Jeden Freitagnachmittag kommen in einem Atelier in der Würzburger Innenstadt zwei Dutzend Menschen mit und ohne Behinderung zusammen und erschaffen Kunst: Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen – von Tusche bis Tempera, von Sperrholz bis Leinwand, von Aquarell bis Collage, durchaus mit künstlerischem Anspruch. Denn die Kunstwerkstatt versteht sich als ein Ort künstlerischer Produktion, wo kreatives Tun behinderter Menschen nicht verniedlicht oder als Beschäftigungstherapie abgetan wird.
Stattdessen bearbeiten die Künstler gemeinsam mit ihren ehrenamtlichen Begleitern relevante Themen der Zeit: "Jung und Alt" ist so ein Thema, das die künstlerische Arbeit in der Kunstwerkstatt im Jubiläumsjahr 2016 bestimmt – oder zuletzt auch Flucht und Migration.
Behinderung fördert künstlerische Handschrift
Künstler Klaus Knorz in der Würzburger Kunstwerkstatt.
Im Mittelpunkt steht immer der jeweilige Mensch mit seinen persönlichen Erfahrungen und besonderen Begabungen. Die Künstlerinnen und Künstler gewähren durch ihre Werke einen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelten und erforschen fantasievolle Ausdrucksformen. Dabei ist eine Behinderung kein Hindernis auf dem Weg zum kreativen Ausdruck, sondern fördert die unverwechselbare künstlerische Handschrift.
Kunst als Mittel der Kommunikation
Werk mit dem Titel "Lampedusa" von Rüdiger Blüml
Die jüngste Ausstellung der Würzburger Kunstwerkstatt mit dem Titel "Unterwegs" setzte neben Reisen durch Gedanken- und Gefühlswelten vor allem die weltpolitische Dimension des Unterwegs-Seins ins Bild; etwa die Lebenswege von Flüchtlingen, deren Schicksalen sich die behinderten und im Lebensalltag oft "sprachlosen" Künstler mit hohem Engagement annehmen. Wo Worte fehlen, rücken die Bilder in den Fokus. Wo die verbale Kommunikation schwierig wird, bietet die Bildende Kunst kreative Alternativen.
Ausstellungen in ganz Europa
Ausstellung der Würzburger Kunstwerkstatt mit dem Titel "Unterwegs".
Der Einsatz von Kunst als Mittel der Kommunikation für Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung hilft dabei, soziale Grenzen und Barrieren zu überwinden. Dabei arbeitet die Würzburger Gemeinschaft eng mit örtlichen Einrichtungen zusammen – und kooperiert mit Partnern in ganz Europa. So haben die Würzburger Künstler ihre Werke auch schon in Rom, im Europäischen Parlament in Straßburg oder in Israel ausgestellt.
Die inklusive Bewegung "Die Freunde"
Die Würzburger Kunstwerkstatt der Gemeinschaft Sant’Egidio gehört zur weltweiten inklusiven Bewegung "Die Freunde". Seit ihrer Gründung 1968 in Rom bringt Sant'Egidio Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, mittlerweile auf der ganzen Welt. In Würzburg ist neben der Kunstwerkstatt auch eine inklusive Band entstanden. Eine Gruppe besucht und gestaltet wöchentlich den Gottesdienst der Würzburger Gemeinschaft Sant’Egidio. Außerdem gehören Ausflüge, Urlaubs- und Pilgerreisen seit vielen Jahren zum Programm.
Stichwort: die Gemeinschaft Sant'Egidio
Sant'Egidio wurde 1968 von Jugendlichen in Rom gegründet. Eine kleine Gruppe von Studenten versammelte sich damals in der Kirche Sant'Egidio, um auf das Evangelium zu hören und es ins Leben umzusetzen. Sie gingen in die Armenviertel von Rom und begannen eine Nachmittagsschule, die "Scuola popolore" – bekannt als "Friedensschule". Seit Beginn an hat die Gemeinschaft auch das Ziel, Menschen mit Behinderung in alle Aktivitäten zu integrieren. So gingen auch immer wieder Kinder mit einer geistigen Behinderung zur Nachmittagsschule – und fanden Freunde. Heute gehören der Laienbewegung, die sich in über 70 Ländern der Weitergabe des Evangeliums und dem Dienst an Bedürftigen widmet, weltweit mehr als 50.000 Personen an.