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13 Septembre 2011 09:00 | Künstlerhaus am Lenbachplatz, Festsaal

„Gesichter der Armut in Stadt von heute“ von Wolfgang Obermair

Wolfgang Obermair


Vorstand des Caritasverbands der Erzdiöse München und Freising, Deutschland

Anrede,

ganz herzlich darf ich Sie alle zu dieser Veranstaltung begrüßen.

Besonders begrüßen und kurz vorstellen darf ich die Gesprächspartner auf unserem heutigen Podium:

Frau Brigitte Meyer, sozialpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, wird uns die Situation sozial benachteiligter aus Perspektive der Landespolitik vorstellen.

Herrn Marian Offman, sozialpolitischer Sprecher der CSU-Stadtratsfraktion und stellv. Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde, bringt uns die Situation von Menschen nahe, die in der Stadt München von Armut betroffen sind. 

Erzbischof Alan Edwin Thomas Harper, Primas der anglikanischen Kirche in Irland, wird uns aus seiner irischen Heimat berichten, woraus sich vermutlich Unterschiede wie Ähn-lichkeiten zur Situation in München ergeben.

Erzbischof Jean-Pierre Kutwa, Erzbischof von Abijan (Elfenbeinküste), berichtet aus einem ganz anderen Hintergrund heraus – gerade durch diesen Vergleich zwischen einem „afrikanischen Blick“ und unserem „Münchner Blick“ können sich interessant Perspektiven ergeben.

Shoel Rummel vertritt die evangelische Kirche in Tschechien, einem Land des ehe-maligen Ostblocks, das viele Jahre der „Transformation“ hin zur Marktwirtschaft hinter sich hat – auch das ist interessant für unser Thema.

und Pater Eric Englert, Präsident von Missio München, wird aus der Erfahrung eines international tätigen Hilfswerkes heraus ebenfalls aufschlussreiche Vergleiche zwischen den verschiedenen Armutssituationen in der Welt herstellen können.

Ich selbst vertrete den Caritasverband der Erzdiözese München und Freising, also den „Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche“ hier in München und Oberbayern. Benachteili-gung, Ausgrenzung und Armut gehören zu den großen Herausforderungen auch für diesen Caritasverband.

Kurz zum Ablauf: Wir werden einsteigen mit zwei konkreten Praxis-Beispielen – mit zwei Beispielen für soziales Engagement hier in München, Engagement zugunsten armer und armutsbedrohter Menschen. 

Danach werden die vorgestellten Gesprächsteilnehmer ihre Erfahrungen und Einschätzungen einbringen und dann mit Ihnen ins Gespräch kommen.

Vor den beiden Praxisbeispielen ein paar einleitende Worte zum Thema. 

Gerade auf einem international besetzten Podium muss man zunächst die Frage stellen: 

Kann man überhaupt von „Armut“ in München sprechen – in einer im Durchschnitt und auch im äußeren Erscheinungsbild sehr reichen Stadt? 

Kann man die Lebenssituation benachteiligter Menschen hier in München mit dem gleichen Begriff (eben „Armut“) bezeichnen wie die Lebenssituation von Menschen in anderen Teilen der Welt, die unter Hunger und Elend leiden?

Papst Benedikt spricht in seiner jüngsten Enzyklika ausdrücklich von der „Armut“, die es auch in reichen Ländern gebe. In den reichen Ländern hätten sich sogar „neue Formen der Armut“ entwickelt. 

Aus unserer Caritas-Erfahrung heraus können wir das bestätigen: Auch bei uns gibt es Men-schen (eine wachsende Zahl an Menschen!), die von Armut betroffen oder zumindest bedroht sind. Die seit einigen Jahren sprunghaft angestiegene Zahl an Lebensmittelausgaben ist nur ein Indiz dafür.

Natürlich: Armut hier in München bedeutet nicht Verelendung und Hunger:

Armut bei uns bedeutet, so viel weniger zu haben als der Durchschnitt, dass man nicht mehr teilnehmen und teilhaben kann an einem „normalen“ gesellschaftlichen Leben und Miteinander-Leben. 

