhundert bestimmen wird.

Die Ursachen dieses verabscheuenswerten Ph�nomens sind komplex. Sicher spielen auch soziale Probleme eine Rolle. Doch die bestehenden Unrechtsstrukturen und die eklatant ungerechte Verteilung der G�ter dieser Welt kann Terror objektiv niemals rechtfertigen, sie spielen aber bei den Rechtfertigungsversuchen der Terroristen eine wichtige Rolle und verhelfen den meist kleinen Terroristengruppen zur Unterst�tzung oder zumindest zur Duldung durch breitere Gruppen der Bev�lkerung.

Ein anderes Problem, auf das in der Diskussion sehr oft hingewiesen wird, ist der Zusammenhang zwischen Terrorismus und Religion. Vor allem die drei monotheistischen Religionen � Judentum, Christentum und Islam � werden oft verd�chtigt, wegen ihres � vermeintlich oder wirklich � exklusiven Ein-Gottes-Glaubens intolerant und damit zumindest tendenziell gewaltbereit zu sein.

Wenn wir selbstkritisch und ehrlich sind, dann k�nnen wir nicht alle geschichtlichen Beispiele, welche diese These st�tzen sollen, einfach von der Hand weisen. In dem, was Christen das Alte Testament, Juden die Tanakh nennen, finden sich viele Texte, welche von heiligen Kriegen und von der Vernichtung der der Gegner sprechen. Aus dem Bereich der Kirchengeschichte verweist man oft auf die Kreuzz�ge, blutige Ketzerverfolgungen und Religionskriege. Schlie�lich h�lt man dem Islam die Ausbreitung mit dem Schwert und die Verherrlichung des heiligen Kriegs gegen die Ungl�ubigen vor. So haben alle drei monotheistischen Religionen Grund zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte und zu einer �Reinigung des geschichtlichen Ged�chtnisses�.

Alle drei monotheistischen Religionen m�ssen sich auch mit einschl�gigen unangenehmen aktuellen Ph�nomenen konfrontieren, etwa dem Konflikt in Nordirland, der Sicherheits-politik Israels, den terroristischen Gruppierungen von Muslimen. Intolerante und zu Terror neigende Gruppierungen finden sich �brigens auch in nicht-monotheistischen Religionen, etwa im Hinduismus. Jeder, welcher sich genauer mit diesen Ph�nomenen befasst, wei�, da� dabei religi�se Motive mit sozialen, �konomischen und politischen Motiven vermischt sind und die Religion oft nur als ideologische Deckmantel herhalten mu� und dazu geradezu missbraucht wird. Aber wehren sich die Religionen deutlich genug gegen solchen Missbrauch?

Es macht keinen Sinn, die Ph�nomene, welche als solche nicht zu leugnen sind, gegeneinander aufzurechnen und die Schuld jeweils dem anderen zuzuschieben. Dies ist die Weise wie Kinder miteinander streiten, wenn sie dar�ber streiten, wer von ihnen mit dem Streiten angefangen und den anderen zuerst provoziert hat.

L�st man sich von solchen infantilen Auseinandersetzungen, dann erst wird die Frage grunds�tzlich. Sie lautet dann, ob Ph�nomene wie die beschriebenen zum Unwesen der Religion geh�ren und ein verwerfenswerter Missbrauch darstellen, oder ob es nicht doch im Wesen von Religion, besonders von monotheistischen Religionen liegt, intolerant zu sein und zur Gewalt zu neigen bis dahin, da� sie zur physischen Vernichtung oder gewaltsamen Unterwerfung der ungl�ubigen Gegner aufrufen.

Die Antwort ist in mehreren Schritten m�glich. Erster Schritt: Alle genannten Religionen k�nnen darauf verweisen, da� sich in ihren heiligen Texten an hervorragender Stelle Aussagen finden, welche Gewalt allgemein und Terror im besonderen grunds�tzlich verbieten. Die goldene Regel, da� man das anderen nicht antun soll, was man f�r sich selbst nicht w�nscht, findet sich in der einen oder anderen Form in allen Religionen. Auch der Koran kennt Stellen, welche ausdr�cklich von Toleranz sprechen. Von besonderer Bedeutung ist das T�tungsverbot des Dekalogs, das au�er bei unmittelbarer Selbst-verteidigung allgemein gilt; im Christentum kommt hinzu das Gebot der Liebe bis hin zur Feindesliebe und die Aufforderung zum Verzeihen. Alle drei monotheistischen Religionen verbieten auch den Selbstmord und schlie�en damit Selbstmordattentate grunds�tzlich aus. Wer solche begeht, sollte darum auch nach den Gesetzen des Koran nicht als M�rtyrer verehrt sondern als M�rder und gemeine Verbrecher verabscheut werden.

