Seit Beginn der humanitären Krise der Flüchtlinge aus Syrien und anderen Kriegsgebieten aus dem Nahen Osten hat sich die Gemeinschaft Sant'Egidio in Ungarn für die Aufnahme der Asylbewerber eingesetzt und versucht, eine Kultur der Menschlichkeit und des Respekts gegenüber den Flüchtlingen aus dramatischen Situationen zu stärken, die oft ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben.
Vor einigen Tagen hat der Erzbischof, Kardinal Péter Erdö, in einem Gottesdienst am nationalen Feiertag des Hl. Stephan in Anwesenheit der höchsten Vertreter des Staates öffentlich seine Anerkennung "für den Einsatz der Gemeinschaft Sant'Egidio und anderer Verbände und katholischer Gemeinden, die mit Liebe und Menschlichkeit den Bedürftigen helfen", zum Ausdruck gebracht.
Gestern hat die Gemeinschaft einen Appell im Parlament vorgelegt, in dem sie dazu aufruft, einige Gesetzesvorlagen nicht umzusetzen, die sich gegen die Ankunft von Flüchtlingen wenden und diese kriminalisieren.
Budapest, 2. September 2015
Die Gemeinschaft Sant'Egidio blickt mit Sorge und Mitleid auf das Schicksal der Asylbewerber in Ungarn, die auf der Durchreise in andere Länder Europas Schutz suchen und aus ihren von Krieg und Gewalt gezeichneten Ländern fliehen. An ähnlich schlimme Ereignisse erinnern sich nur unsere Landsleute, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, wie auch anschließende Deportationen, oder diejenigen, die 1956 ihre Heimat verlassen mussten.
Bestimmte von den Behörden ergriffene Maßnahmen verschlimmern die Lage der Menschen, die schon so viel mitgemacht haben, und lösen die Probleme nicht. Sie stellen auch nicht die öffentliche Ordnung her - vielmehr haben sie gegenteilige Auswirkungen. Wir denken an den Stacheldrahtzaun an der serbisch-ungarischen Grenze als einer solchen Maßnahme.
Eine ähnliche Ansicht vertreten wir angesichts verschiedener Abschnitte des Gesetzespaketes, das in diesen Tagen auf der Tagesordnung des Parlaments steht. Vor allem die Kriminalisierung der "nicht genehmigten Durchreise" und der "Grenzverletzung" geben Anlass zu großer Sorge. Die Strafmaßnahmen würden Menschen betreffen, die die Grenze nicht in krimineller Absicht überschreiten, sondern aus Verzweiflung und auf den Wegen der Flucht. Ein Strafprozess würde Familien auseinanderreißen, was nicht einmal der Krieg bewerkstelligen konnte. Eventuelle Ausweisungen wären sowieso nicht möglich, da das internationale Recht und das Grundgesetz unseres Landes Deportationen in Kriegsgebiete verbieten.
Gleichzeitig bereitet die vorgesehene Vorschrift Sorge, dass die Polizei in bestimmten Fällen bevollmächtigt werden soll, ohne Gerichtsbeschluss oder Genehmigung der Behörden private Wohnungen betreten zu können, wenn die Anwesenheit eines illegalen Immigranten vermutet wird. Diese Vorschrift würde diejenigen unserer Landsleute treffen, die aus humanitären Gründen für gewisse Zeit beispielsweise Familien mit Kindern aufnehmen.
Die Perspektive von Strafmaßnahmen wird denjenigen keinen Einhalt bieten, die aus Angst um ihr Leben oder das Leben ihrer Angehörigen vor dem sicheren Tod fliehen und unter zahlreichen Gefahren verschiedene Grenzen überqueren. Die Meinung, dass die Flüchtlingszahlen zunehmen, wenn sie gut aufgenommen werden, und abnehmen, wenn sie hart behandelt werden, wird durch die Erfahrungen widerlegt: Nicht Gründe der Anziehung sondern schwerwiegende Gründe führen zur Flucht und haben Einfluss auf die Zahl der Ankommenden. Rechtliche Strenge oder andere strenge Maßnahmen sind nicht geeignet, um die Flüchtlingskrise zu lösen. Allein der Friede in den Ursprungsländern kann den Exodus der Flüchtlinge stoppen.
|