Armut hier bei uns ist – gerade wegen des durchschnittlich hohen Lebensstandards – besonders oft mit Ausgrenzung und auch mit Beschämung verbunden. Gerade Kinder und Jugendliche leiden in ihrem Selbstwertgefühl darunter, von Kindesbeinen an „außen vor“ zu sein, nicht mithalten und nicht mitmachen zu können.

Wie aber kommt es zu dieser Armut in einem reichen Land? Viele Gründe wären zu nennen; ich nenne nur zwei besonders wichtige: Arbeitslosigkeit und Bildungsmangel. 

Wer sich selbst und seine Fähigkeiten mangels Bildung und Befähigung nicht entfalten kann, 

Wer gering qualifiziert ist, keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung hat,

Wer aufgrund dieser Defizite oder aufgrund von anderen Leistungseinschränkungen keinen Zugang findet zum Arbeitsmarkt, 

der muss zwar nicht „verhungern“ – er gerät aber schnell in eine Situation, in der er sich ausgegrenzt und überflüssig fühlt.

Ich möchte diese grundsätzlichen Hinweise zur Frage, was Armut hier in Deutschland über-haupt „ist“, mit einigen Zahlen hinterlegen. Wer nämlich über Armut spricht, der muss auch über Zahlen sprechen – auch wenn man nie vergessen darf, dass hinter den bloßen Zahlen immer konkrete Menschen und konkrete Schicksale stehen. In diesem Sinne ein paar aus-gewählte Zahlen zur Situation in München:

In München sind rund 178.000 Menschen von der sogenannten „relativen Armut“ be-troffen, das sind 13,4 Prozent. Ihr verfügbares Einkommen liegt also unter 60 Prozent des gesellschaftlichen Mittelwerts. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen unterhalb dieser Schwelle nicht nur „weniger“ als Andere haben, sondern in vielen Fällen „zu wenig“ haben – zu wenig, um am „normalen“ gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Und oft geht dieser Geld-Mangel mit einem Mangel in anderen wichtigen Lebensbereichen wie Ernährung und Gesundheit einher.

Rund 100.000 volljährige Menschen in München sind überschuldet.

20.000 Münchner Kinder unter 14 Jahren beziehen sogenanntes „Sozialgeld“, leben also in Familien, deren Eltern aufgrund von Arbeitslosigkeit oder eines zu niedrigen Einkom-mens auf Sozialtransfers angewiesen sind. Nach Einschätzung der Caritas sind diese Sozial-transfers nicht in allen Fällen „armutsfest“!

Das Stichwort „niedriges Einkommen“ habe ich genannt: In München verdienen 23 Prozent der Erwerbstätigen so wenig, dass sie zusätzliche Sozialleistungen beziehen müssen. Nicht wenige von ihnen arbeiten sogar in Vollzeit und dennoch reicht das Geld nicht zum Leben – ein gravierender Verstoß gegen eine zentrale Forderung der katholischen So-ziallehre.

Ein großes Risiko, zu diesen „working poor“ zu werden oder überhaupt keinen Zugang zur Erwerbsarbeit zu finden, tragen gering Qualifizierte. In München verlassen jedes Jahr rund 6 Prozent der deutschen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss. Bei den jungen Menschen mit Migrationshintergrund sind es fast 20 Prozent! Ein Mensch ohne Schulab-schluss und in der Regel dann auch ohne Ausbildung hat in einer anspruchsvollen, „wissens-basierten“ Ökonomie kaum eine Chance auf ein armutsfreies Leben. Und die Arbeitswelt ist gerade in der Region München sehr anspruchsvoll.

