Viele Mitglieder der Gemeinschaft Sant'Egidio in Ungarn und in den Großstädten der Welt begleiten und helfen Obdachlosen. Menschen, die auf der Straße leben, sind kein Problem für das städtische Aussehen oder das öffentliche Wohl, sondern Männer und Frauen mit einem Namen, einem Gesicht und einer Geschichte. Wenn man die Vorurteile überwindet, ist es möglich, ihnen zu begegnen und ihre leidvollen Geschichten kennen zu lernen.
Die Nationalversammlung hat einen Gesetzentwurf vorbereitet, der Menschen mit Haftstrafe oder Bußgeld bis zu 150.000 Forint bestraft, die "zum zweiten Mal gegen das Verbot verstoßen, auf öffentlichem Raum zu wohnen".
Der Vorschlag ist unerhört und unannehmbar. Er stürzt alle in große Verzweiflung, die vor allem im Winter auf der Straße schlafen und dabei ständig ihr Leben aufs Spiel setzen. Es ist zudem eine beunruhigende Botschaft an die Gesellschaft und an uns alle. Das Fundament der Gesellschaft ist nämlich die Solidarität mit Schwächeren und Bedürftigen. Im nationalen Bekenntnis, das in die Verfassung eingefügt wurde und am 1. Januar 2012 in Kraft tritt, heißt es: "Die Mitglieder der ungarischen Nation verpflichten sich, die Schwachen und Armen zu unterstützen". Diese angesprochene Vorschrift kriminalisiert und stigmatisiert dagegen ausgerechnet die Ärmeren.
Der Gesetzentwurf ist nicht nur unmenschlich, sondern auch unvernünftig und nutzlos. Er kann nicht einmal abschreckend wirken, denn das Leben auf der Straße ist niemals das Resultat einer Entscheidung. Der Entwurf ist Teil einer Serie von Maßnahmen gegen Obdachlose und Bettler. Diese Tendenz wurde schon von verschiedenen bürgerlichen Organisationen verurteilt. Der Parlamentskommissar für Menschenrechte hat das Verfassungsgericht aufgefordert, die neuesten Beschlüsse in Józsefváros aufzuheben, die das Bewohnen eines öffentlichen Raumes und das Stöbern in Abfallbehältern bestraft.
Die Befürworter des Gesetzes sehen keine Alternativen, man müsse dem städtischen Verfall Einhalt gebieten. Auch wir wollen in einer sauberen und zivilen Stadt leben. Doch dazu ist die Anwendung der schon bestehenden Vorschriften ausreichend: Strafen für Verursachen von Streitigkeiten, für Verschmutzung und für Lärmbelästigung einerseits und Hilfen für Bedürftige andererseits.
Das Gesetz wäre ein Rückschritt für alle, auch für diejenigen, die es entworfen haben; eine Niederlage für unsere Menschlichkeit. Wenn es an Mitleid für die Schwächeren fehlt, kann niemand mehr in Frieden leben. Wo der Arme, der Bettler und der alte Mensch geachtet wird, können alle darauf vertrauen, nicht verlassen zu werden, wenn sie in Not geraten.
Es gibt eine Alternative, nicht indem man die Armen bekämpft, sondern die Ursachen der Armut. Die Regierenden mögen die Bekämpfung aller Arten von Elend als Priorität ansehen und dazu Gelder bereitstellen. Notwendige Programme wurden von Menschenrechtsorganisationen erstellt. Die Mitarbeiter und Freiwilligen der caritativen Organisationen verdienen Anerkennung, denn sie versuchen, oft über ihre Kräfte unseren benachteiligten Nächsten zu helfen. Und auch unsere Mitbürger verdienen Respekt, die eine Tasse warmen Tee, Schlafsäcke oder ein freundliches Wort verschenken. Wer weiß, wie viele Menschen durch solch kleinen aber konkreten Gesten gerettet wurden.
Wir appellieren an die Nationalversammlung, das Gesetzesvorhaben nicht umzusetzen. Zudem fordern wir die Rücknahme aller Maßnahmen gegen Obdachlose und Bettler. Wir fordern eine wirksame Politik, die zur Lösung dieser sozialen Probleme beiträgt.
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