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8 September 2015 09:30 | Orthodox Cathedral

Beitrag von Antonij


Antonij


Orthodox Metropolitan Bishop, Bulgarian Church

Frieden schaffen in der Ukraine: die orthodoxe Perspektive

"Frieden" ist es, was sich heute Millionen Christen in der Ukraine mehr als alles andere wünschen. Bereits seit einem Vierteljahrhundert, seit der Erlangung der Unabhängigkeit unseres Landes, hat unsere orthodoxe Kirche zum Erhalt des Friedens beigetragen.
Sogar im letzten Jahr während der tragischen Konfrontationen in Kiew, sind sowohl Regierung als auch Opposition aktiv auf die Kirche zugegangen und haben um Hilfe für den Erhalt des Friedens gebeten. Deshalb ist es uns - nicht nur ein oder zweimal - gelungen, Vermittler für den Frieden zu sein. Glücklicherweise ist es auch geglückt, die Zahl der Opfer in Kiew möglichst gering zu halten. Die Ereignisse im Donbass haben einen anderen Verlauf genommen, aber das ist nicht unsere Schuld.
Zu Beginn des aktiven Konflikts in der Ostukraine hat Metropolit Onufrij, das aktuelle Oberhaupt unserer Kirche, den Grund für die tragischen Ereignisse so definiert: "Wir leben in einer unruhigen Zeit, ein Bruder erhebt sich gegen den anderen, ein Bruder beleidigt den anderen, der Bruder nimmt dem Bruder etwas weg. Und jeder denkt in seiner irrigen Meinung, dass der Nächste der Grund der Uneinigkeit sei: Er ist schuld daran, dass ich keinen Frieden im Herzen haben. Das ist falsch. Ich selbst bin der Grund dafür, dass ich keinen Frieden im Herzen habe. Schuld an allem ist der innere Sünder in mir.

Das bedeutet, dass es sehr einfach ist, den Grund für das Böse nur in den Menschen um mich herum zu sehen. Es ist schwieriger sich bewusst zu machen, dass wir selbst einen bedeutenden Teil der Schuld tragen. Gerade das Bewusstsein der eigenen Fehler ist der Weg, den Konflikt zu überwinden und die Konfliktparteien zu versöhnen. Für die Kirche ist offensichtlich, dass der Weg zur Versöhnung das Gebet und Geduld sind: das Gebet als Ausdruck der Liebe zu Gott und die Geduld als Ausdruck der Liebe zum Nächsten.
Als der Herr sagte: "Mit eurer Beharrlichkeit [in der russischen Bibelübersetzung "mit eurer Geduld"] werdet ihr eure Seelen retten", sprach er nicht von Bedingungen für diese Geduld, er sagte nicht, wer Geduld haben muss und wer nicht. Alles und alle zu ertragen, das ist Geduld. Betet, dass Gott uns allen Geduld gebe, damit wir einander ertragen." Diese Worte unseres Kirchenoberhauptes, des Metropoliten Onufrij, geben vollständig die Position unserer Kirche wieder.

Diese Position kann man auch mit anderen Worten darstellen. Der Metropolit Ioannis Zizioulas spicht von der grundlegenden Bedeutung der Öffnung gegenüber dem Anderen für den Christen. Diese Öffnung ist Ausdruck der Liebe. Es gibt nur eine Bedingung für die Kommunion mit Gott. Sie ist einfach: den Nächsten aufzunehmen, wer auch immer er sei; ihn in Geduld und Liebe aufzunehmen. Das Gebot der Liebe ist eineindeutig, wenn wir uns dem Nächsten öffnen, wird Gott sich auch uns öffnen, nicht nur im ewigen Leben, sondern auch in dieser Realität.

Ich fühle, dass dieser Ort besonders geeignet für eine solche Reflexion ist, denn die Gemeinschaft Sant'Egidio, mit der unsere Kirche seit vielen Jahren eine Beziehung brüderlicher Freundschaft und fruchtbarer Zusammenarbeit pflegt, den Dienst an den Armen zu ihrer Hauptaufgabe in der Welt gemacht hat; das sehen und schätzen wir auch in Kiew. Ich ergreife auch diese Gelegenheit, an den wertvollen Dienst am Frieden zu erinnern, den die Gemeinschaft Sant'Egidio in vielen Ländern der Welt leistet, die unter Konflikten leiden. Ich bin besonders dankbar, dass die Gemeinschaft Sant'Egidio seit Beginn der tragischen Ereignisse in der Ukraine unermüdlich für den Frieden gebetet hat, im ganzen Land und besonders in Kiew, wo die Gemeinschaft regelmäßig die Christen einlädt, den Herrn um die Gabe des Friedens zu bitten.