Armutsbedroht und betroffen sind nicht nur junge Menschen und ihre Familien. Auch Altersarmut ist und wird ein Thema in München. Bereits heute beziehen 10.000 ältere Men-schen eine zusätzliche Grundsicherung, weil ihre Rente nicht reicht – bis 2020 wird sich diese Zahl mehr als verdoppeln. Auch hier gilt: Es ist gut, dass es solche Sozialtransfers (in diesem Fall: Grundsicherung im Alter) gibt; nicht wenige können dadurch die „Armutsschwelle“ überwinden. Besser und gerechter wäre es, die Einkommens- und Vermögensverteilung so zu gestalten, dass mehr Menschen von ihren Einkommen und Renten anständig leben können.

Ein besonderes Problem in München sind die hohen Lebenshaltungs- und vor allem Wohn-Kosten. Bei Neuvermietungen liegt München bundesweit an der Spitze! Bereits „nor-malverdienende“ Familien mit mehreren Kindern haben große Probleme, eine halbwegs passende Wohnung zu finden. Noch schwerer haben es einkommensschwache oder gar arme Menschen – auch wenn die Stadt München in Vergleich zu manchen anderen Städten noch sehr aktiv ist in der Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Besonders schlimm und be-sonders ausgrenzend ist die Wohn- und Lebenssituation von rund 1.900 Menschen, die in Notunterkünften leben müssen.

Soweit ein paar ausgewählte Zahlen. Was aber kann man tun gegen diese Form der Armut? Was macht die Caritas, um diese Form der Armut zu vermeiden oder zu bekämpfen – eine Form der Armut, die (nochmal gesagt) nicht zu vergleichen ist mit der extremen Armut in anderen Ländern, die aber in einem reichen Land und in einer reichen Stadt wie München ein gesellschaftspolitischer Skandal ist.

Die Caritas setzt neben der konkreten materiellen Unterstützung (zum Beispiel durch Le-bensmittelausgaben) und neben der Beratungsarbeit (zum Beispiel in der Schuldnerberatung) vor allem bei den beiden genannten Hauptrisiko-Faktoren an, also bei der Arbeitslosigkeit und bei der Bildungsbenachteiligung: 

Wir engagieren uns in der Befähigung und Bildung benachteiligter Kinder und Ju-gendlicher, etwa durch Kindertagesstätten, in denen gezielt auch sozial benachteiligte Kinder gefördert und Familien aktiv unterstützt werden.

und wir fördern und unterstützen Menschen, die ohne Förderung keinen Zugang zur Erwerbsarbeit finden, etwa durch unsere Tochtergesellschaft „Weißer Rabe“, die hier in München Langzeitarbeitslose beschäftigt, begleitet und fördert.

In ähnlicher Weise engagieren sich auch andere Wohlfahrtsverbände (so auch die Innere Mission); auch viele Kommunen (so auch die Stadt München) sind hier sehr aktiv. 

Einen guten anschaulichen Einblick in diese konkrete Arbeit für armutsbedrohte und armuts-betroffene Menschen und damit auch Einblicke in die Lebenssituation dieser Menschen bie-ten nun die beiden Praxisbeispiele.

Ich darf Ihnen Frau Elisabeth Ramzews vorstellen. Sie leitet den Sozialdienst für Flüchtlinge der Inneren Mission in München. Sie wird uns über die Situation von Flüchtlingen und Asyl-bewerbern berichten.

Und ich darf Ihnen Frau Johanna Schilling vom Weißen Raben der Caritas vorstellen, die zusammen mit 2 Mitarbeitern ihre Beschäftigungsprojekte vorstellen wird.

Vielen Dank! Ich denke, die beiden Beispiele haben aus der Praxis heraus eine erste, an-schauliches Bild zum Titel unserer Veranstaltung: „Gesichter der Armut in der Stadt von heu-te“ geliefert. 

Ich darf nur Frau Brigitte Meyer bitten, uns ihre Einschätzung aus der Sicht der Landespolitik zu erläutern, und danach werden die anderen Gesprächsteilnehmer aus ihrer jeweiligen Er-fahrung heraus berichten.

 


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