Lutherischer Bischof, Leitender Bischof der VELKD, Deutschland
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„Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller“. Dieser eine kurze Satz aus dem Epheserbrief zeigt an, um was es zwischen unseren Kirchen geht – und was zugleich auf dem Spiel steht. Es geht um das eine Grundbekenntnis der weltweiten Christenheit. Es geht um unser gemeinsames Fundament, auf dem die eine heilige apostolische Kirche weltweit steht. Das ist das einigende Band, das uns immer wieder zusammenbringt in der Aufgabe, trotz unserer Unterschiede verantwortlich zusammenzuleben. Das ist das biblische Wort, das uns immer wieder „Mut zur Hoffnung“ (Motto des diesjährigen Treffens) in unseren ökumenischen Bemühungen macht. Darum sind wir heute hier. Weil wir diesen Fundament-Satz der Christenheit immer wieder neu wiederholen und in unser Leben ziehen müssen: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller“. Das Grundlegende, das Funda¬mentale, das Selbstverständliche, es versteht sich eben keineswegs immer von selbst. Im Gegenteil: Wie oft braucht gerade das Selbstverständliche die Einübung und die Pflege, damit es tatsächlich im alltäglichen Getümmel des Lebens da ist, präsent ist, vor unser aller Augen ist. Wir müssen das Selbstverständliche pflegen und feiern. Daher ist es gut, dass die Friedenstreffen der Gemeinschaft St’Egidio immer auch Vertreter der christlichen Gemeinschaft versammeln und sie daran erinnern. In diesem Sinne verstehe ich auch diese Podiumsveranstaltung.
„Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller.“ – Ein paar Kapitel vorher beschreibt Paulus, wie Christus seine Gemeinde baut. Er fängt damit an, dass er die Zäune abreißt, die dazwischen sind, die Zäune der Feindschaft nämlich. „Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.“ Das ist ein wunderbares Bild der in Christus geschaffenen, in der Verkündigung des Evangeliums gelebten Einheit der Verschiedenen. Auf dem Grund der Apostel gebaut mit dem Eckstein Jesus Christus. Und da werden wir eingefügt, wir Verschiedenen, „ineinander gefügt“, sagt Paulus, nicht einfach aneinander gelegt, das hält nicht lange.
Das erfordert von uns zunächst einmal Toleranz. Duldung heißt das, steht im Lexikon. Den anderen dulden, aushalten. Den anderen sein lassen, wie er ist. Klar. „Wir sind tolerant“. Das klingt oft nach Selbstgerechtigkeit, Selbstgenügsamkeit. Natürlich geht es auch um Grenzen, die jeder von uns hat und braucht; geht es um die Wahrheit, die wir erkannt haben und bekennen. Aber es gibt noch eine andere Seite der Toleranz: sie ist eine Haltung, die rechnet mit der Ergänzungsbedürftigkeit, rechnet mit der eigenen Unfertigkeit; sie rechnet damit, dass in dem Anderen, dem Fremden, die eigene notwendige Ergänzung zu finden sein könnte – an Frömmigkeit, an Glauben, an Bekenntnis-Haltung. Solche Toleranz rechnet damit, dass Gottes Spielräume allemal größer sind als meine Möglichkeiten zu denken und zu handeln. Deshalb muss Ökumene immer mehr sein als ein duldendes Tolerieren. Ich möchte den anderen vielmehr verstehen. Das ist gar nicht möglich ohne ein wirkliches Interesse am anderen. Zum selbstverständlichen Werkzeug der Ökumene muss es daher gehören, sich auf den ökumenischen Partner einzulassen. Das Anderssein des Anderen ist ernst zu nehmen. Der Dialog braucht die Offenheit, den anderen in seinem Anderssein bestehen zu lassen, ihn nicht festlegen oder erschöpfend bestimmen zu wollen. Für mich ist deshalb wieder neu wichtig, dass wir einander die Erlebnisse teilen und erzählen, die wir in uns tragen von gelebten ökumenischen Begegnungen. Wir sind auch als ökumenische Christenmenschen verstrickt in Geschichten, verstrickt in Geschichten gelingender oder auch mühsamer Ökumene. Ökumenische Gespräche, Dialoge mit den Konfessionen und Religionen sind für mich eine Quelle der Vergewisserung meines Glaubens und auch meines Bekenntnisses.
Ökumenisch auf der Höhe der Zeit zu sein, heißt eben auch: Ich muss immer damit rechnen, dass der oder die andere schon etwas mehr oder eben anderes von der Wahrheit erkannt hat, die in Christus zu finden ist. Und dass ihre oder seine Sicht und sein oder ihr Verstehen Sicht und Verstehen sein könnte, die mir fehlen, mich reich machen – nicht stören!
