"Liebste Freunde,
ich möchte Euch sagen, wie wichtig es war, dieses Netz der Freundschaft mit den zum Tode Verurteilten auszudehnen. Es sind gerade zwei Monate vergangen, als zum ersten Mal die Seite „Ein Brieffreund" auf der Homepage der Gemeinschaft Sant'Egidio erschien. In dieser kurzen Zeit haben schon viele geschrieben, viel mehr als ich erwartet hätte. Ihr habt aus vielen Ländern geschrieben: aus Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Irland, den Vereinigten Staaten, Mexiko, Bolivien und noch vielen anderen Ländern.
Eure Solidarität spendet uns viel Trost und bringt ein Licht in die Dunkelheit des Todestraktes. Viele Anzeichen lassen uns verstehen, dass sich die Mentalität in unserer Welt ändert, und dass die Zahl derer, die sich unserem Projekt anschließen, immer größer wird. Ihr könnt das klar erkennen, wenn Ihr aus der Nähe die News auf der Homepage der Gemeinschaft Sant'Egidio verfolgt. Ich glaube, dass wir dabei sind, mit der Verwirklichung eines sehr großen Traumes zu beginnen: die Todesstrafe abzuschaffen.
Wir reißen gerade die Mauer der Einsamkeit und des Schweigens ein, die die Todestrakte umgibt. Wir haben verstanden, dass die zum Tode Verurteilten keine „Monster", sondern Menschen sind. In ihnen, auch in denen, die Schlimmes getan haben, entdecken wir Menschen, die sehr alleine sind und sich nach Freundschaft und Befreiung sehnen.
Vor kurzem traf ich einige Todeskandidaten, die freigekommen waren. Alle erzählten mir von den Briefen, dass sie die wichtigste Begleitung in der Isolation waren. Zusammen mit einigen Freunden von Sant'Egidio aus Barcelona und anderen Brieffreunden konnten wir unseren Freund José Joaquin Martinez in die Arme schließen, der fünfeinhalb Jahre im Todestrakt von Florida verbracht hatte, und der endlich am 6. Juni 2001 als erwiesenermaßen Unschuldiger freigelassen wurde. Ich verfolgte in diesen Jahren seine schwierige Geschichte, und unterstützte seine Eltern in ihrem Kampf um sein Leben. Joaquin, gerade freigekommen, besuchte uns, und wir konnten ein Fest anläßlich seiner Befreiung und Rettung feiern. Er erzählte uns von seinen Mitgefangenen, von denen so viele weder Besuche noch Briefe bekommen, und die von allen vergessen sind. Indem er uns dankte, sagte er: "Ich bekam viele Briefe, und normalerweise ließ ich jemanden, der keinen einzigen Brief erhält, an ihnen Anteil haben; ich wollte alles mit ihnen teilen, auch die einfachen Dinge wie eine Ansichtskarte. Eine Karte im Todestrakt zu erhalten ist wie ein Geschenk zu bekommen!" Joaquin, der 29 Jahre alt ist und jetzt an eine andere Zukunft als die im Todestrakt denkt, sagte zu uns: „Mein Leben muss jetzt daraus bestehen, meinen Freunden dort zu helfen." Diese Worte von Joaquin scheinen mir eine weitere Bestätigung und eine maßgebliche Einladung an jeden von uns, in der Freundschaft mit den zum Tode Verurteilten weiterzugehen .
Eine herzliche Umarmung für alle, bis bald
Stefania Tallei
s.tallei@santegidio.org
|