Antwerpen (DT) Die aktuellen Konflikte im Nahen Osten, in Osteuropa und im Norden Afrikas standen im Mittelpunkt des 28. Friedenstreffens im Geist von Assisi, das am Dienstag in Antwerpen/Belgien zu Ende ging. Die Anwesenheit des syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien, Ignatius Aphrem II., und des Patriarchen von Babylon der Chaldäer, Louis Raphaël I. Sako, die in ihren Zeugnissen vom dramatischen Leid der Christen und anderen Minderheiten in Syrien und Irak berichteten und die dringende Sehnsucht ihrer Völker nach einer Zukunft in Frieden zum Ausdruck brachten, riefen das Drama des Nahen Ostens in Erinnerung.
1986 hatte Papst Johannes Paul II. zum ersten Mal zu einem historischen Friedensgebet in die Stadt des Heiligen Franziskus nach Assisi eingeladen, weil er davon überzeugt war, dass die Religionen in der modernen Welt eine entscheidende Rolle für den Aufbau des Friedens spielen, allerdings häufig auch in Gefahr sind, als Benzin auf das Feuer der Konflikte benutzt zu werden. Fast dreißig Jahre nach dieser prophetischen Geste wird die Weitsicht des neuen heiligen Papstes vielleicht noch verständlicher. Vor allem im Nahen Osten, aber auch in Nigeria, Libyen und anderen Ländern werden religiöse Traditionen als Grundlage für Konflikte und grausame Verfolgungen von Christen und Minderheiten benutzt.
Andrea Riccardi, der Gründer von Sant'Egidio, wies in Antwerpen darauf hin, dass die Kriege heute unmenschlicher und die Vorgaben der Genfer Konventionen weniger eingehalten werden. Er sagte: „Das wird an der Zurschaustellung der Grausamkeit sichtbar, die bis gestern normalerweise durch die Täter versteckt wurde, heute dagegen in einer globalen Zeit als Waffe benutzt wird: die Massaker und das Zeigen der Grausamkeiten (gedemütigte, aus den Häusern vertriebene, entblößte Frauen und Männer, Erschießungen oder noch Schlimmeres) ist wirklich Terrorismus. Es ist der Kult der Gewalt, der terrorisiert und anwirbt.“ Die Religionsvertreter stellten in Antwerpen im Dialog mit Nichtgläubigen und Vertretern aus Politik und Kultur die Frage, wie in der heutigen globalen Welt Friedensarbeit möglich ist, während sich Kriege immer mehr ausbreiten. Papst Franziskus hat sogar von einer Art Dritter Weltkrieg gesprochen, der stückchenweise oder in Kapiteln geführt wird.
Eindrucksvoll war in dieser Hinsicht das Zeugnis der Jesidenvertreterin Vian Dahkeel, Parlamentsabgeordnete in Bagdad, in dem sie über die Grausamkeiten der Vertreter des Kalifats und das Leiden ihres Volkes im Sinschargebirge berichtete. Massaker, Entführungen, Versklavungen der Mädchen, die auf dem Markt von Mossul für 150 Dollar verkauft werden, verhungerte und verdurstete Menschen, darunter vor allem Kinder, sind dort an der Tagesordnung. Flehentlich appellierte sie an die internationale Gemeinschaft, den leidenden Minderheiten im Irak endlich zu Hilfe zu kommen und aus der Gleichgültigkeit aufzuwachen. In einem Katalog von Forderungen rief sie vor allem auf, die Flüchtlinge in Europa aufzunehmen und eine Schutztruppe der UNO für die Minderheiten einzurichten.
Umso mehr wurde beim diesjährigen Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio in Antwerpen die Bedeutung des Dialogs zur Bewältigung von Konflikten hervorgehoben. Zahlreiche Religionsvertreter sowie internationale Repräsentanten aus Politik, Gesellschaft und Kultur vor allem aus den betroffenen Ländern im Nahen Osten bekundeten ihre feste Überzeugung, dass nur in der freundschaftlichen Begegnung eine Zukunft in Frieden möglich ist. Auch zahlreiche muslimische Vertreter bekundeten in Diskussionsrunden mit christlichen Oberhäuptern und anderen Vertretern ihren Wunsch, den Weg im Geist von Assisi fortzusetzen, der ein Geist der Begegnung, des Gebets und Dialogs ist im Glauben, dass alle religiösen Traditionen den Frieden wollen und dass jeder Krieg im Namen Gottes eine Blasphemie und damit verabscheuenswürdig ist.