Ich denke an meine Erfahrung mit der communio des Lutherischen Weltbundes in Genf. Da ist nicht nur der Streit um die Ordination der Frauen ins priesterliche Amt oder um den Umgang mit der sexuellen Orientierung von Menschen – den gibt es auch. Da ist vor allem die gemeinsame Verantwortung für das Zeugnis in der Welt und die gemeinsame Verantwortung für die Schwachen und Elenden, für Frieden und die Schöpfung Gottes. Wir als deutsche Lutheraner sind zutiefst dankbar für all‘ unsere historisch gewachsenen Partnerschaften zu den lutherischen Kirchen weltweit. Sind dankbar, dass wir gemeinsam und im gegenseitigen Austausch unseren Auftrag wahrnehmen, den einen Herrn zu bezeugen je in unserer eigenen „Provinz der Weltchristenheit“.
Ich denke aber auch an meine Freunde aus den katholischen Diözesen, Universitäten und Priesterseminaren, mit denen ich seit mehr als zwanzig Jahren an der Pflege und Entwicklung der Predigt und der Liturgie arbeite im geschwisterlichen, respektvollen Miteinander. Wir können gar nicht mehr ohne einander, beten füreinander, teilen miteinander. Wir teilen miteinander auch die Sorge um das Trennende – natürlich. Wir sind uneins im Blick auf unser Verständnis von der Kirche und von dem Amt der Kirche und wir sind uneins über die Eucharistie. Aber wir erkennen darin nicht nur das Trennende, sondern kennen sehr wohl auch darin die gemeinsame Wurzel, den einen Herrn, den einen Glauben. Und manchmal dürfen wir die beglückende und ermutigende Erfahrung machen, dass unsere ökumenische Verständigung buchstäblich Mauern einreißt: Denn es gibt durchaus Zäune, die selbst im Tod noch trennen können. Ishmael Noko, der frühere Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes hat wiederholt folgende Geschichte erzählt. In seinem Heimatland Zimbabwe wurden Katholiken und Lutheraner strikt getrennt begraben. Katholischer Friedhof, evangelischer Friedhof, dazwischen ein hoher Zaun. Unterschiede und Unfriede wurden so über den Tod hinaus für alle sichtbar festgeschrieben und zementiert. Erst nach 1999 begann man in Zimbabwe die Zäune niederzureißen. Anlass war die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Lutheranern und Katholiken, in der ein Grundkonsens zwischen beiden Kirchen in dieser für Lutheraner so wichtigen Glaubensfrage festgestellt wurde. Hätten doch unsere ökumenischen Dialoge öfters solch konkrete Folgen.
Ein solches Niederreißen von Zäunen, das Bauen und Ineinanderfügen sind wir uns selbst schuldig, aber auch der Welt: Diese Welt sehnt sich danach, dass wir Zäune abreißen und ablegen alle Furcht vor der Vielfalt und dem Fremden – das ist nicht nur wichtig für die Einheit der Kirche, das ist wichtig für den Frieden der Welt! Eine Kultur des gegenseitigen Respekts ist die Grundlage jeder Partnerschaft innerhalb der Kirche. Respekt ist dabei keine Einbahnstraße, sondern eine Gabe, die ihre Kraft erst entfaltet, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht. Gegenseitiger Respekt führt zum Aufeinanderhören, zum echten Dialog. Wenn es uns gelingt, eine solche inner¬konfessionelle Kultur des Dialogs und des Zusammenlebens zwischen unseren Kirchen zu entwickeln, eine Kultur des rechten Umgangs mit Einheit und Vielfalt, dann wird diese auch ausstrahlen auf unseren gemeinsamen Umgang mit den anderen Religionen und den verschiedensten Gruppierungen in der Gesellschaft.
Diese Welt hat einen Anspruch darauf, dass wir ein Beispiel geben zum respektvollen Dialog und zur Überwindung der Trennung und des Hasses, des Misstrauens und der Gewalt; sie hat ein Anspruch darauf, dass wir nicht verstummen, dass wir die Wahrheit, die wir erkannt haben, die in uns gelegt ist, nicht verschweigen. Denn es geht in dem allen nicht um uns zuerst. Die Einheit in und unter unserem einen Herrn ist kein Selbstzweck. Es geht um Gott und seine Schöpfung, um seinen Plan mit dieser Welt, um sein Reich, an dem zu bauen er uns alle, die Verschiedenen, die Starken wie die Schwachen, die Frommen wie die Zweifelnden brauchen will und kann. Alles Trennende kann und darf uns nicht abhalten davon, dass wir miteinander als ein Leib sichtbar und hörbar sind und die Stimmen erheben für Recht und Frieden und gegen den widerwärtigen Hass, gegen alle Formen der Ausgrenzung. Daran erinnern Geistliche Gemeinschaften wie St’Egido uns Kirchen immer wieder kräftig. St’Egidio zeigt uns eindrücklich, wie aus dem gemeinsamen Gebet die Kraft zum Frieden und die Hinwendung zu den Armen und dem Fremden sowie der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen erwächst. Gott sei Dank dafür.
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