Evangelischer Bischof, Deutschland
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1. Die Schöpfung bewahren – was heißt das?
Ein Rabbi fragte seine Schüler im Tora-Unterricht: „Was meint ihr, was ist schöner? Ein Kornfeld mit reifen Ähren, die sich leise im Wind wiegen, oder ein frisch gebackenes Brot?“ Der kleine Mosche meinte zu wissen, was der Rabbi hören wollte und sagte: „Das Kornfeld ist viel schöner, denn es ist von Gott ge¬macht.“ – „Nein“, sagte der Rabbi, „die Schönheit des Brotes geht weit darüber hinaus. Denn das Brot vereint die Schönheit des Kornfeldes mit der Schönheit der menschlichen Arbeit. Das Werk des Bauern, des Müllers und des Bäckers veredeln die Schöpfung Gottes.“
Auch ich hätte geantwortet wie der Schüler Mosche. Denn es ist mir fremd, das Werk des Menschen so positiv zu sehen. Zu sehr sitzt mir die Kritik an der sogenannten „alten Ethik“ in den Knochen. Die „alte Ethik“, so hat der Physiker und Theologe Ulrich Beuttler diejenige Ethik genannt, die in der christlichen Theo¬logie vertreten wurde, bevor die Sensibilität für die „Bewahrung der Schöpf¬ung“ erwacht ist. Diese alte Ethik ging davon aus, dass die Natur dafür gemacht sei, vom Menschen beherrscht und für seine Interessen genutzt zu werden. Sie hat zerstörerische Folgen gehabt. Deshalb ist es notwendig, vertieft über eine „Neue Allianz zwischen Mensch und Umwelt“ nachzu¬denken, wie wir es heute hier in Tirana tun. Wie können wir wieder dahin kommen, dass unser Handeln Gottes Schöpfung veredelt?
2. „Macht euch die Erde untertan“ – Von der alten zur neuen Ethik
Die sogenannte „alte Ethik“ war geprägt von dem cartesischen Denken. René Descartes hat vom Menschen geredet als dem „maitre et possesseur de la nature“, dem „Meister und Besitzer der Natur“. Nach Descartes verstand der Mensch sich nicht mehr selbst als Teil der Natur, sondern als Beherrscher, der das Recht habe, die Natur für seine Zwecke zu benutzen und zu verwerten. Die Natur sei lediglich eine empfin¬dungs¬lose Materie. Verbunden mit dem biblisch¬en Befehl „Macht euch die Erde untertan“ (Gen. 1,28) führte dies zu einer unse¬ligen Allianz. Nun konnte sich der Mensch sogar mit göttlichem Auftrag als „Meister und Besitzer der Natur“ verstehen. Spätestens als die Analyse des Clubs of Rome im Jahr 1972 in dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ die Öffent¬lichkeit aufrüttelte, wurde diese Sicht¬weise erschüttert. Und der christ¬liche Glaube geriet auf die Anklage¬bank. Unter dem Titel „Das Ende der Vor¬sehung. Die gnaden¬lo¬sen Folgen des Christentums“ stellte der Schrift¬steller und Um¬welt¬¬aktivist Carl Amery die Art und Weise, wie im Christentum der Mensch im Mittel¬punkt gesehen werde, an den Pranger. Und der amerikanische Histo¬ri¬ker Lynn White meinte schon im Jahr 1970, dass Naturwissenschaft und Tech¬nik so von „christlicher Arroganz“ durchsetzt wären, dass sie nicht mehr in der Lage seien, die ökologische Krise zu meistern. Das Chris¬tentum treffe „eine schwere Schuld.“
Aufgeschreckt durch die Kritik an der alten Ethik ist in meiner Evangelischen Kirche in Deutschland dann das Pendel in den 1970er und 1980er Jahren in die andere Richtung ausgeschlagen: Nun wurde die Natur als heilig bewundert. Natur¬religiöser Glaube erklang in den Kirchen. „Jeder Teil dieser Erde ist mei¬nem Volk heilig“. Diese Rede des Häuptlings Seattle wurde zum Kirchenlied, und die Heiligkeit der Natur zum Gegen¬stand der Verkündigung. Das war hilf¬reich, um für den Wert der nicht-menschlichen Natur zu sensibilisieren. Aber das war auch problematisch, weil eine unrealistische Vergöttlichung der Natur sich breit machte. Nach biblischem Verständnis ist die Natur nicht von sich aus gut. „Sehr gut“ (Gen. 1,31) war die Natur als Gottes Schöpf¬ung lediglich im Para¬dies. Die gefallene Schöpfung ist aber ambivalent. Sie ist nicht hei¬lig an sich. Sie hat An¬teil an dem Seufzen der Kreatur, wie Paulus im Römer¬brief schreibt (Römer 8). Sie sehnt sich danach, wieder heile Schöpfung zu sein. Die Schöpfung ist so wenig heilig an sich, wie der Mensch heilig an sich ist. So wie der Mensch gut und böse ist, so stellt sich ihm die Schöpfung als gut und böse dar. Sie kann Leben ermög¬lichen und vernichten. Die Wasserkraft kann in hilf¬reiche Energie umgewandelt werden. Aber Tsunamis können ebenso Unheil anrichten. Die Sonne kann Leben ermöglichen oder todbringende Dürre verur¬sachen. Die gefallene Schöpfung ruft sehn¬süchtig nach Kultivierung.
