Papst Franziskus spricht über Migranten mit einer Sprache, die nicht mit einem Großteil der europäischen Regierung im Einklang steht. Vor allem wenn sie Abschottung als Schutz der christlichen und nationalen Identität ansehen. Die Vorwürfe gegen den Papst, die „Verdammten der Erde“ zu verteidigen und dabei die Interessen der Staaten zu ignorieren sind nicht neu. Seinerseits ist der Papst davon überzeugt, dass die Migration ein epochales Phänomen ist, das mit Humanität und Weitsicht angegangen werden muss: „aufnehmen, beschützen, fördern und integrieren“ – sind die vier Verben, um die sich die gestern veröffentlichte Botschaft zum Welttag des Migranten und Flüchtlings 2018 dreht. Der Text verweist auf den Wert des Migranten als Person und seine international anerkannten Rechte, wenn es heißt: „Die kollektiven und willkürlichen Ausweisungen von Migranten und Flüchtlingen sind keine geeignete Lösung, vor allem, wenn diese in Länder geschehen, die die Achtung der Würde und der Grundrechte nicht gewährleisten können.“
Hier spricht der Heilige Stuhl überhaupt nicht in utopischer Weise, vielmehr ist er sich des internationalen Rechts bewusst. Viele Vorschläge sind in dem überlegten Text enthalten: „Programme privater und gemeinschaftlicher Patenschaften“, und „humanitäre Korridore für die am meisten gefährdeten Flüchtlinge“ (die Italien schon als erstes Land in Europa für Syrer eingerichtet hat); die „zeitlich befristete Sondervisa“ für Kriegsflüchtlinge, wie aus Syrien und dem Irak, die in den Nachbarländer oft ohne Status leben. Der Papst fordert die Einrichtung von legalen Wegen als einzige Lösung, um unter anderem die Mafia der Schlepper zu bekämpfen. Er äußert nicht nur einen „christlichen“ Aufruf zur Aufnahme, sondern entwirft eine Vision für ein in einer demographischen Krise befindliches Europa. Im April hat Franziskus einen beeindruckenden Satz gesagt: „Wir sind eine Kultur, die keine Kinder hervorbringt, aber wir verschließen die Türen vor den Migranten: das nennt man Selbstmord.“ Jorge Bergoglio ist ein Argentinier und weiß, dass sein Land als Schmelztiegel von Migranten entstanden ist. In einer wichtigen Rede an der Universität Roma Tre hat er gesagt: „Die Migranten sind keine Gefahr sondern eine Herausforderung, um zu wachsen. Das sagt einer, der aus einem Land kommt, in dem über 80% Migranten sind, ein Land von Mestizen.“ Im Blick auf die europäische Geschichte hat der Papst angemerkt, dass sie sich in einem ethnischen Schmelztiegel entwickelt hat: „Ich frage mich: Wie viele Invasionen hat es in Europa gegeben?“
Im Denken von Franziskus ist die Integration ein wesentlicher Prozess. In der Botschaft hebt er das allgemeine Recht „auf eine Nationalität“ für alle Kinder von Migranten „zum Augenblick ihrer Geburt“ hervor, das die Integration fördert. Er fordert Prozesse der Legalisierung für Menschen, die sich lange im Land aufhalten, um Ghettos von Ausgegrenzten zu vermeiden. Die Ausweitung der Familienzusammenführung ist ein entscheidender Schritt in diese Richtung. Täglich kommt es beim Thema Immigration zu neuer Polemik und emotionalen Debatten. Es gibt wenige reale Antworten. In dieser Botschaft finden sich einige, um aus dem Stillstand herauszukommen, der Illegalität und Unmenschlichkeit produziert. Der Papst ist vor allem davon überzeugt, dass die Interessen derer, die an die Türen Europas anklopfen, nicht im Gegensatz zu denen der Europäer stehen und besser verstanden werden müssen: „Es ist nicht menschlich, die Türen zu verschließen, es ist nicht menschlich, das Herz zu verschließen, auf lange Sicht wird man dafür bezahlen müssen“, sagte er bei einer Pressekonferenz. Die Botschaft zeigt den Blick eines Mannes, der die Geschichte in langen Abschnitten betrachtet. Denn man bemerkt die engen nationalen Sichtweisen angesichts eines so umfassenden Phänomens, das dagegen eine große Chance ist, um eine europäische Politik reifen zu lassen.
Corriere della sera, 21. August 2017
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