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Unterstützung der Gemeinschaft |
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Rede von Andrea Riccardi, 16. Oktober 2010
Nach vielen Jahren sind wir wieder hier versammelt zu diesem Marsch im Gedenken an den schrecklichsten Tag unserer Stadt, den 16. Oktober 1943, als die römischen Juden bei einer Razzia der Deutschen mit Unterstützung zu vieler Italiener verhaftet wurden. Man darf nicht müde werden, diese dramatische Geschichte zu erzählen. Warum wieder hier und warum sind so viele hier? Gedenkveranstaltungen sind oft formal. Das Gedenken wird zu einer Museumsveranstaltung. Es bleiben nur traurige Schilder an Häusermauern. Warum hier? Weil über eintausend Unschuldige in den Tod geschickt wurden. Weil das Gewissen diese schreckliche Tatsache immer mit bedenken muss. Dieser Tag hat der menschlichen Gemeinschaft, die sich Rom nennt, eine sinnlose und schmerzhafte Wunde zugefügt. Wir kommen jedes Jahr hierher, weil wir davon überzeugt sind, dass dieses treue Gedenken einen Wert hat. Ich danke der jüdischen Gemeinde und vielen, die hierher gekommen sind.
Die Treue zeigt sich auch in der Wiederholung von Gesten. Sie zeigt sich in der Erneuerung der Erinnerung. Sie wird lebendig, indem uns, den Jüngeren und den neuen Bewohnern Roms wieder neu von diesem schwarzen Sabbat berichtet wird. Treue bedeutet, das Geschehene weiter zu erzählen. Viele Zeugen leben leider nicht mehr. Daher wird das treue Gedenken zu einer Pflicht, die uns ihre Stimme verleiht - was natürlich unmöglich ist. Dieses Gedenken prägt das Bewusstsein einer gesellschaftlichen Gemeinschaft. Es wiederholt sich gleichsam etwas, an dem 1943-44 viele gerechte Römer und Juden beteiligt waren: Viele nahmen Anteil am Leid, es kam vielleicht zum ersten Mal zu einer Schicksalsgemeinschaft. Außerhalb dieser Gemeinschaft gab es - wie immer - die Welt der Gleichgültigen, der Zuschauer und Verräter, die Juden für ein paar Lire verkauften. Doch mitten im großen Leid standen Juden und Römer zusammen. Heute setzten wir mit einer tiefen Freundschaft dieses Zusammenstehen fort. Wir wissen, dass dieser 16. Oktober ein wichtiger Ausgangspunkt für das Gewissen einer erneuerten Stadt Rom ist. Auch heute kommt es wieder zur Leugnung des Holocausts, vielleicht wegen der Suche nach Erfolg oder aus Nachgiebigkeit gegenüber einem gefährlichen Revisionismus und der Mode unserer Zeit, wodurch das Gedenken an die Ermordeten mit Füßen getreten wird. Das ist leider eine Tatsache unserer Tage. Es ist ein Beweis für eine vulgärer gewordene öffentliche Debatte. Lieber Herr Vorsitzender Pacifici, ich bin daher wirklich einverstanden mit deinem Gesetzesvorschlag, der die Leugnung des Holocausts unter Strafe stellt; das werden wir unterstützen. Ich glaube aber, dass auch das Gewissen des Volkes, das das Gedenken mit Leben erfüllt und pflegt, entscheidend ist. Unsere europäische Kultur hat die Shoah im Grunde genommen nur teilweise verarbeitet. Diese kurzlebige Kultur möchte eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Abgrund des Bösen, der Teil unserer Geschichte ist, vermeiden. Dieses Europa hatte nicht den Mut zum Eingeständnis, dass es in Auschwitz gegründet wurde, deshalb zersplittert es sich heute. Es gibt viel zu tun, weil die ausdrückliche und unterschwellige Leugnung des Holocausts wieder aufkommt. Diese letzte Leugnung ist nicht weniger gefährlich. Es zeigt sich eine vergessliche Kultur, die unfähig ist, unsere Herkunft zu begreifen und deshalb auch nicht sagen kann, wohin wir gehen. Europa besitzt bedeutende Wurzeln, doch es läuft Gefahr, ein Kontinent von Vergesslichen zu werden, die mit den Ereignissen des letzten Augenblicks beschäftigt und betrunken von der Werbung sind. Wir haben dieses Gefühl in unserer Stadt Rom, in der zwar die Straftaten abgenommen haben, in der sich jedoch ein konfliktgeladenes und aggressives Klima in den menschlichen Beziehungen ausbreitet. Die Episode an der Metrostation Anagnina, bei der eine rumänische Frau von einem Mann getötet wurde, der sie mit einem Fausthieb niedergeschlagen hat, zeigt meiner Meinung nach, dass etwas in den Beziehungen dieser Stadt krank ist. Es zeigt ein verschlechtertes Klima, das durch eine Leere in den Herzen und Gedanken entsteht. Das Problem von Rom sind nicht die Zigeuner, die das Leben schwierig machen; sondern es sind wir Römer, die ein Herz und einen Sinn für das Leben finden müssen. Deshalb, liebe Freunde, erfüllt mich dieser Tag des 16. Oktober einerseits mit Traurigkeit über ein Ereignis, das außer durch das Böse und die Gleichgültigkeit vieler nicht zu erklären ist, andererseits tröstet es mich, weil er beweist, dass es in unserem Rom noch Frauen und Männer mit Herzen und Ideen gibt, Jugendliche, die die Erinnerung wach halten, Italiener und Nichtitaliener. Ich bin getröstet, weil Rom ein Herz hat. Das sind wir den Opfern schuldig. Das sind wir der Generation schuldig, die im Krieg gelitten hat. |
Vertiefungen
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