Zum Internationalen Tag der Roma, der 1979 durch die Vereinten Nationen eingeführt wurde, fand in Rom eine vom Minister für Internationale Zusammenarbeit und Integration, Andrea Riccardi, organisierte Tagung statt. Neben dem Bürgermeister von Lamezia Terme, Gianni Speranza, nahmen auch zahlreiche Vertreter der Gemeinden der Roma und Sinti teil.
Minister Ricccardi sagte:
"Diese Tagung ist kein Ritual, sondern entspringt dem Wunsch, der größten europäischen Minderheit eine Ehre zu erweisen. Denn nach Schätzungen liegt die Zahl der Roma und Sinti in den 27 Ländern der Europäischen Union zwischen 10 und 12 Millionen (1,73% der europäischen Bevölkerung). Es ist eine junge Bevölkerung, denn nach Berechnungen ist die Hälfte unter 18 Jahre alt. Das Durchschnittsalter beträgt 25 Jahre, während sie bei den Europäern insgesamt über 40 Jahre liegt. Leider ist auch die Lebenserwartung um wenigstens 10 Jahre niedriger als bei der übrigen Bevölkerung und die Kindersterblichkeit ist sechsmal höher.
Auch über das schwierige Leben der Roma in Italien wurde bei der Tagung gesprochen. Der Europarat schätzt, dass ca. 14.000 Menschen dieser Gruppe in Italien leben. Nur etwas weniger als die Hälfte sind seit Generationen italienische Staatsbürger. Die schwierigen Lebensumstände in den Lagern, mangelnde Arbeitsplätze und Wohnungen, keine gute medizinische Betreuung und Schuldbildung gelten als allgemein bekannte Tatsache. Die Worte der jungen Roma bringen dagegen die große Sehnsucht nach Veränderung und Normalität zum Ausdruck."
Maria Spada erzählte von ihrer Angst, sich öffentlich als eine junge italienische Romafrau vorzustellen, die das Gymnasium besucht und gern Jura studieren möchte. Sie sagte: "Heute spüre ich durch meinen Beitrag bei dieser Tagung, dass mein Unbehagen und meine Furcht verschwinden".
Virginia Tocila ist eine junge rumänische Roma, sie berichte über Oberflächlichkeit und Vorurteile gegenüber diesem Volk: "Wenige kennen uns wirklich, fast niemand kann sagen, dass er einen Roma als Freund hat".
Branislan Savich ist ein Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien und lebt seit vielen Jahren in Italien. Er sprach über seinen langen Kampf, um kein Gadgé (Nichtroma) zu werden: "Ich arbeite im Restaurant und leben in einer normalen Wohnung mit meiner Familie. Wenn man sich integrieren möchte, muss man nicht auf die Romaidentität verzichten. Alle möchten ein anständiges Leben führen, auch die Roma!"
Bürgermeister Gianni Speranza aus Lamezia Terme hob die Zusammenarbeit von lokalen Einrichtungen und wichtigen Institutionen hervor, um eine Integration der Roma möglich zu machen. Obwohl die Ausgangslage in seiner Stadt tragisch ist, konnten im Gespräch mit Bürgern und mit finanzieller Unterstützung durch die Regierung 76 Romajugendliche die Pflichtschule abschließen, und 140 Personen sind ohne Räumungen aus dem Lager Scordovillo (einem der größten in Italien) in normale Wohnungen der Stadt umgezogen.
Minister Andrea Riccardi wies in seinem Beitrag auf das gegenseitige Kennenlernen hin als dem wichtigsten Weg, um eine wirkliche Integration des Romavolkes zu erreichen. Dazu sind auch mutige Entscheidungen erforderlich: "Auch mit der Gefahr, unpopulär zu sein, kann man sehr viel für ein Volk tun, das unser Land bereichert".
Übersetzung aus dem OSSERVATORE ROMANO (8. April 2013):
Das Zeugnis der Sintezza Rita Prigmore, Opfer der grausamen nationalsozialistischen Experimente. Warum ich meine Geschichte erzähle
"Denkt an das, was passiert ist, um eure Zukunft aufzubauen", erklärt sie den Schülern
Das Leben von Rita ändert sich plötzlich an einem Abend wie jeder andere, als sie mit ihrem Auto auf einer kleinen Straße im Staat Washington unterwegs ist. Sie hat schlimme Kopfschmerzen und verliert das Bewusstsein, rechtzeitig kann sie die Warnblinkanlage anschalten und fährt gegen eine Straßenlaterne.
