Liebe Schwestern und Brüder
ich danke Euch für die Einladung zur Feier dieser Liturgie. Für mich ist es eine große Freude, hier mit Euch in dieser Lateranbasilika zu sein, in der uns der Dank am 46. Gründungstag der Gemeinschaft Sant'Egidio zusammenführt. Verschiedene Geschichten führen uns hierher, doch ein gemeinsames Gefühl vereint uns: der Dank an Gott, dass er in unserer Stadt Rom eine so lebendige Erfahrung des Evangeliums ins Leben gerufen hat als Antwort auf die Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils nach einer armen Kirche für die Armen.
Unter uns sind diejenigen, die diese Glaubenserfahrung und den Dienst in den Peripherien begonnen haben, wo die Orte der Gemeinschaft ein Zufluchtsort für viele Gottessucher und Bedürftige geworden sind. Im Geist von Sant'Egidio - so sagte Benedikt XVI. - "wird Wirklichkeit, was Zuhause geschieht: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Dienenden und Helfenden und dem, der Hilfe erfährt und bedient wird", sodass sie zu einer authentischen Familie werden. Auch hier, in diesem Augenblick gibt es keinen Unterschied zwischen dem Helfenden und dem, der Hilfe erfährt. Wir sind ein einziges Volk.
Unter Euch sehe ich mit vielen Jugendlichen viele alte Menschen, und ich weiß, dass die Gemeinschaft ihre Stütze in der Einsamkeit ist, einer zusätzlichen Armut neben anderen. Viele andere Bedürftige sind mit dem Netzwerk der Solidarität und Kommunion von Sant'Egidio verbunden. Arme in der Nähe und in der Ferne, manchmal ganze Völker, die unter der größten Armut, nämlich der Abwesenheit von Frieden leiden. Unter Euch sind auch einige Botschafter, die ich willkommen heiße, sie sind Zeugen für den Friedenseinsatz und die weltweite Solidarität von Sant'Egidio.
Ich grüße alle, die aus vielen Ländern Europas, Afrikas und der Welt kommen, in denen Sant'Egidio lebt und tätig ist. Besonders möchte ich Prof. Andrea Riccardi, den Gründer der Gemeinschaft, und Prof. Marco Impagliazzo, ihren Präsidenten, und Weihbischof Matteo Zuppi grüßen. Ich grüße auch die mit der Gemeinschaft befreundeten Bischöfe, die in diesen Tagen in Rom zu Einkehrtagen versammelt sind. Viele sind zu diesem Fest gekommen, weil sie Freunde einer Gemeinschaft sind, für die Freundschaft und Dialog grundlegende Kennzeichen ihrer Anwesenheit in der Gesellschaft sind.
Wenn ich Eure Gemeinschaft betrachte, habe ich den Eindruck, dass der Aufruf von Papst Franziskus an die ganze Kirche aus seinem neuen Apostolischem Schreiben umgesetzt wird: "die ‚Mystik' zu entdecken und weiterzugeben, die darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, in eine heilige Wallfahrt… Aus sich selbst herausgehen, um sich mit den anderen zusammenzuschließen, tut gut." (Nr. 87). Vielen Dank für dieses wichtige und einfache Zeugnis einer "Kirche, die hinausgeht", und vielen Dank für die Freude, die Euren Weg in die existentiellen Peripherien unserer Menschheit kennzeichnet, und für Eure Verkündigung des Evangeliums.
Wo befindet sich das Herz dieser Geschichte? Wir können es vielleicht im gerade gehörten Markusevangelium entdecken, das uns bezeichnenderweise das eigentliche Herz des Christseins in Erinnerung ruft.
Jesus ruft seine Jünger zu sich und fängt an, sie jeweils zwei zusammen auszusenden. Damit wird umgesetzt, was am Tag der Einsetzung der Zwölf vorgeschlagen wurde: Er rief sie zu sich, damit sie bei ihm sind und sie gemeinsam auszusenden, um das Reich zu verkünden. Es ist ein scheinbarer Widerspruch. Wie sollten sie bei Jesus bleiben und zugleich von ihm fortgehen, um die Umkehr zu verkünden und den Bedürftigen zu dienen? Dieses Herbeirufen zu sich und ihr Zusammenkommen bei ihm ist ein plastisches Bild einer so tiefen Kommunion zwischen dem Meister und den Jüngern, die auch bestehen bleibt, als sie fortgehen. Überall wohin die Zwölf gehen, bringen sie die Gegenwart und Macht des Herrn mit: Er wird in ihnen und unter ihnen sprechen, heilen, dienen, lieben.
Geschieht das nicht auch bei Euch? Die Gemeinschaften von Sant'Egidio treffen sich jeden Abend zum Gebet und zum Hören auf das Wort Gottes: in Rom - ich denke an die Basilika Santa Maria in Trastevere, wo ich selbst am Gebet teilgenommen habe - aber auch an viele andere und einfachere Orte der Welt. Jesus ist es, der Euch zusammenruft, zu Euch spricht, Euch mit sich verbindet und zu einer Gemeinschaft macht.