Zweiter Schritt: Das Verbot von Mord und Selbstmord ist f�r die j�disch-christliche Tradition letztlich im Gottesverst�ndnis begr�ndet. Das Revolution�re dieser Tradition liegt darin, da� sie die besonderen Geschichte der Erw�hlung des Gottesvolkes in Genesis 1-11 die allgemeine Menschheitsgeschichte voranstellt und von jedem Mensch v�llig unabh�ngig von seiner ethnischen, kulturellen, religi�sen und sexuellen Zugeh�rigkeit sagt, er sei nach dem Bild Gottes geschaffen; deshalb halte Gott seine Hand �ber jedem Menschen so da� fremdes Blut nicht vergossen werden darf. Die Bibel kennt nur einen einzigen Gott, aber dieser eine Gott ist kein nationaler G�tze sondern universaler Herr der gesamten Menschheit; der begr�ndet die W�rde jedes Menschen. Terror ist deshalb als Negation der W�rde des Menschen zugleich eine Beleidigung Gottes. Rechtfertigung von Terror im Namen Gottes ist der schlimmste Missbrauch und die schlimmste Entheiligung des Namen Gottes. In dieser Aussage haben bei Gebetstag f�r den Frieden in Assisi erfreulicher Weise alle dort vertretenen Religionen �berein gestimmt.

Dritter Schritt. Es gen�gt nicht, blo� in der Theorie �berein zu stimmen; die Praxis mu� der Theorie entsprechen. Der Terrorismus ist heute zu einer Bedrohung der gesamten Menschheit geworden; Terroristen k�nnen grunds�tzlich �berall zuschlagen. Wir k�nnen die W�rde des Menschen und den Frieden nicht nur mit frommen Worten, wir m�ssen sie mit Taten verteidigen. Die Frage ist also: Was k�nnen wir gegen den Terrorismus tun? Ich kann kein umfassendes Programm entfalten, sondern nur ein paar Hinweise geben.

1. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus setzt zweifellos milit�rische und polizeiliche Abwehr voraus. Die Demokratien m�ssen bereit sein, wenn n�tig auch unter Opfern, ihre Freiheit wehrhaft zu verteidigen. Aber es kann im Kampf gegen den Terrorismus nicht gut sein, was man am Terrorismus als schlecht verurteilt und bek�mpft. Man kann also im Kampf gegen den Terrorismus nicht die allgemeinen Menschenrechte au�er Kraft setzen und zu Torturen greifen, welche der Menschenw�rde widersprechen; man kann nicht Preemptivkriege f�hren, welche die Regeln der gerechten Krieges, die nur als ultima ratio gelten, au�er Kraft setzen; man kann nicht gezielte T�tungen vornehmen ohne vorangehendes gerechtes Verfahren. Die Barbarei des Terrorismus darf nicht dazu f�hren, da� wir die Errungenschaften der zivilisierten Menschheit r�ckg�ngig machen und selbst in die Barbarei zur�ckfallen.

2. Man mu� nach Kr�ften die Bedingungen �ndern, welche die Ausbreitung des Terrorismus erleichtern und ihm den Schein von Legitimit�t geben, d.h. man mu� die sozialen, �konomischen und politischen Unrechtssituationen beseitigen und f�r eine gerechtere Ordnung der Welt und insbesondere in den Krisenregionen der Welt eintreten.

3. Die Religionen m�ssen aufwachen und ihre jeweils eigenen geistlichen Ressourcen des Widerstands gegen terroristische Gewalt aktivieren. Solche eindeutige �ffentliche Distanzierung von terroristischer Gestalt erwarten viele zu Recht vom Islam. Der zutiefst nihilistische Grundzug des Terrorismus kann nur durch Affirmation der Grundhaltung jeder Religion, der Ehrfurcht �berwunden werden. Das bedeutet neben der selbstkritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte die Predigt nicht von Ha� sondern von Toleranz und Respekt vor der fremden �berzeugung und die konsequente Verurteilung jeder Form von Gewalt. Die Religionen m�ssen den Terroristen ihre religi�se Maske herunterrei�en und sie als das entlarven, was sie in Wahrheit sind, n�mlich Nihilisten, welche alle Werte und Ideale der Menschheit verachten.

Der �clash of civilisations� kann nur durch den Dialog der Kulturen und Religionen vermieden werden. Dialog setzt voraus, das gemeinsame Erbe aller Religionen, die Ehrfurcht vor dem Heiligen zu achten; aber Dialog bedeutet in keiner Weise Synkretismus und die Aufgabe der eigenen Identit�t; im Gegenteil, einen Dialog k�nnen nur Partner f�hren, welche ihre je eigene Identit�t haben, sie kennen, sie sch�tzen und mit den Waffen des Geistes daf�r eintreten. Eine solche Dialog-Einheit der Religionen, welche physische Konflikte verurteilt, aber geistige Auseinandersetzung nicht scheut, ist der einzige Weg zum Frieden in der Welt.