Im Krankenhaus betrachten die Ärzte die Röntgenaufnahmen und stellen Fragen über Narben an den Schläfen: eine Verletzung? eine Operation? Rita kommt nach Hause und ruft ihre Mutter in Deutschland an. Nach ein paar Tagen ist sie bei ihr, drückt ihre Hand und erzählt die ganze Leidensgeschichte ihrer Kindheit in den Händen der Naziärzte.
Die Geschichte der Zigeunerin Rita Prigmore von der Ethnie der deutschen Sinti begann, als sie nach der Geburt mit ihrer Zwillingsschwester Rolanda sofort den Eltern abgenommen und medizinischen Versuchen der Gruppe um Doktor Heyde unterzogen wurde. Es ist eine Leidensgeschichte, die sie selbst erst Schrittweise entdeckt. Erst nach vielen Jahren wurde der Schleier vom Schrecken entfernt, der ihre Familie vernichtet hat und ein neues Bewusstsein für die wichtige Aufgabe als Zeugin wachsen ließ.
Nachdem sich Rita Prigmore ein Leben in den Vereinigten Staaten aufgebaut hatte, kehrt sie nach Europa zurück, um von den deutschen Behörden eine Entschädigung zu beantragen. Nach dem Tod ihrer Mutter setzt sie heute ihre ganzen Energien dafür ein, Jugendlichen zu begegnen und ihnen vom Porrajmos, dem vergessenen Holocaust des Zigeunervolkes zu erzählen.
Rita Prigmore kam auch nach Italien zu verschiedenen von der Gemeinschaft Sant'Egidio organisierten Vorträgen, um vor allem die Roma und Sinti zu unterstützen und an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zu erinnern. Sie sprach in verschiedenen Städten der Halbinsel in Schulen, Sintilagern und andere kulturellen Einrichtungen, beispielsweise in Genua im Saal des Stadtrates im Palazzo Ducale. Dort sprach sie neben Andrea Chiappori, dem örtlichen Verantwortlichen von Sant'Egidio, bei einem Rundtischgespräch mit Ariel Dello Strologo, dem Vertreter des Zentrums Primo Levi, dem Vizepräsidenten der jüdischen Gemeinde von Genua, Luca Borzani, dem Vorsitzenden der Kulturstiftung Palazzo Ducale und mit Pino Petruzzelli, einem Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller, der sich intensiv mit der Romakultur beschäftigt.
Nach der Konferenz ist Rita Prigmore von Zig Jugendlichen umgeben, sie stützt sich auf den Armen der Übersetzerin, während sie mit leuchtenden Augen umherschaut. Sie schaut einige Jugendliche direkt an und sagt mit feierlichem Ton: "Ihr könnt euer Land aufbauen, ihr könnt es schaffen, das niemand mehr Opfer von rassistischer Gewalt wird: Schaut den anderen in die Augen und vergessen nicht, dass im Inneren eines jeden etwas Menschliches ist". Mit Fotos und Zeitungsausschnitten in den Händen erklärt sie: "Jetzt lebe ich dafür".
Rita Prigmore berichtet über Sterilisierungen, Deportationen, Genozid am Zigeunervoll und vor allem über ihre persönliche Geschichte und über ihre kleine Zwillingsschwester Rolanda, die im Alter von nur sechs Wochen unter den Instrumenten der nationalsozialistischen Ärzte starb. "Als 1942 schon fast alle deutschen Juden deportiert worden waren, war das Schicksal der Zigeuner noch nicht entschieden (die Rassenlehre betrachtete Roma und Sinti als Arier). Doch die Nazis wollten ihre Fortpflanzung verhindern, deshalb wurden Gesetze geschaffen, um die Fortpflanzung von Personen mit genetischen Krankheiten zu verhindern. So wurde die Sterilisation aller Zigeuner in Deutschland geplant".
