ZUSAMMENFASSUNG EINIGER BEITRÄGE AUS DER ERÖFFNUNGSSITZUNG DER TAGUNG DER FREUNDE DER ARMEN:
Eröffnungssitzung
Kardinal Crescenzio Sepe
In seinem Grußwort an die Teilnehmer der Tagung "Die Kirche aller und vor allem der Armen" zeichnete Kardinal Sepe das Antlitz einer Kirche, die Freundin der Armen ist: "Das Konzil hat die Priester aufgerufen, treue Begleiter der Armen zu sein, da ihre Evangelisierung das messianische Werk schlechthin ist". Er erinnerte an seine Zeit als Nuntiatursekretär in Brasilien, als er die Favelas der Hauptstadt besuchte und dort in den Baracken Milch und sauberes Trinkwasser verteilte. Dann sagte der neue Ehrenbürger von Neapel: "Die Kirche muss in den Armen und Leidenden das wahre Bild ihres Gründers erkennen und leben, wie er gelebt hat, als Armer unter den Armen, indem er das Leben für seine Freunde hingegeben hat". Der Kardinal sprach von einer goldenen Regel des Christen: "Umso mehr man gibt, umso mehr empfängt man; man empfängt sogar noch mehr, das ist das Geheimnis und die Macht der Unentgeltlichkeit".
Am Ende sagte der Erzbischof von Neapel: "In unserer Zeit wird alles geschlossen. Deshalb muss die Kirche in einer Zeit, in der alles geschlossen wird, öffnen: jeden Tag eine neue Tür öffnen, sei es die Tür einer Kirche, eines Sozialzentrums, einer Betreuungseinrichtung. Vor allem muss sie die Türen des Herzens öffnen. Nur so können wir auch aussichtslose Kämpfe gewinnen. Wer Freund der Armen ist, ist auch Freund Christi, und wer Freund der Armen Christi ist, ist Freund der Kirche".
Das ist der "universale Humanismus", den die Kirche nach der Vision von Paul VI. verbreiten muss.
Marco Impagliazzo, der Präsident der Gemeinschaft Sant'Egidio
Der Präsident der Gemeinschaft Sant'Egidio fragte sich, ob die von Johannes XXIII. einen Monat vor Beginn des Konzils geäußerte Frage, die als Titel der Tagung gewählt wurde, noch aktuell ist. Seine Antwort lautet: "Eine Kirche der Armen ist die Selbstverwirklichung der wahren Kirche. Die Kirche ist für alle da, sie ist Kirche aller und vor allem der Armen. Die Kirche wird vielmehr eine Kirche aller und somit universal sein, wenn sie eine Kirche der Armen ist. Ausgehend von den Armen kann man sich der ganzen Menschheit nähern". Die Kirche darf sich nicht von den Armen entfernen, sagte Impagliazzo und zitierte damit ein sehr wichtiges Wort von Paul VI.
Das Konzil hatte unter anderem den Traum, zur Einfachheit des Evangeliums zurückzukehren und die Reichtümer abzulegen. Impagliazzo erinnerte an eine Messe von Paul VI. im Petersdom mit Konzelebration im Jahr 1964, als der Papst die Tiara abnahm und auf den Altar legte, um sie als Spende den Armen zu geben. In Hinblick auf die beiden Dimensionen der Verbundenheit von Kirche und Armut sagte der Präsident von Sant'Egidio: "Die Geschwister des armen Christus gebrauchen arme Mittel und lieben die Armen". Dieser Lebensstil ist noch aktuell und weiterhin prophetisch in unserer Zeit.
Ist das Leben einer "Kirche aller und vor allem der Armen" noch aktuell in der Zeit der Globalisierung und der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise? Vor den Vertretern von über einhundert von der Gemeinschaft Sant'Egidio in Neapel versammelten Vereinigungen von Ehrenamtlichen fragte sich Impagliazzo: "Was hat uns das Konzil heute zu sagen? Wie kann die Kirche in unserer Zeit eine Kirche der Armen sein? In unseren Vereinigungen in der italienischen Gesellschaft muss es im Bewusstsein zu einem konstruktiven Sprung nach vorn kommen. In unserem Land durchleben wir einen schwierigen Wandel. Der Staat ist ärmer als gestern und der ‚Welfare state' hält einer so schweren Krise nicht stand".