Eindringlich verurteilte der Großmufti der Arabischen Republik Ägypten, Shawki Ibrahim Abdel-Karim Allam, einer der höchsten Vertreter des sunnitischen Islam, die Grausamkeiten der Fundamentalisten im Irak und anderswo und forderte, dass jeder Extremismus ausgerottet werden müsse. Auch Papst Franziskus brandmarkte in seiner an das Friedenstreffen von Antwerpen gerichteten Botschaft jede Form von Gewalt im Namen der Religionen und rief zum tatkräftigen Einsatz der Religionsvertreter für den Dialog auf: „Die Zeit ist gekommen, dass die Religionsoberhäupter wirksamer zusammenarbeiten, um die Wunden zu heilen, Konflikte zu lösen und Frieden zu suchen. Der Friede ist ein sicherer Hinweis auf den Einsatz für die Sache Gottes.“
Hundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der das kleine neutrale Belgien zu großen Teilen verwüstet hat und schreckliche Folgen für das ganze 20. Jahrhundert hatte, wurde Antwerpen zum Ort des Friedens, um der Welt inmitten von neuen kriegerischen Zeiten mit traurigem Aufflammen von Nationalismus, Rachedenken und Hass die Hoffnung zu verkünden, dass Friede immer möglich und Krieg niemals unvermeidlich ist. Niemals kann Gewalt zu Frieden führen, sondern bringt, wie die letzten Jahre beweisen, unwiderruflich neue und häufig noch schrecklichere Ausbrüche von Gewalt hervor. Daher müssen vor allem die Herzen abgerüstet und mit neuen Gefühlen der Versöhnung, des Dialogs und der Freundschaft angefüllt werden, um Auswege aus den aktuellen Konflikten zu finden.
Bei der bewegenden Schlusszeremonie, an der auch die belgische Königin Mathilde teilnahm, erinnerten die Zeugnisse von Rita Prigmore, einer deutschen Sintezza und Überlebende der Zwillingsforschungen der Nationalsozialisten, bei denen ihre Schwester ums Leben kam, und von Lea Koyassoum Doumta aus der Zentralafrikanischen Republik an die Schrecken und Grauen der Kriege in Vergangenheit und Gegenwart. Doch es gab auch Botschaften der Hoffnung, die beweisen, dass der Friede auch nach langjährigen grausamen Konflikten nicht unmöglich ist. Al-Hajj Murad Ebrahim, der Präsident der Islamischen Befreiungsfront der Moros, gab ein Zeugnis für den Friedensprozess in Mindanao und die nun angebrochene Zukunft in Frieden, bei dem auch Sant'Egidio mitgewirkt hat.
Diese Hoffnung kam im Schlussappell zum Ausdruck, der von einer belgischen jungen Frau und einem deutschen Jugendlichen gemeinsam zum Zeichen der Versöhnung nach dem Drama des Ersten Weltkriegs vorgelesen wurde. Darin bekunden die Vertreter der verschiedenen Religionen: „Wir verpflichten uns in einer schwierigen Zeit, das bedrohte Leben von Schwestern und Brüdern anderer Religionen zu verteidigen. Wir arbeiten gemeinsam für die Zukunft der Welt, im Wissen, dass der Krieg eine große Torheit ist und dass der Friede etwas zu Ernsthaftes ist, als dass wir ihn nur einigen wenigen überlassen könnten. Der Dialog ist Medizin für die Konflikte, er heilt Wunden, er macht Zukunft möglich.“
Das Treffen endete mit dem Entzünden der Friedenslichter auf der Bühne vor der eindrucksvollen Kulisse des Antwerpener Rathausplatzes. Das einträchtige und friedliche Bild der verschiedenen Religionsvertreter mit ihren bunten Gewändern machte eindrucksvoll deutlich, dass eine Zukunft in Frieden möglich ist, wenn Dialog und Begegnung die Freundschaft fördern und Vorurteile und Distanzen überwinden. Antwerpen war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg in einer dramatischen Zeit, ein hoffnungsvolles Signal an die Welt. Doch der Weg der Friedenspilger aus Religionen und Kulturen wird fortgesetzt, um den „Geist von Assisi“ auch weiterhin zu verbreiten. Am Ende stand die Einladung für das nächste Treffen 2015 in Tirana in Albanien. In diesem armen europäischen Land, das Anschluss an Europa sucht und den Geist des Dialogs braucht, wird 25 Jahre nach dem Ende einer schrecklichen Diktatur, die zum ersten Mal einen Staat als atheistisch erklärte, der Weg der Friedenspilger fortgesetzt, um zu sagen, dass die Religionen eine große Hilfe sind, um die Völker auf den Weg in eine friedliche Zukunft zu führen.