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Sonntagsblatt

22 Februar 2018

Vor 50 Jahren gründete sich die Gemeinschaft Sant‘Egidio

Die katholischen 68er

 
verzija za tisk

Bewaffnete Posten stehen im römischen Stadtviertel Trastevere. Das hat mit den vielen Touristen zu tun, aber auch mit den Friedensstiftern von Sant‘Egidio. Vor der kleinen Kirche, die der katholischen Gemeinschaft ihren Namen gab, patrouillieren tagein, tagaus zwei Soldaten. Wer in Kriegsgebieten vermittelt und sich für Flüchtlinge einsetzt, lebt nicht ungefährlich.

In diesem Monat ist es 50 Jahre her, dass sich einige römische Schüler zusammentaten, bewegt von der Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965). Rund um ihren langjährigen Leiter Andrea Riccardi wollten sie das Evangelium in der modernen Welt leben. So entstand eine katholische 68er-Bewegung, die ihr prophetisch-kritisches Potenzial bis heute behalten hat: Sant‘Egidio.

Die Gemeinschaft wirbt im aufgeheizten, von Fremdenfeindlichkeit durchsetzten italienischen Wahlkampf nach wie vor um Verständnis für Migranten und Flüchtlinge. Wenn ihre Aktivisten am römischen Flughafen Fiumicino Flüchtlinge aus Syrien oder Eritrea begrüßen, nachdem sie zuvor mit der Regierung humanitäre Korridore ausgehandelt hatten. Oft ist Italiens stellvertretender Außenminister Mario Giro dabei. Ihn trifft man auch beim Abendgebet der Gemeinschaft. Gebet und soziales Engagement gehören bei Sant‘Egidio zusammen.
 
Das Abendgebet findet wochentags um 20.30 Uhr in der Basilika Santa Maria in Trastevere statt, einem zentralen Ort in dem Touristen-Stadtteil. Sind ausländische Gruppen da, gibt es Simultanübersetzungen etwa ins Deutsche, Englische oder Französische.
 
In der Basilika findet jährlich auch das große Weihnachtsessen für Obdachlose, alleinstehende Rentner und Flüchtlinge statt. Eine Initiative, die Sant‘Egidio auf andere Städte Italiens und andere Länder ausgeweitet hat.
 

Lobby für Ausgegrenzte

Im blank geputzten Messingschild eines renovierten Hauses in der Via della Paglia – Aufschrift: „Luxus in Trastevere“ – spiegelt sich die Eingangstür der Kleiderkammer von Sant‘Egidio schräg gegenüber. Immer wieder weist die Gemeinschaft auf die sozialen Probleme und Gegensätze der Ewigen Stadt hin, ohne dabei – was sonst oft geschieht – Fremde und Einheimische gegeneinander auszuspielen.

Rund 100 Meter weiter ist die Barockkirche San Callisto im Winter für Obdachlose geöffnet. Freiwillige Helfer der Gemeinschaft haben dort Betten aufgestellt. Vor der Tür stehen Dixi-Klos.
 
Mit dieser Art von Arbeit haben die katholischen Schüler und Studenten im Februar 1968 begonnen. Zuerst auch, um Kindern in römischen Barackensiedlungen Bildung zu vermitteln.

Globaler Aktivismus

Heute ist Sant‘Egidio auf vielen Feldern aktiv: Friedensschulen und Friedensverhandlungen in Konfliktgebieten gehören ebenso dazu wie Programme zur Aids-Behandlung und gegen Fehlernährung in afrikanischen Staaten.
 
Eine Art internationaler Durchbruch glückte der Gemeinschaft, als sie 1992 ein Friedensabkommen für Mosambik vermittelte. „Hier in diesen Räumen haben die Parteien 20 Jahre lang verhandelt“, berichtete eine Mitarbeiterin beim Besuch des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen im Herbst. Wie er kommen auch andere Staats- und Regierungschefs in die Zentrale der Gemeinschaft, ein früheres Frauenkloster an der Piazza Sant‘Egidio 3.
 
Und: Zum 50-jährigen Bestehen der Gemeinschaft fand ein großer Gottesdienst mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in San Giovanni in Laterano statt, der Bischofskirche des Papstes. Die frommen Weltveränderer sind zu bedeutenden 
politischen und kirchlichen Akteuren geworden.

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