Doch es ist ein Fehler, Solidarität und begrenzte Mittel gegeneinander auszuspielen, wie man häufig versucht ist. Das "schafft eine Haltung, die Solidarität nicht als einen kostbaren Bestandteil unseres Gemeinwesens ansieht. Die Solidarität ist Bestandteil der Kultur und der Vision von der Welt und sie ist nicht von Mitteln abhängig. Sie ist viel mehr als Mittel!" Ein Verschwinden der Kultur der Solidarität fördert soziale Spannungen und Konflikte, "das stärkt sogar in Hinblick auf das soziale Gleichgewicht obskure Mächte und Mafiaorganisationen". Dabei herrscht überall eine Kultur des Individualismus vor. Impagliazzo erwähnte dazu, dass "viele Menschen heute das Netzwerk von Geborgenheit, Freundschaft und Solidarität verloren haben, das ihnen Sicherheit gab", denn "das Gemeinwesen ist an Ausgrenzung erkrankt".
Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage "rechtfertigt das Klagen teilweise die Meinung von Unglückspropheten und macht zu Nostalgikern der Vergangenheit, sodass man sich resigniert in sein Umfeld verschließt", fügte Impagliazzo in seinem Beitrag hinzu. Das Konzil ist Hoffnung, fuhr der Präsident der Gemeinschaft Sant'Egidio fort; "hat es heute einen Sinn, die Geschichte zu gestalten und ausgehend von den Armen zu prägen?" Diese Frage bildete gewissermaßen den Schlüssel seines Vortrags. Die Antwort lautete: "Ausgehend von den Armen dient man allen. Ohne Solidarität mit den Schwachen, kann man keine menschliche Gesellschaft aufbauen. Sie erinnert den Menschen daran, dass auch die Schwäche zum Leben gehört".
Und noch etwas. Ausgehend von den Armen kann man die Geschichte gestalten, weil es eine Anziehungskraft in der Verbreitung des Guten gibt: "Jede Begegnung mit einem Armen schafft Energien der Liebe, die sich nicht in einem individualistischen und egoistischen Leben finden". Die Solidarität mit den Armen ist eine außerordentliche Energie zur Veränderung. In dieser Hinsicht "ist eine Erziehung nötig, um die Haltung der Ohnmacht zu besiegen, die in der großen Welt der Zuschauer sehr verbreitet ist, denen Informationen von überallher zugänglich sind. Dadurch wächst der Nationalismus, der ein Verantwortungsgefühl für die weite Welt beseitigt".
In der Schaffung eines Ministeriums für internationale Zusammenarbeit und Integration erkennt Impagliazzo ein positives Signal für eine neue Aufmerksamkeit der Politik und für das Handeln Italiens auf internationaler Ebene angesichts der Fragen von Frieden und Krieg und des Aufbaus der Solidarität.
Am Ende sagte Impagliazzo, dass die Unentgeltlichkeit eine Kraft ist, die ausgehend von den Demütigen Geschichte schreiben kann. "Die Unentgeltlichkeit befreit den heutigen Menschen vom Gefühl der Fremdheit gegenüber dem anderen, vom Gefühl der Angst und des Misstrauens. Sie weist auf eine gemeinsame Bestimmung und Zukunft hin. Sie befreit von der Einsamkeit des eigenen Leids und schafft ein Gefühl für die Weite". Olivier Clément sagte dazu: "Sie fügt das Spirituelle in das Herz des Geschehens ein". Dadurch schenkt sie ein Gefühl und eine Orientierung, um eine bessere Zukunft für alle aufzubauen.
Paolo Ramonda, Gemeinschaft Johannes XXIII.
Paolo Ramonda, der Nachfolger von Don Oreste Benzi in der Leitung der Gemeinschaft Johannes XXIII., erinnerte daran, dass die Kirche immer berufen ist, ihre institutionelle Ausrichtung zu überdenken, damit sie nicht zu einer Last wird. "Das Wesentliche beibehalten, und das Übrige ist für die Armen". Dabei erwähnte er, dass "es Arme gibt, die uns suchen, aber dass es auch Arme gibt, die nicht warten können". Wer in den Armen nur zu betreuende Personen sieht, täuscht sich. "Die Armen sind Hauptakteure der Geschichte Gottes und der Kirche, sie sind Bauherren einer Revolution der Gerechtigkeit und der Liebe". Er erinnerte auch an den Aufbau von tiefen familiären Beziehungen zu den Armen und Ausgeschlossenen, die viele Wohltätigkeitsinitiativen überflüssig machen würden.
