Nach der grausamen Menge und den listigen religi�sen F�hrern begegnet man Pilatus. Er ist ein R�mer, dem der Hass und die Leidenschaften dieser Leute fremd sind. Er kommt aus einem traditionsreichen Rechtssystem, und das l�sst eine gewisse Unparteilichkeit vermuten. Pilatus vertritt die Zivilisation des kaiserlichen Rom. Und tats�chlich ist es ein v�llig rechtm��iges Gerichtsverfahren, bei dem er von Jesus eine Antwort verlangt. Dann hat er noch eine andere M�glichkeit, die der Begnadigung, die er jeweils zum Paschafest gew�hrte. Er ist kein Fanatiker. Er ist ein gebildeter Mensch und wei�, dass man Jesus nur aus Neid an ihn ausgeliefert hat. Deshalb sucht er nach einer M�glichkeit, ihn freizulassen. Vielleicht h�tte er, sei es auf dem Rechtsweg, sei es auf dem Weg der Begnadigung, seine Freilassung erreichen k�nnen. �Lass die H�nde von diesem Mann, er ist unschuldig. Ich hatte seinetwegen heute nacht einen schrecklichen Traum� - so l��t ihm seine Frau sagen. Vielleicht hat diese Frau ein feines Gesp�r und versteht etwas in der Nacht, als Jesus verhaftet wird. In dieser zivilisierten r�mischen Welt scheint alles f�r Jesus zu sprechen. Ausgerechnet diese Frau, die vielleicht zu leicht zu beeindrucken ist, die an Tr�ume glaubt, ausgerechnet sie hat Recht in dieser Nacht. Aber in Wirklichkeit braucht man gar keine Tr�ume oder Vorahnungen. Allein das Recht und ein minimales Gesp�r f�r Menschlichkeit gen�gen. Man muss diesem Menschen nur ins Gesicht schauen, sein Antlitz betrachten, ihm in die Augen schauen, ihm zuh�ren oder unvoreingenommen seine Taten beurteilen, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Ist es schon absto�end, einen M�rder hinzurichten, um wie viel mehr dann Jesus, der kein M�rder ist. Was hat er B�ses getan? Es gibt Momente, in denen man sich blo�stellt, wenn man das Recht durchsetzen will. Wir haben hier zwei Seiten vor uns, die Intelligenten und Gebildeten und die Groben, die nach ihrem Instinkt handeln: Pilatus und die Menge. Die einen lassen ihre menschlichen Gef�hle beiseite, um sich nicht blo�zustellen, und die anderen lassen sich von der kollektiven Hysterie anstecken, vom letzten Schrei. F�r beide Seiten ist die Gerechtigkeit ein Luxus, der ihnen pers�nlich zu teuer erscheint.
Jesus antwortet auf die Frage von Pilatus, der ihn fragt, ob er der K�nig der Juden sei: �Du sagst es�, wie er auf Kajaphas geantwortet hatte. Er leugnet nicht, sondern bekennt sein Evangelium. Aber auf die Hohenpriester und die �ltesten antwortet er nicht. Sein Schweigen ist eine gewaltlose Antwort auf die Gewalt der Fragen. Pilatus wundert sich �ber diese Haltung Jesu. Er hat die M�glichkeit der Begnadigung, die zum Fest gew�hrt werden kann, deshalb sagt er: �Wen soll ich freilassen, Barabbas oder Jesus, den man den Messias nennt?� Er wendet sich an die Menge, um der Bedr�ngung durch die Verschw�rung der religi�sen F�hrer zu entkommen. Aber sie antworten ihm: �Barabbas.� �Was soll ich dann mit Jesus tun, den man den Messias nennt?� - fragt er. �Ans Kreuz mit ihm!� Und Pilatus: �Was f�r ein Verbrechen hat er denn begangen?�
Die List von einigen wenigen hatte die Menge fanatisch gemacht. Auf diese Weise geht die zivilisierte und wohlwollende Unparteilichkeit des Pilatus ins Leere, er wird vollkommen �berfahren. Und angesichts der Menge und des Tumultes l�sst er sich jetzt zu einer fast hysterischen Geste hinrei�en: Er nimmt Wasser und w�scht sich die H�nde. Er sagt: �Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen. Das ist eure Sache!� Trotzdem h�tte er Jesus freilassen k�nnen. Die Gerechtigkeit hat verloren, die Zivilisation hat verloren, wie es so viele Male geschehen ist. Und Pilatus wird schuldig an diesem Blut. Es reicht nicht aus, zivilisiert, ehrenhaft oder gerecht zu sein, denn Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit m�ssen sich auf den Leidenden einlassen. Die Gerechtigkeit muss zur Leidenschaft f�r den Menschen werden, sonst macht sie sich zum Komplizen. Das erkennen wir an der Geschichte von Pilatus. Es reicht nicht aus, sich vornehm die H�nde zu waschen, man muss sich die H�nde schmutzig machen, wie es Jesus bei vielen M�nnern und Frauen getan hatte, bei Gesunden, Auss�tzigen und Kranken.