Dann sendet Jesus Euch wie die Jünger aus: Hören auf das Wort Gottes und Aussendung in die Welt sind die tragenden Säulen der Gemeinschaft, die sie in einer barmherzigen Extroversion in vielen Teilen der Erde stützen. Papst Franziskus erinnert uns daran: " Die innige Verbundenheit der Kirche mit Jesus ist eine Verbundenheit auf dem Weg" (EG Nr. 23), um "zu lernen, Jesus im Gesicht der anderen, in ihrer Stimme, in ihren Bitten zu erkennen" (Nr. 91). Eure Gemeinschaft ist niemals selbstbezogen, sie ist vielmehr fähig, sich mit der Geschichte aller und insbesondere der Ärmeren zu vermischen.
Überall, wo Sant'Egidio lebt, wird ein mehr oder weniger umfangreiches gemeinschaftliches Umfeld geschaffen. Ist das nicht auch ein Charakterzug der Sendung des Evangeliums? Jesus sendet die Jünger nicht allein aus, sondern jeweils zwei zusammen. Gregor der Große sagt, dass Jesus durch diese Geste zeigen möchte, dass niemand ein Zeuge des Evangeliums sein kann, "wenn er nicht einem anderen Liebe erweist". Das ist Eure gemeinschaftliche Spiritualität, in der die Kommunion unter den Geschwistern und die Solidarität mit den Bedürftigen verbunden sind.
Schließlich weist Jesus auf einen besonderen Zug des Gehens hin: Sie sollen nichts auf den Weg mitnehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd. Man darf sich nicht vor der Zukunft fürchten, indem man sich durch viele Güter und Mittel oder durch die Unterstützung der Mächtigen schützt. Der Meister fordert die Jünger auf, nur Sandalen und einen Wanderstab mitzunehmen, das braucht man für den Weg. Ihre Kraft ist das Wort, die Liebe, seine Anwesenheit. Wenn man auf den von der Gemeinschaft in diesen sechsundvierzig Jahren zurückgelegten Weg schaut in verschiedenen Lebensbereichen und Länder, erkennen wir, dass Ihr auf diese Weise unterwegs wart im Vertrauen auf Gott und nicht auf große Organisationsapparate.
Heute nach einem langen Weg könnt ihr vielleicht versucht sein, den Schritt zu verlangsamen. Der Glaube und die Begeisterung des Anfangs wachsen jedoch mit den Jahren. Das Evangelium fordert weiterhin Kühnheit, um im Vertrauen und in der Freude über das weiterzugehen, was wir sind und was wir tun, indem wir uns mit der Sendung identifizieren, zu der uns Jesus berufen hat. Neue Arme entdecken, Wurzeln schlagen in neuen Bereichen und Ländern, das Evangelium an unterschiedliche Menschen weitergeben und mit fernen Welten Dialog führen. Ein Dialog, der nicht einmal vor denen zurückschreckt, die in das Innenleben der Kirche eingreifen wollen und sie in ihrer Lehre und in ethischen Werten verändern wollen. Papst Franziskus schreibt in Evangelii Gaudium: "Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben" (Nr. 49).
Auf dem bisher zurückgelegten Weg seid Ihr nicht nur auf Schwierigkeiten gestoßen, auf Menschen, die Euch nicht aufnehmen und zuhören, wie Jesus vorbeugend zu den Zwölf sagt, sondern Ihr habt etwas Grundlegendes entdeckt: "Die Zwölf machten sich auf den Weg und riefen die Menschen zur Umkehr auf. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie", so haben wir im Evangelium gehört. Ihr habt eine "Vollmacht" entdeckt, die sich von der Macht der Welt unterscheidet. Es ist die Vollmacht zum Trösten, zum Heilen, zum Vertreiben der dämonischen Schatten des Bösen, zum Verbreiten von Licht und zur Weitergabe und zum Aufbau des Friedens. Gott hat den Jüngern diese Vollmacht verliehen. Über vierzig Jahre auf dem christlichen Weg haben euch das in aller Deutlichkeit gezeigt.
Denn Sant'Egidio schämt sich des Evangeliums nicht, sondern macht daraus das Herz des eigenen Zeugnisses. Die Gemeinschaft bleibt nicht stehen vor der Armut und dem Leid. Ich denke an die Solidarität in Rom aber auch in den ärmsten Ländern der Welt, wie die Behandlung der AIDS-Kranken in Afrika. Ich denke auch an die Initiativen zur Beendigung von Kriegen und bei Friedensprozessen, für die Begegnung der verschiedenen Religionen und Kulturen in einem Dialog der Freundschaft und gegenseitiger Achtung. Man darf nicht resignieren: Krankheiten, Krieg, sozialer Hass können überwunden werden, man kann gegen die Armut, für Frieden und Geschwisterlichkeit kämpfen. Man erreicht das sicher nicht an einem Tag. Das Wunder ist keine Magie einer Stunde oder weniger Minuten. Doch Wunder sind möglich. Deshalb muss man weiter im Glauben und in der Liebe unterwegs sein.
Papst Franziskus hat eine neue Phase im Leben der Kirche eingeleitet. Er fordert uns alle auf, hinauszugehen und auf die Menschen zuzugehen, damit niemand allein bleibt, ohne die Barmherzigkeit und Liebe des Herrn. Ich glaube, dass die Gemeinschaft Sant'Egidio in den von Papst Franziskus aufgezeigten Spuren ganz natürlich den Weg in die Zukunft findet: Möge sie in der Liebe, in der Mission, in der Zuwendung zu den Armen und im Aufbau der Freundschaftsbande und des Friedens überall wachsen. Der Herr segne Euch und bewahre Euch in seiner Liebe.