Kostis Dimtsas, Apostolì
Von besonderer Bedeutung war der Beitrag von Kostis Dimtsas, dem Präsidenten von "Apostolì", einer in der orthodoxen Kirche von Griechenland entstandenen kirchlichen Bewegung. Ihr großer solidarischer Einsatz in Athen und anderen griechischen Städten ist beeindruckend. Es werden über 12.000 Mahlzeiten am Tag verteilt, 3.000 Familien erhalten Lebensmittelhilfen, zwei Sozialeinkaufszentren verteilen kostenlos Lebensmittel und in Ambulanzen werden medizinische Hilfen angeboten. Sein Abschlusswort ist sehr aktuell: "Die europäische Einheit ist nur durch die Liebe zu den Armen möglich".
Eli Folonari, Fokolarbewegung
Eli Folonari stand über fünfzig Jahre lang an der Seite von Chiara Lubich und erinnerte an die Gründerzeit der Fokolarbewegung in Trient unter den Bomben von 1943. Sie sprach über "das kleine Evangelium, das Chiara bei sich trug und in den Luftschutzräumen las. Dann versuchte sie, danach zu handeln und säuberte die Wohnung einer alten Frau und half einer Kranken, den Bombardierungen zu entkommen". Die Trienter nannten sie "focolare (Feuerstelle)", um das vertraute Klima zu beschreiben, das in der ersten einfachen Unterkunft an der Piazza Cappuccini zu spüren war.
Mario Melazzini, AISLA
Beeindruckend war auch das Videozeugnis von Mario Melazzini, der nicht nur Nationalpräsident von AISLA ist, sondern der Bewegung auch wesentliche Impulse gibt. Er las Abschnitte aus einem Brief des dreizehnjährigen Francesco Elia vor, ein Behinderter, der ihm vor wenigen Tagen in einer Mail schrieb: "Mein Leben kennt keine Hindernisse, es ist voller Möglichkeiten, die mit Weisheit eingesetzt werden müssen. Ich möchte nichts an meinem Zustand verändern, ich bin stolz, dass mir viele Menschen helfen". Das ist eine machtvolle Botschaft gegen die Kultur des Individualismus.
Nino Pangallo, Caritas Kalabrien
Nino Pangallo, der Direktor der Caritas von Reggio Calabria, erinnerte daran, dass im Süden Nächstenliebe und Legalität zwei Seiten einer Medaille sind, zwei Aspekte desselben Einsatzes.
Franco Vaccari, Rondina
Franco Vaccari, der Präsident von Rondine, Stadt des Friedens - eine außergewöhnliche Initiative der Friedenserziehung mitten in der Toskana - sagte, dass das Konzil ein großer kollektiver Traum war und für Menschen, die ihn so leben und rezipieren, zu einem Weg des Glücks werden kann. Das ist die Erfahrung ihrer kleinen Gruppe, deren Leben und Ziel von einem Gedenkstein mitten im kleinen Ort Rondine geprägt wird. Dieser Stein erinnert an die Geschichte von sechs Bauernjungen, die aus einer armen und unwissenden Welt in den großen Krieg aufbrachen und ihr Leben hinter sich ließen, ohne zu wissen, wohin und worum es geht. "Wie viele Jugendliche wachsen unschuldigen im Krieg auf und werden jeglicher Möglichkeit von Bildung und Kultur der Begegnung mit dem anderen beraubt! Die Stadt des Friedens entstand, als ein tschetschenischer Jugendlicher und ein russischer Altersgenosse im gleichen Zimmer zusammenleben mussten und sich in die Augen schauten. Ich habe verstanden, dass es möglich ist, als ein palästinensischer Jugendlicher mir mit knirschenden Zähnen erzählte, dass er traurig war, weil ihm sein israelischer Freund Shaatz fehlte, der vor kurzen wieder in seine Heimat zurückgekehrt war". Er warnte vor der Versuchung, die Armut aus unserem Blickfeld zu beseitigen, weil die Armut "eine erneuerbare Energie ist, die zur Veränderung drängt und neue Lösungen möglich macht". Zum Schluss fügte er hinzu: "Die Freundschaft zu den Armen muss zur Seele der Politik werden".
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