Es ist keine Wahlkampf-Veranstaltung, und der Termin hat nichts mit CDU zu tun. Aber als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagnachmittag die Münsterland-Halle im westfälischen Münster betritt und Händels Feuerwerksmusik anhebt, brandet minutenlanger Beifall auf. Merkel, die noch im August für eine Wahlkampf-Rede auf dem Domplatz von Münster war, kommt für ein hochrangiges Religionstreffen wieder. Und mahnt: "Der Dialog der Religionen ist möglich - und er ist nötig."
Eine Rede an einem besonderen Ort und vor einem seltenen Publikum. In der Halle sitzen - unter mehr als 3000 Zuhörern - Religionsvertreter aus fast allen Kontinenten. Da lauschen der Kanzlerin Kardinäle aus Afrika, Europa und Lateinamerika, islamische Gelehrte aus Saudi-Arabien, dem Iran, den Ländern Nordafrikas und vom Balkan, Juden aus den USA und Israel, Protestanten aus Jerusalem und den USA, Buddhisten und Hindus. Insgesamt sind es meist männliche Vertreter von 40 Religionsgemeinschaften. Und die Stadt Münster - darauf weisen Merkel und weitere Redner hin - ist zusammen mit Osnabrück die Stadt des Westfälischen Friedens, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg, den grausamsten Religionskrieg Europas, beendete.
"Religionen gegen Gewalt"
"Es kann keine Rechtfertigung von Krieg und Gewalt geben", sagt Merkel. Ja, der interreligiöse Dialog sei nie leicht. Aber heute wieder so notwendig. Religionen müssten sich gegen Gewalt und Krieg stellen, auch wenn aus religiösen Gründen dazu aufgerufen werde. Als Beispiele nennt sie die Krim, Mali, Nordkorea. Und dann nutzt sie die Bühne, um engagiert für europäische Abkommen mit Libyen zu werben. Ziel müsse es sein, das Kriminelle Handeln von Schleppern und Schleusern zu stoppen, die Menschen in Libyen durch UN-Kräfte zu schützen und sie in Libyens südliches Nachbarland Niger zurückzuführen - und wirklich Schutzbedürftige durch sogenannte Resettlement-Programme nach Europa zu holen.
Dabei lobt Merkel ausdrücklich Nigers Präsident Mahamadou Issoufou - der auch in Münster zu Gast ist und nach ihr spricht - und die katholische Bewegung Sant'Egidio. Die 1968 in Rom gegründete und heute international aufgestellte Initiative bemüht sich um Konfliktlösung und Hilfen für Flüchtlinge, schon über ein Dutzend mal im vergangenen Jahr brachte sie Menschen durch "humanitäre Korridore" nach Italien. Und nachdem der damalige Papst Johannes Paul II. in Assisi 1986 Religionsführer aus aller Welt zu einem Friedensgebet zusammenbrachte, organisiert Sant'Egidio solche Treffen jährlich.
Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments beim Weltfriedenstreffen
Knapp drei Stunden dauern die durchaus sehr guten, aber langen Reden zur Eröffnung des bis Dienstag dauernden Treffens. Da spricht auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, Sant'Egidio-Präsident Andrea Riccardi, ein Patriarch aus Syrien, die Präsidentin eines Zweiges des japanischen Buddhismus, ein deutscher Rabbiner. Auch ein längerer Gruß von Papst Franziskus wird verlesen. Aber die Herausforderung dieser drei Tage verdeutlichen beispielhaft Merkel und der Groß-Imam der Kairoer Al-Azhar-Universität, Ahmad Mohammad Al-Tayyeb.
Der Gelehrte und der IS
Als der Gelehrte, höchste geistliche Autorität des sunnitischen Islam, ans Rednerpult tritt, ist Merkel, direkt nach ihrer Rede, schon entschwunden, mit Blumen bepackt und von Beifall begleitet. Der Wahlkampf ruft... Schade. Sie hätte eine ganz eigene Verteidigungsrede des Ägypters (der in der Regierung seines Landes Minister-Rang hat) gehört.
Er nennt jede "Diskriminierung von Religion" unmenschlich und erinnert an die geistige Stärke des Islam im Mittelalter, zu der immer Toleranz gehört habe. Und dann kommt er auf den Terror des "Islamischen Staats" (IS) zu sprechen, dessen Gewalt wirke "wie ein kleines Kind von unbekannten Eltern", mit "Reißzähnen und Krallen geboren". Daran seien der Waffenhandel und die Bedingungen in den Ländern der Region schuld. Die Ursachen für Konflikte im Osten seien vielfältig und müssten wissenschaftlich erforscht werden. Und zum Schluss zitiert der Muslim dann den Schweizer Theologen Hans Küng: "Kein Frieden in der Welt ohne Frieden zwischen den Religionen".
Die Kanzlerin und der hohe islamische Gelehrte. Merkel ist, nach 2011, zum zweiten Mal bei einem Großtreffen von Sant'Egidio, Al-Tayyeb bereits zum vierten Mal. Und auch Münster kennt er schon. Seit zwei, drei Jahren kommt er öfter mal nach Deutschland. Merkel ist kaum 75 Minuten in der Münsterland-Halle. Viele Offizielle wollen ihre Hand schütteln oder (eher vergeblich) ein Foto - aber mit Al-Tayyeb nimmt sie doch kurz in einer Sitzecke des Foyers Platz und plaudert.
Papst Johannes Paul gilt als Initiator der Friedensgebete von Assisi - hier ein Bild aus dem Jahr 2002.
Und auch sein Abgang sagt etwas über seinen Stellenwert: Als der Groß-Imam gleichfalls direkt nach seiner Rede die Halle verlässt, schwebt mindestens so viel Entourage mit ihm hinaus wie bei Merkel. Der Präsident Nigers eilt ihm nach, erreicht ihn für einige Worte und ein Foto noch im Vorraum. Dann steigt er in die Limousine des ägyptischen Botschafters und fährt im Konvoi davon, eskortiert von Polizei-Fahrzeuge vorn und hinten.
Wie sagte Andrea Riccardi, der Gründer von Sant'Egidio, in seiner Begrüßung: "Es ist nötig, Wege des Friedens durch den Dialog unter den Menschen zu eröffnen." Und es gelte, den Menschen, die verschieden sind, dabei zu helfen.