Eine neue Allianz zwischen Mensch und Umwelt kann sich von der biblischen Weisheit inspirieren lassen. Denn der biblische Realismus bewahrt uns sowohl vor der alten rationalen Verzweckung der Natur, als auch vor einer unrealistisch¬en Vergöttlichung der Natur. Er befreit uns dazu, das uns Mögliche zu tun, ohne dass wir glauben, mit unserem Tun die Welt retten zu können. Denn wir dürfen uns nicht ein zweites Mal überschätzen und in neuer Weise „Meister und Besitz¬er“ der Erde sein wollen – jetzt plötzlich als ihr einzig möglicher Retter. Ein realistisches Verhältnis zu den eigenen Möglichkeiten setzt den Glauben vor¬aus, dass Gott selbst seine Schöpfung wert achtet und bewahrt und dass wir als Menschen unseren angemessenen, begrenzten, aber verantwortlichen Beitrag dazu leisten können und müssen.
3. Biblische Leitlinien
Die Bibel gibt uns dazu einige hilfreiche Leitlinien:
4.1 Sie versteht die Schöpfung als eine Hausgemeinschaft. Vom griechi¬schen Wort „oikos“, Haus, stammt der Begriff „Ökologie“. In diesem Haus gibt es gegliederte, in sich selb¬stän¬dige, aber aufeinander bezo¬ge¬ne Lebensbereiche. Psalm 104 beschreibt dies als eine weise, dyna¬mische Lebensordnung: „Herr, wie sind deiner Werke so groß und viel. Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ (Psalm 104,24).
4.2 Der Mensch ist Teil dieser Lebensordnung. Wie die Tiere hat er eine eingehauchte Seele, wie Tiere und Pflanzen einen unbändigen Lebens¬willen. Die Umwelt ist seine Mitwelt. Aber er hat doch eine Sonder¬stellung! Denn nur der Mensch ist von Gott ansprechbar. Nur er ist gott¬eben¬bildlich, Abbild Gottes.
4.3 Der Mensch hat deshalb auch keinen natürlichen Lebensraum inner¬halb der Schöpfung. Er muss sich durch seine kulturelle Leistung erst diesen Lebensraum schaffen. Die Mutter Natur ist ihm keine gnädige, liebevolle Mutter. Sie lockt ihn zwar durch ihre Schönheit, aber sie gibt ihm die Mittel zum Leben nur dann, wenn der Mensch Leistung erbringt, ganz anders als eine liebende Mutter: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen“ (Gen. 3,19). „Mutter“ Erde kann ihn beglück¬en und gleich darauf beängstigend bedrohen.
4.4 Weil der Mensch gott-unmittelbar ist, ist er innerhalb der Schöpfung auch der¬je¬nige, der einen besonderen Auftrag hat. Er kann die Natur als ge¬falle¬ne, ambiva¬lente Schöpfung Gottes durch seine kulturelle Leistung wenigstens an¬satz¬weise und zeichenhaft aus ihrem Seufzen befreien und dem Leitbild der „sehr guten“ Schöpfung Gottes wieder nahe bringen. Er kann die gefallene Schöpfung veredeln, wie der Rabbi gesagt hat.
4.5 Wie kann der Mensch dieses Amt wahrnehmen? In dem er die guten und heilsamen Lebens¬beziehungen innerhalb der Schöpfung fördert und die destruktiven, lebensver¬ach¬tenden und lebensbedrohenden Be¬ziehungen eindämmt. Er kann auf die Einhaltung der Hausordnung im Oikos drängen, damit die Bedingungen des Lebens auch für zukünfti¬ge Generationen erhalten blei¬ben.
So kann die neue Allianz zwischen Mensch und Umwelt gelingen.
4. Was wir tun können
In meiner Kirche versuchen wir mit einem umfassenden Umweltkonzept gute Haushalter des Oikos zu sein. Wir haben dafür fünf Rollen für die Kirche definiert:
5.1 Wir sind selbst ein Großunternehmer, mit unseren vielen Kirchen, Häusern, Ländereien und Wäldern. Das Konzept gibt vor, wie wir mit Energie, mit Mobilität, mit Land, Wald und Immobilien umgehen sollen.
5.2 Wir sind ein politischer Akteur: Wir setzen uns öffentlich ein für das Gelin¬gen der Energiewende, damit Energie zukünftig nicht mehr aus Braunkohle oder Atomkraft gewonnen wird. Wir unterstützen die Aktionen für eine neue Klimapolitik.
5.3 Wir bieten einen gesellschaftlichen Diskussionsraum, ein Forum, auf dem verschiedene Meinungen zu Wort kommen, um Bewusstsein zu schaffen.
5.4 Wir sind eine gottesdienstliche Gemeinde, die das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ in ihre Verkündigung und ihr Gebet aufnimmt.
5.5 Wir sind ein Bildungsträger und nehmen die Umweltthemen in Schule, kirchlichen Unterricht und Erwachsenenbildung auf.
Getragen von dem Glauben, dass Gott selbst seine Welt erhält, versuchen wir so die neue Allianz zwischen Mensch und Umwelt einzuüben und unseren Beitrag zur Erhaltung der Schöpfung zu leisten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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