Viele von uns gehen zur Liturgie, nehmen die Liturgie und versuchen nichts. Warum? Es gibt einen Grund: die Konzentration auf sich selbst, die Angst, sich dem anderen zu öffnen. Die Angst, durch die Kommunion mit dem verletzt zu werden, der zu anders, zu schwer, zu sehr Sünder ist. Die Folge, wenn wir nicht das Kreuz von Golgota der Kommunion mit dem Nächsten tragen, ist, dass wir auch die innere Auferstehung nicht finden, das Leben mit Gott und in Gott.

Mit ähnlichen Ausdrücken drückt Monsignor Ioannis Zizioulas nicht nur eine evangelische WAhrheit, sondern auch eine Erfahrung der asketischen Tradition aus. Diese Erfahrung wurde in den monastischen Zellen Ägyptens und Palästinas gesammelt, von den byzantinischen Vätern entwickelt und vom Athos und Santa Rus bewahrt. Die Tradition bezeugt: Der Weg der Geduld mit dem Nächsten, der Öffnung zum Nächsten ist möglich. Darin liegt das Geheimnis des täglichen und fortgesetzten christlichen Martyriums unserer Zeit. Als die Väter in der ägyptischen Wüste davon sprachen, dass es für die Christen der letzten Tage nicht einfach sein würde, ihren Glauben zu bewahren und sie selbst zu bleiben, erahnten sie unsere Epoche.

Der Mensch ist so geschaffen, dass er konkretes Glück vollständig möchte. Er möchte Glück für sich, für seine Stadt oder sein Dorf, für sein Land, sein Volk, seine Brüder und Schwestern im Glauben. Aber wir sind gerufen, so weit aufzusteigen, dass wir das Glück für alle wünschen, auch für unsere Feinde. "Liebt eure Feinde", hat Christus geboten.
In der Ukraine findet heute eine militärische Auseinandersetzung statt, deshalb findet das Zeugnis der Notwendigkeit der Geduld und Liebe nur mit Mühe in die Herzen der Menschen, sogar der Gläubigen. Der Tod von Menschen, zerstörte Zukunft, zerstörte Häuser: das alles erzeugt neue Gewalt. Müde und enttäuschte Menschen suchen einfache soziale Lösungen, laufen der Illusion einer unmittelbaren Durchsetzung von Gerechtigkeit nach und sind oft nicht mehr zu langwieriger, konstruktiver Arbeit in der Lage.
Aber die grundlegende Tragödie der Ukraine heute ist die Unfähigkeit zur Geduld und Liebe. Und wenn sich jemand doch für Geduld und Liebe entscheidet, tut er es innerlich zerrissen und ohne den wahren Frieden Christi im Herzen.
Was kann die Gesellschaft heilen? Vor allem das Gebet. Der Herr kann der Gesellschaft den Frieden geben, auch wenn die Gesellschaft selbst nicht in der Lage ist, mit äußerlicher Kraft Frieden zu erlangen, weder der eigenen noch der internationaler Vermittler. Wo wir uns unserer Ohnmacht bewusst werden, kommt uns die starke Hand Gottes zu Hilfe. Deshalb bitten wir in jeder Liturgie darum, den Frieden zu finden.
Außer dem Gebet ist zweifellos die tatsächliche Hilfe für den Nächsten nötig. Unsere Kirche organisiert so weit möglich Hilfen für die Bewohner der Ostukraine, für die Flüchtlinge und Vertriebenen. Aber das ist alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber dennoch bezeugen wir mit diesen Aktionen, dass wir Jünger Christi sind und das geben, was wir haben.
Wir glauben, dass Gott die Möglichkeit offenbaren wird, Frieden zu schließen. Er wird unserer Kirche neue Möglichkeiten offenbaren, dem Werk der Einheit unserer Gesellschaft zu dienen. Die Tragödien des 20. Jahrhunderts, die Beispiele von Martyrium und christlichem Zeugnis in Europa hervorgebracht haben, haben zu einer nie dagewesenen Versöhnung geführt, zum Beispiel der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich und der Versöhnung zwischen Deutschland und Polen.
Auch die Ukraine hat positive Erfahrungen der Versöhnung gemacht, sei es mit dem Nachbarn Polen, sei es innerhalb des Landes durch das Ukrainische Konzil der Kirchen und religiösen Organisationen. Deshalb wissen wir, dass die orthodoxen Ukrainer sich nicht weigern werden, als Instrument des Friedens zu dienen, wenn der Herr die Möglichkeit zur allgemeinen Versöhnung offenbaren wird.
Wir alle haben durch die tragische Erfahrung der letzten Jahre gelernt, dass, so groß auch unsere Anstrengungen für den Frieden sein mögen, der Friede von Gott kommt. Die Welt ist seine größte Gabe, und durch uns alle macht er seine Liebe erfahrbar, trotz all unsere Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten.
 

#peaceispossible
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