Rita wurde 1943 in Würzburg, in Unterfranken in einer Großfamilie geboren, die gut in die Gesellschaft integriert war. Die Großeltern waren Korbmacher für die Weinbauern, der Vater spielte Violine in einer sehr anerkannten Musikgruppe, ihre Mutter Theresia arbeitete tagsüber in einer Süßwarenfabrik und abends als Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin in einem der berühmtesten Theater der Stadt. Sie erklärt: "Nichts ließ vermuten, was dann geschehen würde, denn viele Sinti waren gut in die Gesellschaft integriert. Mein Onkel Kurt, der größere Bruder meiner Mutter, war beispielsweise Soldat und gehörte zur Motorradstaffel, die häufig den Führer bei seinen Reisen begleiten musste. Wegen seiner Fähigkeiten als Soldat wurde er befördert. Als dabei Nachforschungen zu seiner Familiengeschichte angestellt wurden, wurde entdeckt, dass seine Eltern Zigeuner sind. Sofort musste er aus Lyon nach Würzburg zurückkehren und wurde sterilisiert. Er war erst 25 Jahre alt".
Vor der Sterilisierung wurde die Mutter von Rita schwanger. Die Gestapo rief sie sofort auf, zur Abtreibung zu kommen. Doch bei der Untersuchung zeigte sich, dass die Frau Zwillinge erwartete. Die Nationalsozialisten hatten ein großes Interesse an der Zwillingsforschung, vor allem bei Zigeunern, daher stellten sie ihr eine Bedingung. Sie musste ihre Kinder den Ärzten des Reiches zur Verfügung stellen, ansonsten müsse sie abtreiben und würde sofort nach Auschwitz gebracht. Rita erzählt: "Meine Schwester Rolanda und ich wurden am 3. März 1943 geboren, und meine Mutter erzählte mir, dass viele Ärzte bei der Geburt in Uniform dabei waren. Sie nahmen uns sofort weg, und meine Mutter konnte uns die nächsten fünf Tage lang nicht sehen". Es waren dramatische Wochen für die deutschen Sinti. Im April des Jahres wurden fast alle Zigeuner aus den von Deutschland kontrollierten Gebieten nach Auschwitz deportiert. In Würzburg war die Mannschaft von Dr. Heyde tätig, ein Schüler von Mengele, der auf Experimente an Zwillingen spezialisiert war und später Leiter des staatlichen Euthanasieprogramms wurde. "Meine Mutter war entsetzt und konnte diese Lage nicht lange aushalten. Eines Tages ging sie ins Krankenhaus, wo wir untergebracht waren, und konnte eine Krankenschwester nach langem Flehen überzeugen, mich zu zeigen. Als meine Mutter unbedingt auch meine Schwester sehen wollte, führte sie die Krankenschwester ins Bad und zeigte Rolanda in einer Badewanne mit einem Hemdchen und dem verbundenen Kopf. Sie war tot: die Ärzte hatten ihr Tinte in die Augen gespritzt, um ihre Augenfarbe zu ändern". Theresa war völlig verzweifelt, packte ihre noch lebende Tochter und lief zur Ritakapelle, um das Kind in dieser Notlage zu taufen. Deshalb wurde das kleine Mädchen auf den Namen der Heiligen für unheilbare Notlagen getauft. "Zwei Tage nach mir kam die SS nach Hause und nahm mich wieder mit: ein Jahr lang hatte meine Mutter keine Nachrichten von mir". Die Geschichte von Rita blieb natürlich von diesen Ereignissen geprägt, aber erst nach vielen Jahren - durch den Autounfall - entschied sich ihre Mutter, ihr etwas davon zu erzählen.
Erst seit wenigen Jahren hat Rita Prigmore entschieden, nach Europa zurückzukehren, um Gerechtigkeit einzufordern und Entschädigung für ihre leidvollen Erfahrungen, vor allem aber um den Menschen von all diesen Erlebnissen zu erzählen. "Auch weil man heute wachsam sein muss: als Zigeunerin habe ich sehr viel Feindseligkeit erfahren, und viele, zu viele, werden noch misshandelt, weil sei angeblich anders sind". Dann wandte sie sich den Jugendlichen zu und blickte jedem einzelnen fest in die Augen: "Nicht die Hautfarbe zählt oder ob jemand behindert oder Immigrant ist, das einzige, was zählt, ist das Herz".
Sergio Casali |