Hier erleidet die zivilisierte Art des Pilatus eine Niederlage. Die verr�ckte und fanatische Menge setzt sich durch. Aus der Sicht Jesu kann einem diese Menge leid tun. Zuerst hatten sie ihm zugejubelt und jetzt verurteilen sie ihn. Diese Menge glaubt zu siegen, aber sie verliert, denn sie hat nicht bemerkt, wer vor ihr steht, sie hat den nicht bemerkt, der bis zum Ende eine �bergro�e Liebe gezeigt hat: �Jerusalem, Jerusalem� - so hatte er gesagt � �...wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre K�ken unter ihre Fl�gel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt.�
Jetzt ist die Menge v�llig vom Hass gegen diesen armen Mann erf�llt, vom kollektiven Stolz, bei dem jeder sich selbst vergisst und in eine Massenhysterie ger�t. Bei Massenkundgebungen vergisst jeder seine Schw�che und seine S�nde. Man f�hlt sich als Masse und wird �berheblich; das sind die Stunden des Nationalismus, des Fanatismus und Rassismus. Es sind Stunden, in denen man die Schwachen und Einsamen mit F��en tritt. Wer schreit dabei? Niemand und alle. Menschen, die keinen Einfluss haben, gelingt es, den Tod Jesu zu erreichen. Man kann nicht beurteilen, wer mehr und wer weniger geschrien hat. Alle sind in der Menge verborgen. Wenn man nicht aus der Menge heraustritt und Jesus nachfolgt, wenn man ihm nicht ins Gesicht sieht und in seinem Leid kein Mitleid mit ihm hat, bleibt man Komplize. Wenn man sich in der Anonymit�t der Menge verbirgt, weil man sich vielleicht schwach f�hlt, wird man am Ende zum Komplizen. Und niemand kennt den Namen des Komplizen; er steht verborgen in der Menge.
Beunruhigend ist, wie sich die Menge auf die Seite von Barabbas stellt und dabei bleibt. Warum entscheidet sie sich f�r Barabbas und nicht f�r Jesus? Welche Anziehungskraft �bt er aus? Das Evangelium sagt, dass es sich um einen gewaltt�tigen Mann, um einen M�rder handelt. Vielleicht ist er ein Patriot, sicherlich ist er ein Mann der St�rke. Er steht f�r den gewaltt�tigen Kampf. Eine Gruppe unbedeutender Menschen ist von dieser zur Schau gestellten St�rke, die nicht vor einem Mord zur�ckschreckt, faszinierter als von der Schw�che Jesu. Er ist ein Prophet ohne Schutz, der nicht zum Schwert greift, weil er �berzeugt ist, dass das Wort mehr ver�ndert als das Schwert. Dieser Prophet findet kein Gefallen, und er tut nichts, um zu gefallen. Das Wort Jesu ber�hrt manchmal die Herzen von M�nnern und Frauen, die zuh�ren, die weinen, manchmal aber reagieren die Menschen ablehnend.
Und auch in unserer Zeit hat es gro�e Menschen gegeben, die schutzlose Propheten waren. Statt das Schwert zu benutzen, haben sie sich ihr Leben durch das Schwert rauben lassen. Viele starben so, wie Bischof Romero aus San Salvador, wie Bruder Charles de Foucauld, der in der W�ste Algeriens von Tuaregbanditen get�tet wurde, oder wie Gandhi, der f�r den religi�sen und nationalen Fanatismus unertr�glich war.
Auf der einen Seite steht der zivilisierte Pilatus, auf der anderen Seite der Fanatismus der Menge. Und Jesus wird zum Tode verurteilt. Es findet eine Verschw�rung statt, und die Verantwortung daf�r liegt bei allen. Jeder kann sich einbilden, dass die Schuld daf�r beim anderen liegt. Doch wer ist schuldig? Ein ehrenhafter aber schwacher r�mischer Politiker? Eine fanatische Menge? Religi�se F�hrer, die vor Hass blind geworden sind? Die �ngstlichen J�nger? Die Komplizenschaft ist eindeutig, aber dar�ber hinaus steht hinter allem die Kraft des B�sen, die den Tod Jesu herbeif�hren will, die ihn endg�ltig zum Schweigen bringen will. Und jeder kann dieser Kraft des B�sen mit seinem Beitrag behilflich sein, auch wenn er meint, au�erhalb von ihr zu stehen. Um sich von dieser Komplizenschaft zu befreien, reicht es nicht aus, ehrenhaft zu sein wie Pilatus, oder gehorsam wie die Menge oder vom Gesetz gerechtfertigt wie der Hohe Rat. Man muss sich f�r die Leidensgeschichte des Menschen entscheiden, der Schmerzen ertr�gt, man muss sich mit dem Herrn Jesus die H�nde schmutzig machen, man muss sich dem Hass der Menge aussetzen und Unbeliebtheit risikieren.
Die Stunde der Entscheidung f�r Jesus f�hrt uns dazu, �ber die Komplizenschaft mit dem B�sen nachzudenken, ob sie nun zivilisiert oder unzivilisiert, vulg�r oder elegant sei. Denn man kann immer Komplize des B�sen sein. Und Jesus stirbt.
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